Ein Sozialdienst für Alle?
Ein freiwilliges soziales Jahr nach der Schule machen bereits viele AbiturientInnen, manche machen auch ein Praktikum oder reisen. Die Erfahrungen, die man so sammelt, prägen einen und helfen einem, sich zu orientieren - Außerdem hilft man dabei noch anderen Menschen! Sollte man also einen verpflichtenden Sozialdienst einführen?
Die Zeiten eines verpflichtenden Wehr- oder Zivildienstes sind in Deutschland schon lange vorbei, der verpflichtende Dienst für alle männlichen Schulabsolventen existiert nicht mehr. Wenn ich allerdings an meine Entscheidung zurückdenke, einen Freiwilligendienst zu machen und nicht direkt zu studieren, bin ich mir sicher, dass mir diese praktische Erfahrung viel mehr gebracht hat als die formelle Schulbildung - Wäre es also nicht vielleicht für jede und jeden eine gute Erfahrung? Tatsächlich gibt es eine (theoretische) Diskussion über einen verpflichtenden Sozialdienst und seine Vor- und Nachteile:
In sozialen Projekten zu arbeiten lehrt einen häufig Empathie und gibt einem eine Einsicht, die man sonst, theoretisch, niemals haben könnte: Zum Beispiel was alte Menschen beschäftigt, was sie erlebt haben und was sie über die Welt denken. Oder warum es wichtig ist, Gedenkstätten zu pflegen und sich aktiv mit Geschichte auseinanderzusetzen. In einem Kindergarten in einem sozialen Brennpunkt sieht und erfährt man gesellschaftliche Spaltung und soziale Ungerechtigkeit. Es ist unglaublich wichtig, Fähigkeiten wie Empathie und Verständnis, aber auch andere Soft Skills jeder Generation mitzugeben - Befürworter eines verpflichtenden Zivildienstes führen an, dass diese Eigenschaften Diskriminierung, Vorurteile und Hass in einer Gesellschaft verhindern können.
Abgesehen davon würde es enormes, soziales Potential freisetzen: Immerhin hätte man Tausende junge Menschen jedes Jahr, die man in soziale Projekte integrieren könnte, so beispielsweise in Schulen oder Altenheimen. Mit all diesen Freiwilligen könnten Kindern so Mentoren zu Seite gestellt werden und die LehrerInnen wären nicht mehr völlig überlastet in ihrem Unterricht. In einem Altenheim zum Beispiel könnte man so viel mehr Aktivitäten mit den BewohnerInnen realisieren und sie mehr in die Gesellschaft integrieren. Dies sind natürlich die großen Vorteile, andererseits muss man aber auch insbesondere bei diesen Punkten enorm aufpassen: Freiwillige bekommen in der Regel kein richtiges Gehalt, sondern lediglich eine Aufwandsentschädigung und ein wenig Unterhaltsgeld - Deshalb dürften aus den Freiwilligen keine Arbeitssklaven ohne gesetzliche Regelung werden. Sie dürfen keine Arbeitsplätze ersetzten, sie sollten die Arbeitsstelle nur ergänzen und vor allem eines: Selber auch von ihrem Freiwilligendienst profitieren und etwas fürs Leben lernen!
Einen Zwang oder eine Pflicht lässt sich moralisch allerdings schwer rechtfertigen: Mit welchem Recht könnte man SchulabsolventInnen dazu zwingen, freiwillig irgendwo zu arbeiten und dafür nicht einmal Mindestlohn zu verdienen? Reicht es nicht, es wie bisher als eine wünschenswerte Wahlentscheidung nach dem Schulabschluss zu handhaben? Es wäre außerdem nicht möglich, jedem und jeder Arbeitsstellen im Ausland bereitzustellen, die meisten müssten unliebsame Jobs in ihrer Heimatregion machen, wäre das fair? Dies ist natürlich keine leichte Frage. Aber man kann argumentieren, dass es Zwänge gibt, die durchaus sinnvoll sind: Die Schulpflicht zum Beispiel. Und einen Sozialdienst könnte man als praktischen Teil dieser Bildung verstehen.
Moralisch gäbe es allerdings noch einzuwenden, dass wenn eine freiwillige, altruistische Tätigkeit mit einem Zwang versehen wird, sie ihren moralischen Mehrwert und ihre Intention verliert - Wie sozial und nobel sind denn soziale Pflichten? Werden damit nicht die Menschen fast schon beleidigt, die sich freiwillig und ohne Nutzen diesen Aktivitäten verschreiben?
Es ist keine einfache Debatte, die Vor- und Nachteile wiegen schwer: Ich persönlich sehe aber vor allem die Vorteile und den großen, gesellschaftlichen Mehrwert. Außerdem bin ich überzeugt, dass Schulbildung sich von formeller Bildung weg und hin zur Persönlichkeitsentwicklung bewegen sollte. Mit einem geeigneten gesetzlichen Rahmen könnte ein verpflichtender Sozialdienst meiner Meinung nach eine Gesellschaft revolutionieren.
https://www.fluter.de/pro-contra-fsj
https://www.vol.at/verpflichtender-sozialdienst-kann-freiwilliges-soziales-jahr-nicht-abloesen/3350362