Eine andere Seite: Schief gegangene interkulturelle Begegnung in einem rumänischen Zimmer
Im Leben gibt es auch Schattenseiten, genauso wie in einem Europäischen Freiwilligendienst.
Bevor meinem Abflug in ein unbekanntes Land und in ein unbekanntes Leben, habe ich mit Unbehagen daran gedacht, mir mit einem Fremden ein Zimmer zu teilen. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. So wie es oft ist: Vor dem Unbekannten hat man Angst.
Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich damit klarkommen kann.
Ich lebte ein halbes Jahr in einer Zweckgemeinschaft. Hatte keine Wahl und musste mich mit der anderen Person abfinden.
Wenn ich die Wahl gehabt hätte, dann würde jetzt dort auf dem Bett neben mir jemand anderes liegen. Ehrlich.
Warum?
Wir passen einfach nicht zusammen. Unsere Charaktere sind zu verschieden, ich finde sie als Menschen anstrengend und schwierig. Ich möchte nicht mit ihr befreundet sein.
Deshalb lebe ich an ihr vorbei, man teilt sich ja eben doch nur ein Zimmer.
Obwohl wir vieles hätten, dass uns verbindet: Zusammen sind wir fremd in einem vom Zuhause weit entfernten Land, getrennt von Familie und Freunden in einer neuen Umgebung.
Wir könnten eine Beziehung aufbauen, uns gegenseitig Kraft geben und unterstützen.
Aber es geht einfach nicht.
Und so bleiben wir einander fremd- Wir bleiben zwei Fremde in der Fremde, teilen uns nun schon seit dreieinhalb Monaten ein Zimmer, und leben aneinander vorbei.
Wir wohnen nicht zusammen.
Wir wohnen nebeneinander.
Ich weiß nur sehr wenig über sie.
Sie ist 23 und hat im Sommer Geburtstag. Sie kommt aus Portugal. Wohnte bis jetzt immer bei ihrer Mama, hat einen kleinen Bruder. Hat etwas mit Kunst und Design studiert. Danach zwei Jahre „gar nichts“ gemacht. Und ist nun hier. Ist nicht zufrieden hier, sondern nur hier, weil sie in Portugal nichts zu tun hätte. Hat kein Lieblingstier, keine Lieblingsmusik. Muss aber immer Musik hören, weil sie sonst gelangweilt ist. Bekommt leicht einen Sonnenbrand. Guckt manchmal Serien.
Ihr Charakter: Seltsam. Sie sieht sich selbst als Leidende in ihrer Lebensshow. Alles ist schlecht. Und immer haben die anderen Schuld. Sie kann nichts für nichts, natürlich nicht. Ihr Humor ist nahezu inexistent. Manchmal teilt möchte sie mit mir ihr Essen teilen. Sie redet gerne über ihre körperlichen Schmerzen und vor allem über sich selbst. Oft erzählt sie mir Nonsens und erklärt diesen wieder und wieder. So kann ich ihr schwer zuhören. Sie ist unglaublich unflexibel und festgefahren in ihren Gewohnheiten und Denkweisen.
Und das ist eigentlich auch schon alles…
Ihre Lebensgewohnheiten: Zum Frühstück isst sie Cerealien ohne Milch, die Milch trinkt sie daneben pur. Dabei guckt sie immer aus dem Fenster. Sie faltet ihre benutzen Taschentücher. Wenn sie etwas in den Mülleimer gibt, macht sie es immer so, dass der Deckel dreckig wird. Einmal hat sie ihre Fingernägel auf dem Bett geschnitten. Jeden Abend kocht sie (so etwa zwischen 8 und 9 Uhr). Meistens Nudeln oder Reis mit Thunfisch und Gemüse. Dazu eine kleine Schüssel mit Obst. Lesen tut sie nie, ihre Beschäftigung ist der Laptop. Manchmal zeichnet sie. Den Müll bringt sie nie weg. Dafür fegt sie manchmal. Wenn sie mal einkaufen geht, braucht sie dafür sehr lange. Wenn sie sich die Zähne putzt, macht sie danach Würgegeräusche.
Was ich hiermit sagen will, sich ein Zimmer oder eine Wohnung zu teilen ist auf der einen Seite so intim. Ich sehe wie sie lebt, was sie den Tag lang so macht, wie sie abends aussieht, wenn sie ins Bett geht und wenn sie morgens aufwacht. Ich sehe was sie isst und wie ihre Unterwäsche aussieht, die auf dem Wäschereck hängt.
Es ist ja nicht so, dass ich diese ganzen Dinge gerne wissen würde. Und es ist seltsam, so viel über diese eigentlich fremde Person zu wissen. Aber wenn man sich das Zimmer teilt, bekommt man diese ganzen Dinge mit, wohl oder übel, früher oder später.
Gleichzeitig kann man sich dabei aber auch vollkommen fremd bleiben.
Bestimmt gibt es noch eine andere Seite. Wie nimmt sie mich wohl war? Oft hat sie es angedeutet. Ich bin so wie ihr nerviger kleiner Bruder mit dem sie sich zuhause gestritten hat. Ich bin ja so jung. Und ich komme aus Deutschland. Am Abend der Fußball-Weltmeisterschaft hat sie mir das auch direkt ins Gesicht gesagt, während sie ihre Nudeln gekocht hat. Sie mag Deutschland nicht. Deutsche sind ihr fremd und distanziert und die Deutschen, die sie bis jetzt kennen gelernt hat, mochte sie auch nicht.
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