Die Kunst der Balance
"Aller Abschied ist schwer" heißt es so schön. Aber verstehen wir wirklich was damit gemeint ist?
Als ich mein Jahr in Polen begonnen hatte, war ich mir nicht darüber im Klarem wie sehr es mein Herz erobern würde. Ich war mir aber auch nicht im Klarem, welche Aufgabe da vor mir stand.
Obwohl ich jetzt erst vier Projekte hinter mir habe, weiß ich das dieses Jahr viele Herausforderungen mit sich bringen wird. Zum einen die nie einkehrende Routine und das ständige Sozialisieren mit neuen Menschen, aber vor allem das ständige Abschied nehmen.
Ich habe vielleicht erst hier gemerkt was „aller Abschied ist schwer“ wirklich bedeutet. Egal ob eine geliebte Person von uns geht, wir eine langjährige Institution verabschieden müssen oder eine tolle wundervolle Erfahrung und Geschichte hinter uns lassen: Abschied wird nie leichter.
Obwohl wir Menschen Lernwesen sind und uns stetig entwickeln, können wir nicht schlauer werden, wenn es um das Thema Abschied geht. Es gibt kein besonderen Trick, um die Trauer zu umgehen und wir können ihr auch nicht fern bleiben, egal wie gerne wir es auch wollten.
In den letzten beiden Monaten musste ich zahlreiche Leute verabschieden. Und jede Verabschiedung war verschieden und anders.
Das letzte Lächeln von dem wunderbaren alten Ehepaar, die beim Tandemsprachkurs mit mir tagein tagaus philosophiert hatten.
Der letzte Witz von einem Mitgefährten auf dem Weg des Polnisch Lernens.
Der dankbare Händedruck, eines Gastes, der mehr sagte als tausend Worte.
Das tiefe Schluchzen in meinem Halse als ich erfuhr, dass meine Koordinatorin gehen müsste.
Die unbeholfene Umarmung der deutschen Lehrer, die nicht wussten wohin mit ihren ganzen Gefühlen.
Der Blick einer Frau, der mich verspüren ließ, wie sehr ihr diese Erfahrung bedeutete.
Und zuletzt das Wissen, dass man jemanden ganz besonderen getroffen hatte und man ihn gehen lassen musste.
Es ist somit kein Wunder, das in mir eine ständiges Chaos der Gefühle herrscht. Immerhin braucht Trauer Zeit, aber von der haben wir hier leider wenig. Ein Projekt kommt, ein anderes geht.
Somit ist es leicht nachzuvollziehen, warum mein Koordinator so distanziert ist. Wenn man jedes Projekt mit seinem Herz angehen würde, würde man zerbrechen. Auch ich habe angefangen eine gewisse Distanz zu bewahren, aber diese Distanz hat Kosten. Sie bedeutet nicht vollkommen in einem Projekt anzukommen, sie bedeutet eine Möglichkeit weniger, die euphorischen Gefühle einer Begegnung zu spüren, sie bedeutet den Moment nicht voll auszuschöpfen.
Sie bedeutet kein Teil der Gruppe zu werden.
Aber ich will ein Teil der Gruppe sein. Obwohl ich weder zu den Lehrern noch zu den Schülern gehöre, bin ich am Ende des Tages doch Beides. Ich entscheide wie viel Nähe ich zulasse und wie viele Grenzen ich setzte. Ich bin Lehrer und Schüler. Ich organisiere und koordiniere und mache zugleich Nonsens.
Ich bin die Freiwillige. Nicht eins, nicht keins, sondern Beides.
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