Die ungarische Sprache - Ein Buch mit sieben Siegeln
Wer als Freiwillige/r nach Ungarn geht, wird mit vielen Hürden konfrontiert. Eine davon, die vielleicht größte, ist die ungarische Sprache. Doch warum ist Ungarisch so besonders, so isoliert, so alleinstehend im europäischen und sogar weltweiten Sprachenspektrum und was macht das Erlernen für Außenstehende so schwer?
Seit nunmehr einem Jahr beiße ich mir am Ungarischen mehr oder weniger die Zähne aus. Ich hatte seit dem Kindergarten Französisch, danach ab der sechsten Klasse Latein, dann ab der achten Klasse Englisch und ich würde sagen, dass es mir gut gelingt auf Englisch und Französisch zu kommunizieren. Ich hatte immer eine gewisse Sprachaffinität, ein gewisses Interesse daran, Sprachen zu lernen, um dadurch mit anderen kommunizieren zu können, die meine Muttersprache Deutsch nicht sprechen. Sprachenlernen ist in meinen Augen sehr wichtig, da es einem unfassbar viele Türen öffnet. Das Problem am "Schullernen" ist vielleicht einerseits der oft trockene und realitätsferne, textbasierte Unterricht und andererseits die Tatsache, dass man sich in dem Alter oft noch gar nicht ausmalen kann, wie nützlich die paar Jahre Schulenglisch irgendwann mal sein könnten.
Auch wer reisen will, sollte heutzutage zumindest ein Minimum an Englisch beherrschen, denn wer macht sich schon die Mühe, immer die Landessprache zu lernen, bevor er/sie irgendwo hinfährt? Stattdessen vertraut man meist auf die eigenen Englischkenntnisse, denn Englisch ist die „lingua franca“, die „common language“, die heutzutage allgegenwärtig ist, und von der man ausgeht, dass sie zumindest in Grundzügen überall verstanden wird. Doch hier kommt das Problem! In Ungarn wird oft vor allem auf dem Land – wie das vermutlich auch in vielen anderen Ländern der Fall ist – besonders von der älteren Bevölkerung Englisch oftmals weder aktiv gesprochen noch verstanden. Wer jedoch als Freiwillige/r ins Ausland geht, der tut dies im Idealfall in der Hoffnung auf kulturellen Austausch und ein Minimum an Kommunikation und Dialog. Es bleibt einem letztlich also nichts Anderes übrig, als die Sprache zu lernen. (Ich muss jedoch zugeben, dass ich hier oftmals noch Glück habe, da in unserem Dorf erstaunlich viele Leute Deutsch sprechen. Das liegt an der Geschichte Ungarns und daran, dass Nagyvázsony ein besonderer Fall ist, da es sogar eine deutsche Eigenverwaltung gibt.)
Doch zurück zum eigentlichen Thema. Wer also motiviert genug ist, sich an die ungarische Sprache heranzutrauen, ohne sich davon abschrecken zu lassen, dass es die schwierigste Sprache Europas ist und es darüber hinaus im weltweiten Vergleich hinter beispielsweise Chinesisch und Arabisch auf Platz vier der schwierigsten Sprachen schafft, dem werden folgende Dinge auffallen: Ungarisch gehört zum finno-ugrischen Sprachzweig und ist damit keine indo-germanische Sprache. Es sind Einflüsse aus dem Lateinischen, Finnischen, Italienischen, Deutschen, usw. erkennbar und dennoch ist Ungarisch weit entfernt von all diesen Sprachen. Die Sprache selbst birgt verschiedenste Schwierigkeiten.
Da wäre zum einen die Aussprache, die für viele Nicht-Ungaren etwas gewöhnungsbedürftig ist. Das ungarische Alphabet umfasst nicht wie das deutsche Alphabet 26, sondern 44 Buchstaben. Unterschieden wird hierbei zum Beispiel in lange und kurze Vokale wie bei „a“ und „á“ oder „ö“ und „ő“. Hinzu kommen Sonderlaute wie „gy“ (Aussprache: „dj“) oder „ny“ (Aussprache: „nj“). Für Deutsche ist es außerdem schwierig, dass das ungarische „s“ wie ein deutsches „sch“ und nur das ungarische „sz“ wie ein deutsches „s“ ausgesprochen wird. Nicht zu verwechseln ist das ungarische „s“ außerdem mit ähnlichen Lauten wie „dzs“, „zs“ oder „cs“
Zum anderen besitzt die ungarische Sprache 35 (!) Fälle, zur Erinnerung im Deutschen gibt es vier (Nominativ, Dativ, Genitiv und Akkusativ) und daran scheitern viele schon regelmäßig. Diese Zahl entsteht dadurch das Ungarisch eine agglutinierende (von lat.: „agglutinare“, ankleben) Sprache ist, die keine Präpositionen, sondern sogenannte „Suffixe“ besitzt. Das heißt, im Ungarischen bedeutet z.B. „Veszprémbe“ so viel wie „nach Veszprém“, oder „Veszprémben“ „in Veszprém“. Die Endungen existieren hierbei manchmal in mehr als einer Form und werden dann nach der sogenannten Vokalharmonie ausgewählt und angehängt. Wer z.B. nach „Nagyvázsony“ möchte, sagt aufgrund der Vielzahl dunkler Vokale nicht „Nagyvázsonybe“, sondern „Nagyvázsonyba“. Es gibt aber nicht nur keine Präpositionen, sondern beispielsweise auch keine Possessivpronomen wie „unser“ oder „dein“. Stattdessen hängt man auch hier einfach eine Endung ans Wort an. So bedeutet z.B. „az autóm“ „mein Auto“ oder „anyanyelvünk“ „unsere Muttersprache“, usw.
Doch das Ungarische hat auch einige Vorteile gegenüber anderen Sprachen wie z.B. dem Deutschen. So gibt es beispielsweise nur ein oder je nachdem wie man es sieht kein Geschlecht und nicht wie im Deutschen gleich drei. Die Artikel „a“ und „az“ unterscheiden demnach nur, ob das darauffolgende Wort mit einem Vokal oder Konsonanten beginnt. Außerdem ist die Aussprache dann, wenn man sie verstanden hat, äußerst logisch und es gibt fast keine Ausnahmen. Im Englischen kann beispielsweise „ea“ völlig verschieden ausgesprochen werden, siehe „bread“ und „heat“ oder sogar „read“ und „read“, je nachdem, ob es sich um die Präsens- oder die „simple past“-Form handelt. Oder es verändert sich bei den Worten „woman“ und „women“ nicht etwa die Aussprache von „a“ und „e“, sondern die des „o“s. Und auch das Deutsche ist dahingehend oft schwierig. So weiß ein Ungar z.B. nicht, warum das erste „e“ in „Regen“ lange ausgesprochen wird (die ungarische Schreibweise wäre „Régen“) und z.B. das gleiche „e“ in „Ben“ schnell ausgesprochen wird (und das, obwohl der Name „Ben“ beispielsweise keine zwei „n“ aufweist).
Generell ist Ungarisch an sich auch sehr logisch und ich bin an einem Punkt, wo ich mir Vieles herleiten kann und auch viel verstehe, wenn die Leute nicht zu schnell reden und ich die Wörter kenne. Die sind übrigens das vielleicht größte Problem, da man sie sich kaum herleiten kann und auf den ersten Blick alle gleich aussehen. Zudem bauen viele Wörter aufeinander auf und schon wenige Buchstaben am Ende des Wortes ändern die gesamte Bedeutung. (Ein kurzes Beispiel: „igaz“ bedeutet „richtig“, „igazság“ „Wahrheit“, „igazságtalan“ so viel wie „wahrheitslos“ oder „ungerecht“, „igazságtalanság“ „Ungerechtigkeit“, „igazságtalanságunk“ „unsere Ungerechtigkeit“, usw.).
Letztlich ist Sprachen Lernen immer auch eine Frage der Motivation und ich werde weiterhin mein Bestes geben, da sich die Leute meist schon über die kleinsten Bemühungen freuen.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Agglutinierender_Sprachbau
http://www.albanianz.de/sprache/schwierigsten-sprachen-der-welt/