Do You Want the Truth or Something Beautiful?
Kulturschock und die Rettung durchs On-Arrival training.
Das ist die Frage, die immer wieder in meinen Kopf kommt. Nicht die berühmte Shakespeare-Frage: „Sein oder nicht sein?“ Nein. Nur die eine Frage: Wollt ihr die Wahrheit oder einfach nur etwas Schönes? Und ich kann die Frage nicht beantworten. Ich weiß nicht, was euch lieber wäre. Denn ich bin gerade mitten in meinem Kulturschocktief. Und alles, was ich schreiben möchte, was ich praktisch herausschreien möchte, wird nicht nur die Schönheit Aserbaidschans beschreiben. Es wird aber auch nicht die Wahrheit sein. Denn ich bin genau in der Phase, in der mich alles überfordert. Ich möchte einkaufen oder einfach nur zur Arbeit gehen. Aber alle starrenden Menschen – und ja, sie starren – sind zu viel. Und dann ist da das Kommunikationsproblem. Natürlich konnte ich mir vorher fünfundzwanzig mal sagen, dass in Aserbaidschan nur indirekt kommuniziert wird und das es deswegen anders ablaufen wird. Aber es ist doch was anderes, theoretisches Wissen praktisch umzusetzen. Wie kann ich kommunizieren, ohne, dass ich das, worüber ich eigentlich reden möchte, nicht anspreche? Wie funktioniert das? Sagen wir, ich will über Solarenergie reden. (Das ist ein ziemlich willkürliches Beispiel in einem Land, dass Erdöl und Erdgas fördert.) Dann müsste ich also über das Wetter und die Sonne im allgemeinen sprechen und das Wort Solarenergie nicht nennen? Das ist sehr, wirklich sehr verwirrend für mich.
Es sind diese vielen Kleinigkeiten, die in der Summe das ausmachen, was mich herausfordert. Jeden Tag, jede Minute, jeden kleinen Moment. Es ist spannend, natürlich. Und aufregend. Und gleichzeitig so Kräftezehrend und ermüdend. Das kann aber auch vielleicht daran liegen, dass ich bisher noch nicht viel Zeit zum Reflektieren hatte. Heute ist praktisch einer der ersten freien Tage. Und das liegt nur daran, dass wir beide (also mein Mitfreiwilliger und ich) mit Erkältung flach liegen. Da bietet es sich an, dass ich die Zeit nutze, um zu reflektieren und zu schreiben. Denn die letzten Wochen habe ich nicht gewusst, was ich schreiben soll. Wie drücke ich aus, was ich momentan fühle? Wie beschreibe ich meinen Kulturschock? Das Wort kann so ziemlich alles bedeuten. In China hatte ich einen Kulturschock. Klar. Aber er war intensiv und dann konnte ich schnell wieder fahren. In der Türkei hatte ich Momente, die mich herausgefordert oder überfordert haben. Aber hier ist es eher ein langsamer Prozess, der sich herangeschlichen hat und durch die Hintertür herein getreten ist. Ich wusste auch, dass er kommen wird. Aber nur, weil mensch auf ihn wartet, heißt das nicht, dass er sich weniger schwierig gestaltet.
Vor zwei Wochen noch hätte ich einen langen Blogeintrag geschrieben, der jede kleinste Kleinigkeit hier vor Ort auseinandergenommen hätte. Aber das ist nicht fair. Nur, weil es anders ist, muss es nicht schlecht sein. Also habe ich lieber nichts geschrieben. Und dann hatten wir endlich unser „On-arrival training“ in Georgien. Für dieses Training werden viele Europäische Freiwillige, die in verschiedenen Orten im Südkaukasus arbeiten, zusammengebracht, damit sie ihre Erfahrungen austauschen können und durch die Trainer einen besseren Einblick in die lokale Kultur bekommen. Und genau dort knallten die Erfahrungen der anderen Freiwilligen (keiner von ihnen absolviert den Freiwilligendienst in Aserbaidschan, sie sind alle in Georgien oder Armenien) auf meine. Es gab Übereinstimmungen und es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass andere ähnliche Erfahrungen oder Probleme haben. Und gleichzeitig hieß es ständig von den Trainer: „Also, es ist ungefähr so-und-so im Südkaukasus, aber in Aserbaidschan ist es anders. Da ist es wesentlich schwieriger.“ Und die anderen Teilnehmer waren fasziniert von unseren Erlebnissen. Und vielleicht auch geschockt. Und genau dann, in diesem Moment, kamen Gefühle, von denen ich nicht wusste, dass sie da sind. Und alle Momente der letzten Woche kamen gleich mit zurück. Denn dieses Training bot eben auch Zeit zum Reflektieren. Und damit Zeit, sich seinen Gefühlen zu stellen. Eine Tatsache, die mich völlig überforderte.
Doch nach der Hälfte des Trainings fand ich zu mir selbst zurück. Und konnte endlich wirklich aufnehmen, was die Trainer an Tipps mit gaben. Und die Sympathie und das Verständnis, das die anderen Teilnehmer mit uns teilten. Und das half sehr. Ich kann nicht beschreiben, wie viel ruhiger ich schon während des Trainings geworden bin. Wie es manchmal einfach hilft, erinnert zu werden, an das, was mensch eigentlich wollte. Warum ich hier bin. Und das es okay ist, wenn ich nicht alles für gut befinde. Es ist eben nur die Frage, wie ich damit umgehe. Ablehnung, was in letzter Zeit häufig bei mir vor kam und eben doch eine ganz normale Reaktion ist, hilft eben nicht. Vielmehr erinnerten mich die Trainer daran, offen zu sein und zu akzeptieren. So, wie ich mich eigentlich auch selbst beschreiben würde. Aber es gibt eben Momente, in denen ich mich zurückziehe und mich nach bekannten Mustern sehne. Und wie gesagt, das ist völlig in Ordnung. Ich muss mich nur daran erinnern, dort nicht zu verharren. Und das ist die Herausforderung der nächsten Wochen. Ruhiger bin ich wieder, jetzt muss ich mich wieder öffnen und Unterschiede respektieren. Und ich bin mir sicher, dass ich das schaffe. Durchhalten, das kann ich. Und damit geht’s in die nächste Runde.
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