Die Technik – ein Segen oder doch ein Fluch?
Eine kritische Reflexion zu unserem digitalen Konsum, verknüpft mit einem literarischen Vergleich - ein Gedankenanstoß
Seit einem Monat bin ich wieder in Deutschland unterwegs. Aufgrund der Tatsache, dass ich während meines EFDs in einem 100 Seelen-Dorf gewohnt habe, kam ich – außer im Urlaub – nicht in den Genuss von riesigen Menschenmassen. Mittlerweile steht aber das Studium vor der Tür und ich nenne mich nun eine Großstädterin.
Abgesehen von der Landschaft, die sich beträchtlich verändert hat, habe ich auch noch eine sehr markante andere Änderung wahrgenommen. Hier in Deutschland sitzen mehr oder weniger ausnahmslos alle vor ihren Handydisplays.
Ob man auf die Bahn wartet, auf dem Weg irgendwo hin ist, oder im Bus oder Zug sitzt; die ganze Zeit ist man von seinem besten Freund begleitet. Nein, ich spreche nicht von einem Menschen aus Fleisch und Blut. Ich meine das kleine rechteckige technische Gerät, welches bei mittlerweile beinahe 50 Prozent der deutschen Bevölkerung verlässlich in der Hosentasche schlummert. Das Smartphone. Das „Phone“ ist, wie es bereits vom Namen her vermuten lässt, smart. Aber sind wir es auch, wenn wir unseren ständigen Begleiter nicht mehr aus der Hand nehmen? Können wir uns smart nennen, wenn wir der Realität die unendlichen Weiten der sozialen Netzwerke vorziehen und es sich mehr um die Anzahl der Likes als die gewechselten Lächeln dreht? Ist das Smartphone wirklich eine so smarte Erfindung?
Keine Frage, das kleine Ding hat uns vieles erleichtert. Generell hat die zunehmende Technisierung vieles möglich gemacht, an was früher nicht zu denken war. Die Kommunikation untereinander kann durch mehrere Fingerwischbewegungen und einiges Tippen aufrecht erhalten werden. Durch die uns zur Verfügung stehenden Mittel, ist die Welt näher zusammen gerückt. Wenn ich möchte, kann ich sofort mit Freunden in Südamerika skypen; wenn ich will, die neuesten Nachrichten lesen und am besten auch noch meine Mails checken. Zeit ist Geld. Das Leben ist schnell. Aber ich, ich bin schneller. Natürlich kann ich noch dies bestellen, meinen Urlaub planen, diese eine Mail schreiben und nebenbei eine Party planen. Schließlich habe ich mein Smartphone. Das geht alles locker easy von unterwegs…
…oder etwa nicht? Sind wir mal ganz ehrlich: Es gibt zwei Gründe, warum das Smartphone sich einer immer größeren Beliebtheit erfreuen kann. Erstens ist da das Gefühl von Produktivität, das es uns verleiht. Auch wenn ich unterwegs bin, kann ich etwas leisten. Etwas in Gang halten oder in Schwung bringen. Doch neben der scheinbaren Produktivität, bietet es uns noch viel mehr. Fühlen wir uns alleine, fühlen wir uns unwohl, wollen wir gerade nicht mit anderen sprechen; unser Smartphone ist immer da für uns. Es versteht uns. Dabei handelt es sich bei dem vermeintlichen „Verstehen“ viel mehr um eine Verdrängungstaktik. Wenn uns eine Situation unangenehm ist, können wir uns in den Tiefen unseres Handys verkriechen. Somit werden wir für unsere Mitmenschen unerreichbar.
Diese paradoxe, vom Smartphone ausgehende Unerreichbarkeit – denn schließlich soll es doch der ständigen Erreichbarkeit dienen - erinnert stark an den bereits 1953 erschienen Roman „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury . Zu einer Zeit, in der die Technik noch lange nicht so ausgefeilt war wie sie heute ist und an Smartphones noch nicht zu denken war, erschafft er eine Welt, in der das Lesen von Büchern per Gesetz verboten ist. Wenn sich doch einmal ein Buch in den gutbürgerlichen Haushalt verirrt, wird es direkt von der Feuerwehr, deren Aufgabe es ist alles Lesematerial zu zerstören, vernichtet. Statt Bücher zu lesen und tiefgehende Gespräche miteinander zu führen, soll sich die Gesellschaft einer Dauerberieselung aussetzen. Anstatt diese Lebensweise zu hinterfragen, flüchten sich beinahe alle Figuren in dem besagten Roman in die totale Zerstreuung.
Als Montag, der Protagonist der Geschichte, langsam beginnt umzudenken und zum ersten Mal seit langer Zeit ein Buch in die Hand nimmt, realisiert er, wie unterwürfig und unmündig sich die Gesellschaft verhält. Abgestumpft werden Informationen empfangen und ohne jegliche Gefühlsregung zur Kenntnis genommen. Nichts kann die abgeklärten Mitmenschen Montags noch schockieren.
Seine Frau Mildred kann als das Paradebeispiel schlechthin für die bedingungslose Hingebung der Zerstreuung gesehen werden. Wenn sie gerade nicht von ihren lästerfreudigen Freundinnen umgeben ist, hat sie zwei Lieblingsbeschäftigungen. Äußerst gerne verbringt sie Zeit in ihrem Wohnzimmer, welches mittlerweile durch eine dritte Fernsehwand ergänzt wurde. Somit kann sie ihre Lieblingssendung, ihre „Familie“, nun beinahe lebensecht verfolgen. Dies tut sie auch leidenschaftlich. Die Sendung wird mehr und mehr ihr Lebensinhalt. Ihre Beziehung zu ihrer „Familie“, welche durch Interaktion in Dialogform verstärkt wird, gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Die langweilige Realität kann da irgendwann nicht mehr mithalten. Ihre Ehe mit Montag verliert sie mehr und mehr aus den Augen.
Und wenn es schließlich Zeit wird schlafen zu gehen, werden sich die „Ohrmuscheln“ - aka Kopfhörer – übergestreift und die Dauerberieselung beschränkt sich „nur“ noch auf die auditiven Reize.
Als ich Bradburys Dystopie gelesen habe, war mir anfangs seine Aktualität nicht bewusst. Je mehr man aber über den Inhalt nachdenkt, desto offensichtlicher fallen einem die Parallelen zur heutigen Gesellschaft auf. Unsere Leidenschaft der Realität mit Handy, PC, Tablet, Kopfhörern und Fernseher zu entfliehen, lässt sich sehr klar in dem von Bradbury gezeichneten Bild wieder finden.
Ich möchte nicht, dass wir so enden wir Mildred. Paralysiert vor unseren Bildschirmen mit Kopfhörern im Ohr. Ändern kann man sich. Immer. Zu spät ist es nie. Doch genau das ist der Punkt: Wollen wir uns ändern? Momentan lebt es sich doch ganz gut. Oder vielleicht doch nicht…?