Elche und andere Phänomene
Ist schon komisch mit den Elchen in Estland. Entweder sind sie dahingeschieden oder inkognito. Eines Tages wird Svenschka es aber bestimmt schaffen, glückliche Elche zu sehen, die man auch erkennt. Mehr über amüsante estnische Eigenheiten in diesem Bericht aus Haapsalu und Martna.
Tjaaaaa, mein Wochenende war mal... ganz anders als erwartet ;-)
Alles fing damit an, dass mich Oksana fragte, ob ich nicht mit ihr zu ihrer Familie fahren möchte. Ich sagte Ja - ein Teufelskreis.
Alles Quatsch, es war ganz wunderbar. Wir sind also Samstag in aller Herrgottsfrühe (11.15 Uhr) nach Haapsalu an der estnischen Westküste aufgebrochen. Schon die Anreise war interessant und ein Schauspiel für sich, denn noch innerhalb von Tallinn stiegen derart viele Menschen hinzu (der Bus fährt ja auch nur jede Stunde), das sich die Leute stapelten. Außerdem habe ich noch nirgendwo, außer in Estland, Bushaltestellen mitten auf der Autobahn gesehen. Natürlich haben wir, aufgrund der enormen Menschenmassen (schon mal drei Stunden im Bus gestanden?), fast eine Stunde gebraucht, nur um aus Tallinn herauszukommen. Die Fahrt selber war aber recht angenehm. Oksana hat direkt einen Bekannten getroffen, mit dem wir muntere Sprüche gewechselt haben und die Fahrt im stickigen Bus ganz gut verlief.
Kaum in Haapsalu angekommen, lernte ich Oksanas Mutter kennen - sie sprach weder Englisch, noch Deutsch, noch Französisch - wie erwartet - deshalb beschränkte sich eine Kommunikation auf "Tere!" (=Hallo) und "Aitäh!" (= Danke). Da sie aber noch arbeiten musste, führte mich Oksana in Haapsalu herum - zuerst in jeden erdenklichen Second-Hand-Laden, die immer mit schönen Anekdoten ausgestattet wurden:
"Hier, in diesem Zoogeschäft, hat mein Bruder einen Hamster gekauft. Der starb allerdings noch im Auto." oder "Hier habe ich mein Sofa gekauft. Das auf dem du schläfst."
Okay, viele Sehenswürdigkeiten hat Haapsalu nicht, aber einen großartigen Hühnchen-Reis-Auflauf.
Dann sind wir zur Bischofsburg spaziert, die aufgrund fehlender Berge eben nicht auf einem Berg steht und auch keinen Wassergraben oder Ähnliches besitzt.
Dann hat uns Oksanas Mutter eingesammelt und eine Tour durch Haapsalu by car konnte starten. Gesehen habe ich also: Haapsalus Alt"stadt", das Meer, die Anlegestelle für die Schiffe nach Hiiumaa und den großartigen Bahnhof, der heute als Bahnmuseum und als Busbahnhof fungiert.
Später ging es weiter nach Martna, dem eigentlichen Heimatort Oksanas. Ich wusste ja, was auf mich zukommt, aber ich möchte es noch einmal in aller Deutlichkeit hier anbringen.
Kein fließendes Wasser. Ist ja ganz nett, wenn man mal zeltet. Aber es ist doch etwas anderes, wenn man sich in einem Haus befindet, das alle modernen Annehmlichkeiten hat, man vor dem Kochen dennoch mal eben zum Brunnen gehen muss, um Wasser zu holen. Aber nicht verzagen, so schrecklich ist das gar nicht, einfach nur ungewohnt.
Und nochmal: Nein, das ist nicht überall in Estland so und Ja, sie könnten auch fließendes Wasser haben, wenn sie wollten. Wollen sie aber gar nicht.
Jedenfalls hatten wir nach einem wundervollen (!) Spaziergang in absoluter Stille und wunderschöner Natur einen Saunaabend geplant. Tolle, estnische Sauna, mit anschließendem Waschen (Dusche gibt’s ja nicht), im Mondlicht.
Gerechnet hatte ich mit einem kleinen, schnuckeligen, Toilettenhäuschen unweit des Hauses, mit einem Herzchen in der Tür. Nee, bei Oksana gibt’s das Toilettenhäuschen doch glatt IM Haus. Trotz fehlendem Wasser… und wie so ein Toilettenhäuschen nunmal ist, es plumpst einfach. Und stinkt bestialisch.
Die Nacht mit Eulensingsang, offenen Türen und dem Wissen zu verbringen, das es garantiert niemanden in diese Gegend verschlägt, war irgendwie sehr schön. ;-)
Heute ist Oksanas Mutter schon früh nach Tallinn gefahren, wir wollten allerdings bis zum Abend bleiben und Marko, Mariannas Freund (Marianna ist Oksanas Schwester), hatte sowieso noch einige Reparaturen am Haus zu erledigen, bevor er auch wieder nach Hause, nach Tallinn, wollte. Also verbrachten wir den Tag mit einer Führung durch Martna (Supermarkt, Kirche, Grundschule) und ständigem hin- und herschleppen von Wasser (Wasser zum Kochen, Wasser zum Waschen, Wasser zum Händewaschen, altes Wasser wegkippen, neues Wasser holen...) und den unendlichen Versuchen, den blöden Kamin ans Laufen zu bekommen. Es ist nämlich schon ziemlich kalt in Estland. Außerdem entdeckte ich heute meine Vorliebe für estnische Yellow Press, verstehen tu ich zwar nix, aber Bilder gucken kann ich allemal und in der Yellow Press sind bekanntlich viele Bilder ;-).
Der Rückweg war unproblematisch, bis kurz vor Tallinn - da waren dann auf einmal überall Blaulichter, und ich muss sagen, ich war unendlich geschockt und traurig: ein Auto hatte sich überschlagen, ein Elch lag auf der Autobahn. Eigentlich wollte ich meinen Bericht mit dem phänomenalen Satz "Heute habe ich meinen ersten Elch gesehen! Er war tot." abschließen, aber Oksana hat mir gesagt, dass wir gestern schon Elche gesehen haben. Nur weibliche, von denen ich nicht wusste, dass es Elche waren. Und die sind frohen Mutes über die taufrischen Wiesen im gleißenden Sonnenschein gejuckelt - na ja, ganz so märchenhaft war es dann doch nicht, aber immerhin gibt es doch wenigstens noch ein paar fröhliche Elche in Estland - und einer der Papas oder Ehemänner war’s bestimmt auch nicht, weil es rund 80 Kilometer von ihrer Heimat entfernt war. ;-)