Endlich Traditionen
Die Serben sind spitze im Feiern. Aber besser tanzen können die Mazedonier. Vom Superego der Kleinstädter und wie Goran Bregovic für Frieden sorgt.
Ich glaubte, doppelt zu sehen. Doch es war die nackte Wahrheit! Ich durfte zweimal Weihnachten und zweimal Silvester feiern. Für das typisch deutsche Weihnachten hatte ich mir Hilfe aus Deutschland geholt. Anja und Netti verbrachten die Feiertage in Vranje und wir hatten genug Zeit, um... ja, um was zu tun? Vor allem, um zu faulenzen. Es war herrlich! Kann man schon mal machen. 24 Stunden Busfahrt, um am Ende von Serbien rumzuhängen. Die restliche Zeit verbrachten wir mit den Vorbereitungen für unser kleines Weihnachtsdinner. Kartoffelsalat und Würstchen. Ich lud mir etliche Gäste ein, um meinen Dank auszudrücken für die letzten Monate und die Integrationshilfe in die nicht so einfach zu erschließende südserbische Gesellschaft. Die Rechnung war folgende: Bei 10-12 Gästen: Wie viel Kartoffelsalat brauchen wir? Ach, da muss noch was! Lass nochmal zehn Kartoffeln kochen! Am Ende war die Wäscheschüssel, die so ungefähr 20 Liter fasst, voll. Und Würstchen? Die feinen aus Deutschland gab's leider nicht. Viršla im Kunstdarm mit komischer Farbe mussten herhalten. Keine perfekte Lösung. Selbst Serben stehen diesem Lebensmittel kritisch gegenüber und würden es wohl nur im Notfall konsumieren. Mit der Einladung gab ich auch die Bitte heraus, etwas typisch Serbisches mitzubringen. Dass alle riesige Portionen aus der heimischen Großküche mitbrachten, machten den Überfluss vollkommen. Das Dinner war perfekt. So gut, dass wir drei uns noch die nächsten drei Tage davon ernähren wollten/mussten.
Kaum hatte sich mein Weihnachtsbesuch verabschiedet, war schon der nächste im Anmarsch, der Silvesterbesuch. Geplant war, nach Südalbanien zu trampen, dort eine Hitchhike-Silvesterparty mit anderen Trampern zu feiern und am Strand zu schlafen. Ja, das mit dem Strand war wohl wirklich etwas übermotiviert. Ich war auch ziemlich nervös ob der uns erwartenden Abenteuerreise. Doch für Karo und ihren Bruder Kristian gab es Probleme bei der Anreise per Anhalter, was im Endeffekt dazu führte, dass wir uns in Skopje trafen, um ohne Angst vor dem Erfrieren ein gemütliches Silvester zu feiern. Das war uns auch gelungen. Ins neue Jahr durften wir bei einer mazedonischen Familie hineintanzen, mit tollem Essen und griechischer Musik, achso, und Rakija. Den zweiten Teil der Party verbrachten wir auf einem Konzert von Foltin, einer sehr beliebten Band in Mazedonien. Dort hatte es sich dann schon gegen 2 ausgetanzt und den Abschluss bildete der Absturz im Club Balet, zu Hits, die man schon lange in den Musikleichenkeller gesperrt hatte. Begleitet wurden wir von der bezaubernden mazedonischen Anastasija, die momentan in Ljubljana wohnt, drei Kubanern, die den Balkan unsicher machen und gerade in Belgrad wohnen und einer temperamentvollen Italienerin, die am Ende mit einem unbekannten Herrn verschwand. Schöner Kulturmischmasch, in den sich noch ein paar Bekannte aus Vranje mischten, die sich zufällig hier aufhielten. Am Ende wurden ungewollte Küsse verteilt, es wurde gestritten, getanzt und es wurden absurde Vorsätze beschlossen. („Dieses Jahr fange ich mit dem Rauchen an.“) Diese Nacht erhielt das Zertifikat „gelungen“.
Traurig war die Rückkehr nach Vranje mit meinen Freunden und der Feststellung, dass Kafanas am ersten Januar nicht arbeiten. Mit großem Hunger irrten wir durch die leergefegten Straßen. „Servicewüste Serbien“ möchte einem da durch den Kopf schießen. Aber gleich meldet sich auch der kleine Mann auf der Schulter, der sagt: „Lass sie doch. Die gönnen sich ne Pause.“ Am 7. Januar stand die nächste Feierlichkeit an. Für das orthodoxe Weihnachten, was ein Großteil der Serben feiert, wurde ich von meinem Freund zu seinen Eltern eingeladen und durfte erfahren, wie ein typisch serbisches Weihnachtsfest aussieht. Es ist der letzte Tag, an dem gefastet wird, was heißt, ohne Fett und Fleisch. Im Festtagsbrot versteckt sich eine Münze, die dem Finder ein glückliches Jahr beschert. Beim Essen dann peinliche Stille. Es macht mir mal wieder zu schaffen, dass ich nicht flüssig serbisch spreche und so bleiben nur Brocken und verlegenes Schweigen. Nach dem Essen legt der Herr des Hauses dann meine Füße auf die Couch, um mir zu zeigen, dass ich mich wie zu Hause fühlen soll. Es geht eben auch ohne Worte.
Zu guter Letzt gab es am 14. Januar nochmal Silvester im Kalender der orthodoxen Christen. Tja, auf dem Balkan wird eben keine Feierei ausgelassen. Die Stadt Vranje hatte sich dafür ein Schmankerl ausgedacht. Sie wollte ein Kulturprogramm für alle bieten und das open-air und ohne Eintritt. Es soll doch keiner behaupten, dass es hier keine Kultur gäbe. Am frühen Abend gabs den üblichen Turbofolkschund mit halbnackten Frauen, die sich in einer Eiseskälte auf der Bühne räkelten. Nach Mitternacht dann harter Metal von den Local Heros „Mud Factory“. Die Leute haben getobt. Heißen Glühwein und Rakija for free gab es aber leider nur für das Turbofolkpublikum. Wir waren dann doch zu spät.
Nach dem vielen Feiern kam ich dann zum Nachdenken und Resümieren über meine letzten 5 Monate hier und ich musste feststellen, dass Freunde eben doch nicht einfach so an einem Abend gemacht sind. Vorher kommt erstmal viel Kaffee, den man regelmäßig im Kafić trinkt und dann irgendwann kann man vielleicht einen Schritt weitergehen. Für mich lohnt sich das allerdings nicht, weshalb ich meine Zeit auch lieber mit Krapa verbringe, mit dem ich innerhalb einer Woche schon mehr als eine Freundschaft pflegte. Der Name Krapa heißt so viel wie Höhlenmensch und leitet sich von Krapinac ab, ein Name, den einst sein Vater bekam. Ein bisschen was von Höhle hat jedenfalls auch Krapa.
Ende Januar war vollgestopft mit Trainings und Treffen und so konnte ich auch endlich mal wieder Vranje verlassen, was auch sehr heilsam sein kann. Für 8 Tage bin ich nach Mazedonien gefahren, um mich dort über das Konzept und die Wichtigkeit des EVS auszutauschen. Es war ein „cultural clash“! Mit Leuten aus Bulgarien, Polen, Portugal, Mazedonien, den Niederlanden, Serbien und zu allem Überfluss noch Deutschland, in einem albanischen Hotel. Es war es kein einfaches Arbeiten. Aber umso mehr gab es die lauten Abende, an denen wir uns betranken, tanzten und alle Konflikte ausdiskutierten. Der Höhepunkt war ein Essen im typisch mazedonischen Restaurant mit einer Live-Band, die uns alle zum Tanzen brachte und das Gemeinschaftsgefühl ein klein wenig zu stärken vermochte.
Achso, da war ja noch eine Feierei. Irgendwie feierte die Stadt Vranje schon wieder irgendein Stadtfest und hatte niemanden Geringeren als Goran Bregovic in die Stadt geladen, um eine Pressekonferenz zu halten und ein Konzert zu spielen. Die lokale Ofenfirma sponserte das Ganze im Wert von 30.000 €. Was ist das mal wieder für ein herrliches Ablenkungsmanöver. Wirf den Menschen immer mal ein Leckerli vor die Füße und sie werden die selbigen stillhalten. Probleme? Wer hat hier Probleme? Wir haben doch Goran Bregovic. Besucht man dann dieses Konzert, bietet sich ein guter Überblick, wie die Menschen in Vranje ticken. Getanzt wird, aber ja nicht zu wild! „Der Nachbar könnte das sehen und der hält uns ja sowieso schon für verrückt! Hast du den gesehen? Der Cousin von meiner Lehrerin ist auch da. Was hat der denn an?“ Und dann später erzählte mir Ivica was von Superego und dass Menschen in Vranje nur das besitzen. Klingt plausibel. Aber was solls! Es gibt ja schließlich ein paar verwackelte Smartphone-Videos mit schlechtem Sound, die die schönsten Momente auf dem Konzert festhielten. Mit denen kann man zuhause feiern. Ganz heimlich.
Für den nächsten Monat bin ich allein im Büro und habe fünf fleißige Freiwillige an meiner Seite. In welchem Chaos das endet, oder auch in welchen revolutionären Umstürzen, erzähle ich vielleicht das nächste Mal.
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