Die schwarzen Städte
Die Mährisch-schlesische Region - eine Ansammlung von riesigen, grauen Fabrikgebäuden, tausend, sich windenden Rohren und monströsen Kaminen, die Tag und Nacht Rauchwolken in die Luft pumpen.
Eine kleine Auseinandersetzung mit der tschechischen Mentalität und der totgeschwiegenen Problematik der Schadstoffbelastung.
Situation 1:
„Hey, woher kommst du denn?“ „Aus Třinec!“ „Haha, du Arme!! :D “
Situation 2:
Freitag Nachmittag. Hockey-Zeit in Třinec. Während ich mit dem Bus von der Arbeit heimfahre, sehe ich bereits viele Fans zum Stadion laufen. Dann am Bahnhof: ein kleines Grüppchen, das dem Gegnerteam Sparta Praha angehört. Und was haben sie an? Neben der Standardausrüstung, Trikot & Fanschal, tragen sie Mundschutzmasken!
Warum?
In meinem schönen, grauen Třinec wird ein Drittel der tschechischen Stahlproduktion hergestellt! Egal ob man mit dem Zug oder Auto anreist, kein Weg führt an dem riesigen Fabrikkomplex „Třinecké železárny“ (Trzynietzer Stahlwerke) vorbei. Riesige, graue Gebäude, tausend, sich windende Rohre und monströse Kamine, die Tag und Nacht eine Feuerflamme oder Rauchwolken in die Luft speien. Der Mährisch-schlesische Landkreis ist das Zentrum der Schwerindustrie. Ostrava, die drittgrößte Stadt Tschechiens, wird auch das „Stahlherz der Republik“ genannt.
Neben dem Auftreten als Sponsoren von Sportteams (unser Hockeyteam heißt „HC Oceláři Třinec“ = „die Stahlarbeiter aus Třinec“) oder der enormen Anzahl an Arbeitsplätzen, die durch die Ansiedlung der Fabrik geschaffen wurden, bringt das ganze aber auch einen offensichtlichen Nachteil mit sich: Ostrava gilt als eine der „schmutzigsten Städte der EU“. Besonders im Winter herrscht Dauer-Smog-Alarm und die Stadt hüllt sich in eine graue Wolke. Dass dadurch die Natur stark beeinflusst wird, betrachtet sich als selbstverständlich. Dass aber auch die Bewohner in Mitleidenschaft gezogen werden, wird gerne totgeschwiegen.
Ein Artikel der Zeitung „Zeit“ (http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2013-02/luftverschmutzung-tschechien) „Für Ostravas Kinder ist Atmen lebensgefährlich“ öffnete mir die Augen. Natürlich war mir vorher bewusst, dass die riesigen Kamine Auswirkungen auf die Luft und die Umwelt haben. Die Erkenntnis aber über das wahre Ausmaß, dass zum Beispiel in Schulen Ostravas im Winter „Inhalieren“ auf dem Stundenplan steht, Neugeborene im ersten Lebensjahr vermehrt an Lungenentzündungen erkranken und die Kinder aufgrund des Stadt-Smogs nicht draußen spielen können, schockierte mich!
Und mir drängte sich die Frage auf: Warum macht niemand etwas dagegen? Warum setzt man sich ohne einen Mucks zu sagen all den lebensbedrohlichen Schadstoffen aus?
Klar gibt es ein paar Wenige, die versuchen Aufmerksamkeit für diese Problematik zu gewinnen und hierfür ab und an Demonstrationen veranstalten. Eine organisierte Gemeinschaft besteht aber nicht. Wohingegen man sich für den Schutz der Wälder und Berglandschaften wie verrückt engagiert, wird das „Problemchen“ in der schlesischen Region einfach vergessen. Doch weshalb?
Nachdem ich mich mit ein paar Bekannten darüber unterhalten habe, drängten sich mir zwei mögliche Antworten auf.
Zum einen liegt es an der politischen Einstellung, natürlich nicht aller, aber vieler Tschechen. Passivität und Akzeptanz anstelle von Verantwortungsbewusstsein und Initiative. Lieblingssatz: „Gegen die korrupten Machtstrukturen kommen wir kleinen Bürger eh nicht an“ Leider wurde diese These auch in dieser Angelegenheit bestätigt. Die Kinderärztin Eva Schallerová, die Nachforschungen und Befragungen zur Luftverschmutzung in Ostrava leitete und abschließend einen Bericht mit beweislastenden Ergebnissen an das Gesundheitsministerium schickte, erreichte lediglich die Antwort „Zwischen den Erkrankungen von Anwohnern und dem ansässigen Unternehmen kann kein Zusammenhang festgestellt werden.“ Das Kommentar meiner Kollegin: „Die tschechische „Mafia“ ist und bleibt überall!“.
Zum anderen hindert die Integration der Unternehmen in das Stadtleben, die Bewohner zum Eingreifen zu bewegen. Als Förderer der städtischen Entwicklung, von Vereinen und von kulturellen Veranstaltungen, ist in Třinec „Třinecké železárny“, gefühlt, mit dem gesamten Gesellschaftsleben verbunden. Zudem löste die Ansiedlung des Unternehmens einen enormen Bevölkerungszuwachs aus, wodurch folglich heutzutage ein großer Teil der Bewohner bei „Třinecké železárny“ beschäftigt ist. Ein Aufruf gegen das Unternehmen wäre somit für viele ein Eigentor. Also lieber ruhig sein, einen sicheren Arbeitsplatz und ein festes Einkommen haben. Um dabei kein schlechtes Gewissen zu bekommen, fallen dann desöfteren billige Ausreden wie „All die Abgase werden eh vom Wind nach Český Těšín und nicht ins Stadtzentrum getragen!“ (Klar. Und warum auch nicht einfach andere mit den eigenen Schadstoffen belasten?!) und „Inzwischen sind wir immun gegen die Schadstoffbelastung.“.
Die Ironie, die in solchen Aussagen mitschwingt, scheint der Sprecher, nicht einmal zu bemerken. Schade. Da sieht es fast so aus, als bliebe auch mir nichts anderes übrig, als die frische, natürliche Luft im Stadtpark zu genießen, ein Loblied auf die teuren, neueingekauften Spieler von "HC Oceláři Třinec" zu singen und selbstverständlich in erster Linie: Český Těšín zu meiden!