Dreierlei
"Es ist einer jener Momente, in der die Welt auf einen ganz kleinen Teil zusammen schrumpft". Grey erlebt in Ungarn eine ganz besondere Zeit. Aber es gibt auch viel zu tun.
Küchen 1x1 – Das Bekenntnis
So, ich habe mich ins Wohnzimmer verzogen, weil bei meiner Mitbewohnerin gerade wieder Besuch da ist – ich weiß ja nicht, wie rumänische Mädels und ungarische Jungs miteinander flirten, aber in dem Zimmer wird ganz schön gekichert und gepoltert =). Ich dachte also, ich suche mir eine ruhige Ecke, um die Ereignisse der letzten Tage zu beleuchten und mir dabei eine leckere Tasse Droge – äh, Kakao zu gönnen. Das wollte ich eigentlich schon gestern tun. Ich hatte mir schon Milch in die Tasse gekippt und ein paar Löffel Kaba dazugegeben, freute mich innerlich schon wie ein Kind darauf, meine Lippen näherten sich dem Tassenrand, öffneten sich und – die Milch war sauer. Schade. Die Milch landete samt dem Kaba im Ausguss.
Das liebe Küchen 1x1... Wenn man erst einmal komplett auf sich gestellt ist, fallen einem auf einmal Dinge auf, wofür man vorher einfach kein Auge hatte. Zum Beispiel die Flecken auf dem Wasserhahn. Oder die Krümel auf dem Herd. Oder die braunen Stellen auf dem Abtrockentuch. Sorry Ma, aber ich war das immer, die sich die Finger an den Abtrockentüchern abgewischt und die Feuchtigkeit auf dem Boden immer mit den Socken weggewischt hat. Ich habe auch immer großzügig die Milchflecken auf der Kühlschranktür übersehen – und Cornflakeskrümel landeten irgendwie immer auf dem Boden.
Natürlich ist das deutsche Übergenauigkeit. Hier ticken die Uhren etwas anders. Ich gebe mir also die größte Mühe die deutsche Exaktheit nicht Überhand gewinnen zu lassen: Heute habe ich zum Beispiel die Küche unter Kabastaub gesetzt, als ich den Kakao in eine Tüte umfüllte. Roch wirklich wunderbar. Roch nach Heimat. Inzwischen ist der Kaba auch in meinem Magen und die zwei Turteltauben zurück von der Zigarettenpause. Ich könnte das Küchen 1x1 jetzt natürlich mit dem Wasch 1x1 und der "Welches bunte Mittelchen nehme ich für die Toilette und welches für den Boden"-Frage fortsetzen, aber ich fürchte, dass ihr mir da draußen dann einschlaft. Das wiederum ist nicht sehr förderlich für einen Blog, der doch bitte gern gelesen werden will, auch wenn er immer behauptet, dass ihm das Schnurz ist.
Weinfest
Also Sonntag. Sonntag war Weinlesefest hier in Tótvázsony, auf Ungarisch heißt Weinlese „szüred“. Das klingt jetzt nach Oktobersonne, Wein, Traubensaft, heißen Maronen und Trauben. Klingt richtig – war es aber nicht für mich. Für mich bedeutete es Arbeit, zuweilen auch hektische Arbeit, denn ich wurde ziemlich hin und her gescheucht. Sobald ich einen Moment still stand, wies mich mein Chef darauf hin, ich solle doch Bilder machen. Am Ende waren das 437 in drei Stunden. Macht etwas mehr als 100 Bilder pro Stunde und mehr als ein Bild pro Minute. So viel zur Statistik. Leider fand ich etwa 80% der Bilder auch nicht wirklich gelungen. Aber davon einmal abgesehen, war das Fest wirklich super!
Ich habe Anikó und ihre Schwester getroffen und Mariann, Änikö, Tünde, Istvan und Lobo (dem ich nach meinem jüngsten Pálinka-Erlebnis aber wohlweißlich etwas aus dem Weg gegangen bin – ich rede immer etwas zu viel, wenn ich nicht mehr ganz nüchtern bin). Auch das Programm war für so eine kleine Stadt nicht schlecht: ein kleines Theaterstück (das ich leider nicht verstanden habe), eine Gruppe mit ungarischen Volkstänzen und schließlich noch eine kleine Wein- und Marmeladenauktion. Natürlich habe ich auch wieder kräftig probiert *hehe*. Toastbrot mit Schmalz, Tomaten und Salz; Palatschinken mit selbst gemachter Hagebuttenmarmelade, heiße Maronen (die wir am Freitag noch selbst im Wald zusammengesucht haben) und den besten weißen Glühwein, den ich jemals getrunken habe. Wirklich sehr lecker. Allerdings war ich am Ende des Tages so müde, dass ich um 21 Uhr ins Bett bin und bis morgens um halb neun geschlafen habe – fast 12 Stunden. Mich konnte nicht mal mehr Spiderman III wach halten. Ungarn ist anstrengend.
Momente wie diese
Von einem lustigen Montagabend im Nationalitätenclub, bei dem ich nicht nur "Im Böhmerwald" und "Morgen will mein Schatz verreisen" sang, sondern auch die große Ehre erhielt, als "fiú" (Junge, Mann) einen ungarischen Volkstanz zu lernen und sogleich zu einem Auftritt am Sonntag zu einem "Tag für ältere Leute" eingeladen wurde, lande ich schließlich heute Mittag bei einem Pferdestall in der ungarischen Pampa. Ich warte auf Csábá batschi, meinen Reitlehrer, der sich eigentlich um "half past five and today" mit mir treffen wollte.
Der bereits oben genannten deutschen Übergenauigkeit und Pünktlichkeit folgend, bin ich bereits fünf Minuten früher da, setze mich auf den Gepäckträger meines super tollen roten Damenfahrrads, bei dem die Gänge irgendwie haken – oder ich zu doof bin, um die Schaltung zu verstehen –, strecke die Nase in die Oktobersonne und warte auf Csábá batschi.
Es ist einer jener Momente, in der die Welt auf einen ganz kleinen Teil zusammen schrumpft und sich alles bei einem selbst konzentriert. Die Sonne steht tief und bescheint ein weites braun-goldenes Land. Beige Maisstauden, dunkle, umgeackerte Erde, die sich am Horizont zu einem niedrigen Berg emporschwingt. Ein Schwarm weißer Vögel fliegt darüber hinweg. Dazwischen die Straße zwischen Veszprem und Nagyvázsony. Rechts im Bild erheben sich dunkel bewaldete Ausläufer des Bakonygebirges mit einem Fernsehturm. In meiner Nähe blökt eine Herde Schafe, hinter mir befindet sich der Pferdestall. Ungarn ist ein herrliches Land. Ich fühle mich ruhig, wohl. In diesem Moment passt alles. Was macht es bei so einem wunderbaren Bild schon, dass Csábá batschi auch noch nach zwanzig Minuten auf sich warten lässt?! Allein schon für diese herrliche Atmosphäre hat es sich gelohnt sich mit dem Drahtesel in halsbrecherischem Tempo die Straße hinunter zu stürzen.
Schließlich nehme ich mein rotes Damenrad und mache mich auf den Heimweg, um dabei noch ein paar Walnüsse zu sammeln, die überall am Wegesrand liegen.