Ein halbes Jahr in Costa Rica
Dies ist mein Halbjahresbericht aus Costa Rica, den ich fuer meine Austauschorganisation ICJA geschrieben habe und nun auch auf meinem blog veroeffentliche.
Meine ersten sechs Monate in Costa Rica
Wenn ich ein Jahr zurückdenke, fällt mir auf, dass sich meine damaligen Vorstellungen vom bevorstehenden Freiwilligendienst sehr stark von meiner jetzigen Arbeit unterscheiden.
In dem Moment, als ich in der ICJA-Bewerbung Costa Rica als meinen Erstwunsch in der Länderauswahl angab, tat ich dies mit dem Hintergedanken, als Freiwilliger an einem Meeresschildkrötenschutzprojekt teilnehmen zu dürfen. Nach der Bewerbung vergingen einige Monate. Es folgte ein Kennenlernseminar und nach meiner Annahme für Costa Rica mit dem IJFD-Program ein Vorbereitungsseminar, das zwei Monate vor meiner Ausreise stattfand. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Informationen über meinen zukünftigen Arbeitsplatz. Auch meine Wohnsituation stand noch nicht fest. Ich wusste nur, dass ich ein Jahr in Costa Rica freiwillig arbeiten würde. Zu dem Zeitpunkt war dies auch das Wichtigste für mich. Trotzdem hoffte ich weiterhin, für das Meeresschildkrötenprojekt angenommen zu werden, da ich zuhause selbst Schildkröten habe und mir deshalb gut vorstellen konnte, für dieses Projekt zu arbeiten.
Als ich dann knapp zwei Wochen vor meiner Ausreise in einer E-Mail von meinem zukünftigen Arbeitsplatz erfuhr, war ich zunächst verwirrt und aus jetziger Sicht auch leicht geschockt. In der gesendeten Projektbeschreibung stand nämlich nichts über Meeresschildkröten oder ein Projekt am Strand, sondern dass ich in der Rehabilitationseinrichtung “Centro Cristiano Canaan” fuer drogenabhängige Menschen in San José arbeiten und eventuell auch Englischunterricht geben sollte. Es war aber auch die Rede von einem Partnerprojekt, in dem es möglich wäre, Kindern Fussball beizubringen.
Eine Arbeit mit Drogenabhängigen war für mich in diesem Moment unvorstellbar, da ich noch keine Erfahrungen mit Drogenabhängigen gemacht hatte und ich bis zu diesem Zeitpunkt zwar selbst Englisch gelernt, aber noch nie unterrichtet hatte, und deshalb nicht wusste, wie es ist, als Lehrer vor einer Gruppe von fremden Menschen zu stehen und diesen Englisch beizubringen, noch zumal ich mit den Schülern ja ansonsten nicht in meiner Muttersprache würde reden können. Außerdem war ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass der Großteil der Projektteilnehmer älter sein würde als ich. Die Enttäuschung, nicht mit Meeresschildkroeten arbeiten zu können, war groß.
Es vergingen einige Tage, und ich probierte mich mit meinem zukünftigen Projekt abzufinden. Da ich damals in meiner Bewerbung beim ICJA als Zweitwunsch angegeben hatte, auch Unterricht jeglicher Art zu geben, entsprach der anstehende Englischunterricht zwar meinem damaligen Wunsch, aber ich hoffte trotzdem, doch eventuell in dem Partnerprojekt mit Kindern arbeiten zu können. Weil wir aber beim Vorbereitungs-und Kennenlernseminar vom ICJA, der übrigens nicht für die Projektzuteilung, sondern nur für die Länderauswahl zuständig ist, auch darauf vorbereitet worden waren, in ein Projekt zu kommen, das sich von unseren Vorstellungen unterscheiden könnte, fand ich mich dann aber doch schnell mit dem Gedanken ab, auch mit drogenabhängigen Menschen zu arbeiten.
Kurz darauf bekam ich außerdem eine Nachricht von Mariana, meiner jetzigen Gastschwester, worin sie mir mitteilte, dass sie und ihre Familie sich schon sehr auf meine Ankunft freuen würden. Bis zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar gewesen, ob ich in einer Gastfamilie oder in einer Wohngemeinschaft leben würde. Ich freute mich sehr, nun doch in eine Familie zu kommen und ließ die Abreise auf mich zukommen. Pläne fuer meine zukünftige Arbeit hatte ich noch keine, da ich - wie gesagt - noch nicht wusste, was genau auf mich zukommen würde.
In Costa Rica angekommen, empfingen mich Vinicio von unserer Gastorganisation “ACI” und Mariana zusammen mit meiner Gastmutter Sylvia Tabesh-Perez. Mit meiner Gastfamilie, mit der ich zusammen in Santo Domingo de Heredia wohne, habe ich wirklich sehr viel Glück gehabt. Allerdings brach Mariana zwei Wochen nach meiner Ankunft nach Aachen auf, um dort ebenfalls einen einjährigen Freiwilligendienst zu leisten. Sie arbeitet in Aachen zusammen mit Kindern auf einer Grundschule. In den ersten beiden Wochen half sie mir, mich in Costa Rica einzufinden. Dadurch, dass Mariana ähnliche Erfahrungen sammelt wie ich, können wir uns oft untereinander austauschen, und mir wird dadurch die Dynamik eines internationalen Austausches noch deutlicher bewusst. Mit meinen Gasteltern verstehe ich mich sehr gut, auch wenn ich am Anfang das Gefühl hatte, mich und meine Dankbarkeit durch mein schlechtes Spanisch nicht richtig ausdrücken zu können. Doch als Mariana nach Aachen aufbrach und somit die letzte Person im Haushalt verschwunden war, mit der ich mich auf Englisch verständigen konnte, wurde mein Spanisch automatisch besser. Außerdem habe ich noch einen Gastbruder, der wegen seines Studiums unter der Woche nahe der Universität in Cartago wohnt und nur am Wochenende, oder in seinen Ferien nach Hause kommt. Mit ihm verstehe ich mich auch gut, jedoch unternehme ich nicht viel mit ihm, da unsere Interessen sehr unterschiedlich sind.
Die Familie Tabash-Perez ist insgesamt sehr groß, und ich habe noch immer nicht alle Familienmitglieder kennengelernt. An den Wochenenden finden öfters Familientreffen statt. Mir gefällt es sehr, dass der größte Teil meiner Gastfamilie, genau wie meine richtige Familie in Berlin, sehr eng bei einander lebt. Vom ersten Tag an wurde ich herzlich aufgenommen. Trotzdem vermisse ich meine Familie, Freunde und allgemein meine Heimat sehr - und ich denke oft an Berlin. Gerade für meine Gasteltern ist es, denke ich, verständlich, da Mariana und sie Ähnliches erleben wie ich und meine Eltern.
Sonntags skype ich oft mit Freunden und der Familie und erfahre dadurch immer das Wichtigste aus der Heimat, aber auch Sylvia und Jaime, mein Gastvater, skypen an den Wochenenden mit Mariana. So erfahre ich auch immer die wichtigsten Neuigkeiten von Mariana und ihrer Situation in Deutschland. Genau wie ich in Costa Rica reist sie viel in Deutschland, jedoch hat sie nun auch schon andere Länder in Europa kennengelernt, wie zum Beispiel Frankreich. Ich hatte bis jetzt noch nicht die Gelegenheit, weitere Länder Zentralamerikas zu bereisen. Im September möchte ich aber nach Panama und im Dezember nach Nicaragua aufbrechen.
In Costa Rica selbst habe ich schon mehrere Ausflüge unternommen. Unter anderem zu den Stränden in Guanacaste, mehreren Vulkanen und in ländliche Gebiete außerhalb San Josés. Von San Jose als Hauptstadt hätte ich mir mehr Neues für mich erwartet, vor allem im kulturellen Bereich. San José ist meiner Meinung nach sehr US-amerikanisiert und gleicht deshalb in vielen Punkten den Städten, die ich bereits kenne. Die ländlichen Gegenden hingegen, wie zum Beispiel Escazu, die ich bereits teilweise kennengelernt habe, unterscheiden sich meiner Auffassung nach sehr von der Stadt.
In Escazu war ich zusammen mit meinen Gasteltern auf einem traditionellen Fest mit dem Namen “festival de los boyeros”, bei dem Bauern aus dem Umland Escazus ihre Rinder auf die höher gelegenden Weiden treiben und dabei die Straßen Escazus passieren. Das Vieh wird bunt geschmückt. Familienmitglieder der Bauern werden in den bemalten Karren von den Rindern hinterhergezogen. Von dem Fest hatte ich vorher in Deutschland schon gehört, und ich wollte es auf jeden Fall besuchen. Ich lernte ein für mich neues Fest mit neuen Bräuchen kennen. Auch die verschiedenen Gerichte, die am Straßenrand verkauft wurden, waren beinahe alle neu für mich.
Auch die Strände Costa Ricas sowie Flora und Fauna sind so schön, wie sie in allen Büchern und Berichten beschrieben werden. Ich habe bis jetzt mehrere Strände Guancastes, darunter auch die Nationalparks Manuel Antonio und Bahia Ballena, besucht und bin begeistert. Das Klima an den Stränden ist das, was ich vor meiner Abreise eigentlich in ganz Costa Rica erwartet habe. Jedoch ist es in der Stadt, also auch dort, wo ich wohne, kälter als am Strand, und ich muss unerwartet oft einen Pullover oder eine lange Hose anziehen.
Von meiner Gastorganisation ACI kann ich bisher nur Gutes berichten. Die Teamer haben sich alle sehr bemüht, uns an die neuen Umstände zu gewöhnen und haben uns auf einem zweitägigen Seminar auf die bevorstehende Zeit und unsere Arbeit vorbereitet. Der Teamer Vinicio bot mir außerdem auch ein persönliches Gespräch an, da er gehört hatte, dass ich ursprünglich in einem anderen Projekt arbeiten wollte. Er erklärte mir, was die Gründe dafür gewesen sein könnten, dass ich nicht in das Meeresschildkröten-Schutzprojekt gekommen bin. Vinicio ist relativ neu bei ACI und war zu dem Zeitpunkt, als die Projekte verteilt wurden, noch nicht im Amt. Außerdem gab er mir zwei Texte von Freiwilligen, die vorher schon in meinem jetzigen Projekt gearbeitet hatten, um mir einen ersten Einblick zu ermöglichen. Vinicio ist zuständig fuer die Freiwilligen, die ein Jahr in Costa Rica bleiben und ist deshalb mein erster Ansprechpartner.
Nicht nur die Teamer sind sehr freundlich, sondern auch die anderen Freiwilligen aus der Organisation, die ich hier in Costa Rica bereits auf meinem Ankunftsseminar kennengelernt habe. Das Seminar fand zusammen mit dem Halbjahresseminar der anderen Freiwilligen statt. Außerdem waren auch mehrere Ticos auf diesem Seminar, die sich für einen Freiwilligendienst im Ausland interessieren. So traf ich schon früh auf neue Kontakte im Ausland, und ich gewann den einen oder anderen Freund. Julian, einer der vielen deutschen Freiwilligen, die im August 2012 nach Costa Rica kamen, fand heraus, dass ich im selben Projekt wie er arbeiten würde. Dadurch konnte er mich auch schon ein wenig auf meine zukünftige Arbeit vorbereiten. Ich war froh, dass Julian noch das nächste halbe Jahr mit mir zusammen arbeiten würde.
Insgesamt waren es drei freie Wochen bis zum ersten Arbeitstag. Am ersten Tag traf ich mich mit Julian und Vinicio, um zusammen zur Arbeit zu fahren. Auf der Arbeit angekommen, sprachen Vinicio und ich zunächst mit Wilbert, meiner Kontaktperson aus dem Projekt, mit dem ich mich bis jetzt sehr gut verstehe. Danach zeigte mir Julian die Anlage und stellte mir schon die ersten Personen vor. Darunter den Leiter des Projekts, seine Schwester und einige der Patienten. In Centro Cristiano Canaan leben drogenabhaengige Maenner, die normalerweise einen Entzug von sechs Monaten bewaeltigen. Die meisten der Projektteilnehmer waren, beziehungsweise sind abhaengig von Marihuana, Crack oder Klebstoff. Leider ist es so, dass viele der Insassen vorzeitig die Einrichtung verlassen, da sie eben ohne diese Drogen nicht auskommen. Dann gibt es Personen, die den Entzug durchstehen, aber aufgrund fehlender Perspektiven das Leben auf der Strasse fortsetzen. Natuerlich gibt es aber glueckliche Faelle, in denen Projektteilnehmer erfolgreich die Einrichtung verlassen, um danach wieder in ihren frueheren Beruf einzusteigen. Wirklich wilkommen fühlte ich mich am ersten Tag noch nicht. Für mich wirkten alle so, als ob sie gar nicht wussten, dass ich dort für ein Jahr arbeiten würde. Lediglich Wilbert schien zu wissen, dass ein neuer Freiwilliger kommen würde.
Im ersten Monat half mir Julian, mich in das Projekt einzufinden, und ich lernte schnell, mit den Menschen umzugehen. Meine Erwartungen an die Patienten, also drogenabhängigen Männer zwischen 17 und 60 Jahren, waren zunächst von Angst geprägt. Ich hatte Angst davor, nicht akzeptiert zu werden und dass meine Hilfe unerwünscht sein könnte. Außerdem hatte ich Angst vor Gewalt und eventuellen Konflikten und Unstimmigkeiten. Diese Erwartungen beziehungsweise Ängste haben sich zum Glück überhaupt nicht bestätigt. Stattdessen sind die Insassen, es sind ungefähr 40 bis 50, alle sehr nett und offen zu mir. Bis jetzt habe ich keine Ablehnung gespürt.
Julian gab schon vor meiner Ankunft Englisch- und Computerunterricht, den wir dann zusammen fortgeführt haben. Vor der ersten Unterrichtsstunde hatte ich immer noch Angst davor, fremden Menschen auf Spanisch etwas beizubringen. Doch diese Angst legte sich dank der Hilfe von Julian und den Schülern nach wenigen Minuten, auch, wenn mir spanische Vokabeln nicht einfielen. Ich merkte schnell, dass der Unterricht, sowohl der Computer- als auch der Englischunterricht, für die Patienten und für mich das Wertvollste an meiner Arbeit ist. Nach jeder Unterrichtsstunde bedankten sich die Schüler bei mir und Julian, manchmal auch durch Umarmungen - und ich merkte, dass meine Hilfe gebraucht wird. Das war wichtig für mich, denn an den Tagen an denen Julian und ich keinen Unterricht geben, das sind Dienstag und Donnerstag, verrichteten wir Arbeiten, bei denen ich manchmal das Gefühl habe, nicht gebraucht zu werden. So habe ich bis heute das Gefühl, dass diese Arbeiten auch ohne meine Hilfe verrichtet werden könnten. Zum Beispiel hatten wir die Aufgabe, ein Loch zu graben, um Müll darin zu vergraben.
Jedoch gab es auch Aufgaben außerhalb des Unterrichts, die mir Spass machten. In etwa das Bauen eines neuen Zaunes auf dem nahegelegenen Sportplatz. Bei diesen Aufgaben gefiel es mir, unter der Anleitung von Personen aus dem Projekt zu arbeiten, die ich sonst unterrichtete. Ich denke, Tätigkeiten wie diese sind wichtig, weil die Menschen dadurch merken, dass auch ich Dinge von ihnen lernen kann und nicht nur umgekehrt. So bin ich manchmal der Lehrer, aber auch der Schüler und kann neue Sachen dazulernen - zumal es mir auch Spass macht zu lernen, mit neuen Werkzeugen umzugehen.
Außerdem finde ich es toll, aber erschreckend zugleich, zu sehen, wie dankbar die Menschen auch für sehr kleine Dinge sind. Vor jedem Essen wird gebetet, und man bedankt sich bei Gott für das Essen und die Möglichkeit, in der Einrichtung sein zu dürfen. Erschreckend daran finde ich nicht ihre Dankbarkeit sondern eher, dass Ich selbst vorher über so “kleine” Dinge wie Essen, ein Bett etcetera wenig nachgedacht hatte.
Zwischenzeitlich hatten Julian und ich Probleme mit der Schwester des Chefs. Der Chef, Carlos, ist Pastor und daher nicht jeden Tag in der Einrichtung. Etwa einen Monat lang untersagte uns seine Schwester, Unterricht zu geben. Die Begründung dafür lautete immer “Der Pastor hat gesagt …”. Bei den ersten Malen dachten wir, dass das schon stimmen wird und gaben keinen Unterricht. Doch nach ungefähr einem Monat wurden Julian und ich sauer, da wir nun keine richtige Beschäftigung mehr auf der Arbeit hatten und auch die Enttäuschung unter den Patienten wuchs, da der Unterricht für viele von ihnen wichtiger Bestandteil des halbjährigen Programmes ist. Nicht alle lernen zwar im Unterricht dazu, da es leider, auch teilweile junge Personen gibt, die aufgrund ihres langjährigen Drogenkonsums sich nicht mehr richtig konzentrieren können und selbst einfache Dinge nicht mehr verstehen. Aber trotzdem ist der Unterricht eine Art von Beschäftigung für sie und eine Abwechslung vom Alltag.
Deshalb suchten Julian und ich das persönliche Gespraech mit dem Pastor. Dieser teilte uns mit, nie gesagt zu haben, dass der Unterricht ausfallen solle, denn auch er wisse, dass die Unterrichtsstunden Priorität in der Einrichtung haben. Es gebe beinahe nichts Wichtigeres. Nur er persoenlich dürfe den Unterricht absagen. Von diesem Tag an konnten wir nun wieder ungestört dreimal in der Woche unterrichten und waren froh, Bestätigung vom Pastor bekommen zu haben.
Jetzt, nach einem halben Jahr, fliegt Julian bald wieder nach Deutschland zurück. Deshalb setze ich nun unsere Arbeit alleine fort. Wie mir schon mitgeteilt wurde, wird auch erst im nächsten Jahr wieder ein Freiwilliger nachrücken.
Nach sechs Monaten im Projekt kann ich meine Entwicklung insgesamt als sehr positiv beschreiben. In den vergangenen zwei Monaten aber stagniert das Projekt. Zwar fahre ich alleine mit dem Unterricht fort, aber außerhalb der Unterrichtsstunden habe ich nicht viel zu tun. Deshalb war es schön, nach einem halben Jahr Besuch von meiner Mutter und meiner Schwester aus Deutschland zu bekommen. So hatte ich drei Wochen lang einen freien Kopf und konnte mir Gedanken machen, wie man den Unterricht noch verbessern könnte.
Mit meiner Mutter und Schwester hatte ich eine sehr schöne Zeit. Sie haben einige Tage bei meiner Gastfamilie zuhause gewohnt und konnten so meine neue Familie kennenlernen. Zusammen gereist sind wir natürlich auch, aber ich war auch einen Tag zusammen mit ihnen auf meiner Arbeit, um ihnen alles zu zeigen. Ich fand es ermutigend zu hören, wie stolz sie auf meine Arbeit sind. Ausserdem war es schön, den Menschen auf meiner Arbeit einen Teil meiner Familie vorstellen zu koennen. Sonntags bekommen die Leute Besuch von ihren Familien, und da ich an zweien dieser Sonntage zum Fussballspielen auf der Arbeit war, hatte ich die Gelegenheit, die Familien der Menschen kennenzulernen.
Im Oktober kommt mein Vater zu Besuch. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, bis dahin ein neues Projekt gestartet zu haben, das ich ihm dann zeigen kann. Auch möchte ich ihm vielleicht noch den einen oder anderen neuen Freund auf der Arbeit vorstellen koennen.
Unter einem „neuen Projekt“ stell ich mir momentan eher eine Verbesserung und bessere Strukturierung meines Unterrichtes vor. Jetzt gerade scheint sich dies auch zu verwirklichen, da seit zwei Wochen ein neuer Insasse da ist, der sehr gut Englisch spricht und auch gute Computerkenntnisse vorweisen kann. Er hilft mir bei der Organisation des Unterrichts. Gerade der Computerunterricht ist alleine sehr anstrengend, da man öfter als im Englischunterricht jedem Einzelnen mehrere Minuten helfen muss, sich zurechtzufinden. Insofern ist es schön jetzt, nachdem Julian das Projekt verlassen hat, wieder einen zweiten Lehrer neben sich zu haben.
Gerade heute haben wir damit begonnen, den Englisch-Unterricht in zwei unterschiedlich starke Klassen einzuteilen. Das Gleiche starten wir demnächst auch im Computerunterricht. In Englisch machen wir es so, dass wir freitags die Klassen separieren und montags wieder zusammenführen. Wir erhoffen uns dadurch ein besseres Lernniveau, da man mit weniger Schülern automatisch mehr Zeit für jeden Einzelnen hat.
Durch die Zusammenführung der beiden Klassen an den Montagen sowie durch Gruppenaufgaben wollen wir erreichen, dass sich die leistungsschwächeren durch die Hilfe der leistungsstärkeren Schüler verbessern. Im Computerunterricht wäre es ein großer Erfolg, endlich an allen Computern auch Internetzugang zu haben, um den Schülern mehr Abwechslung bieten zu können. Außerdem überlegen wir, den Computerraum so umzustrukturieren, dass wir als Lehrer eine bessere Übersicht über den Raum und die Tätigkeiten der Schüler haben.
Enttäuschungen auf meiner Arbeit kommen öfters vor, zum Beispiel, wenn Leute das Projekt vorzeitig verlassen, von denen ich eigentlich dachte, dass sie den Entzug durchstehen werden. Es ist oft eine Herausforderung, diese Menschen näher kennenzulernen, weil ich bis auf Ausnahmen nie richtig weiß, ob sie mir die Wahrheit über sich und ihre Vergangenheit erzählen oder nicht. Deshalb bin ich eher vorsichtig mit Freundschaften auf der Arbeit, aber es gibt natürlich Personen, gerade in meinem Alter, die mir über die Zeit ans Herz wachsen, und von denen mir dann der Abschied, vor allem wenn er unangekündigt ist, schwer fällt.
Auch außerhalb der Arbeit habe ich in den sechs Monaten hier in Costa Rica Freunde gefunden. Zum einen Julian, von dem ich schon berichtet habe und mit dem ich viel Zeit zusammen auf der Arbeit verbracht habe, aber auch viele andere Freiwillige und Ticos aus der Gastorganisation sind zu Freunden geworden. Nach der Arbeit ist es allerdings schwer, sich zu verabreden, da mein Weg von meinem Arbeitsplatz nach Hause sehr lang ist und ich, wenn ich erst einmal zu Hause angekommen bin, nicht die Motivation habe, noch einmal zurück nach San José zu fahren, wo man sich üblicherweise trifft. Die Wochenenden sind da schon besser geeignet.
Es ist toll, immer wieder neue Menschen kennenzulernen. Ich kann nicht sagen, dass sich die Menschen hier von denen in Deutschland unterscheiden. Die Menschen hier sind genau so unterschiedlich und individuell, wie ich es sonst auch kenne. Von den Sitten und Gebräuchen in meiner Gatsfamilie ist für mich natürlich Einiges neu, aber auch nicht so viel, dass ich einen Kulturschock erlebe. Genau wie meine Gastfamilie bin auch ich katholisch und von daher auch mit den katholischen Feiertagen vertraut. Positiv ist für mich auch, dass ich hier in Costa Rica oefter als in Deutschland zur Kirche gehe.
In meinem alltäglichen Leben musste ich mich, bis auf die neue Arbeit, nicht besonders umstellen. Zuhause habe ich nach wie vor Internet, einen Fernseher, warmes Wasser zum Duschen etcetera. Ich muss sagen, dass ich mir Costa Rica als weniger zivilisiert als Deutschland vorgestellt hatte – und es gibt sicherlich Orte in Costa Rica, an denen sich Freiwillige mehr umstellen müssen als ich, zum Beispiel in den Gegenden, die an den Küsten und Stränden gelegen sind. Dennoch war meine Vorstellung von einem weniger entwickelten Costa Rica auf jeden Fall übertrieben und mit Vorurteilen behaftet.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich, vor allem mit Blick auf meine Arbeit, eine komplett andere Erwartung an meinen Freiwilligendienst hatte. Dass ich letztendlich nicht in das Schildkrötenprojekt, sondern in ein Projekt mit Drogenabhängigen gekommen bin, war noch vor einem halben Jahr eine Enttäuschung für mich. Jetzt aber kann ich sagen, zufrieden mit meinem Projekt zu sein. Ich denke es ist aus heutiger Sicht sinnvoller für mich, in einem sozialen Projekt zu arbeiten und den Kontakt zu Menschen zu haben. Ich finde es toll zu sehen, dass ich mein Projekt am Anfang als eine große Herausforderung sah, es aber trotzdem bis jetzt ohne größere Probleme gemeistert habe. Außerdem genieße ich es, in einer Familie leben zu können und so auch zuhause immer Ansprechpartner zu haben.
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