Die Grundlage des Lebens
Wie die Arbeit eines Freiwilligen in einem Behindertenheim in Russland aussieht im Vergleich zu den Aufgaben eines deutschen Freiwilligen.
Ich habe schon über die Situation von behinderten Menschen in Russland geschrieben, zum besseren Verständnis trotzdem noch einmal eine kurze Zusammenfassung:
Die meisten Behinderten werden nach ihrer Geburt in ein Säuglingsheim gegeben, wo sie ohne mütterliche Liebe und ohne Förderung aufwachsen, was den Grad ihrer Behinderung verschlimmern kann.
Mit 4 Jahren werden die Kinder in ein Internat übergeben (etwa ein solches, in dem ich arbeite), wo 13 Kinder pro Zimmer von einer Sanitarka versorgt werden, die nach 24 stündiger Arbeit von der nächsten Sanitarka abgelöst wird. Sanitarkas sind meist Frauen, die keinerlei soziale Ausbildung aufweisen, und mit dieser (in der russischen Gesellschaft) beschämenden und unterbezahlten Arbeit ihr Gehalt aufzubessern. Dementsprechend rau ist der Umgang. Eine Förderung der schwerstbehinderten und schwächsten Kinder besteht nicht.
Wenn das 18. Lebensjahr vollendet ist, werden die Kinder in ein Internat für Erwachsene übergeben, auch dort sind die hygienischen und sozialen Umstände nicht menschenwürdig.
Wenn die Situation von Behinderten in Russland beschrieben wird, taucht immer das Wort "isoliert" auf...
Wer in einem solchen staatlichen Internat arbeitet, der ist kein Staatsangestellter, sondern arbeitet für eine Hilfsorganisation und hat im Heim somit eine Sonderstellung. Hilfsorganisationen wie die unsere, haben mittlerweile so viele Mitarbeiter, dass im Heim andere Strukturen aufgebaut werden können, und gezeigt werden kann, wie alternativ mit Behinderten umgegangen werden könnte.
Wenn in Deutschalnd ein vergleichbares FSJ in einem Behindertenwohnheim geleistet wird, dann ist dieses vom Staat anerkannt und finanziert. Soweit ich das, ausgehend von meinen Praktikumserfahrungen, verallgemeinern kann, bestehen die Aufgaben eines Bundesfreiwilligen in Deutschland erstens in der Pflege und zweitens in der Freizeitbeschäftigung.
Oberflächlich betrachtet könnten unsere Aufgabenbereiche auch so betitelt werden, aber die Ausmaße und die Gewichtung ist grundverschieden.
In deutschen Behindertenschulen betreut eine Lehrerin normalerweise zwei Schüler; hier ist ein Freiwillige für mindestens 12 Kinder zuständig.
Ich kann meinen normalen Tagesablauf kurz auflisten, um unsere Arbeit zu veranschaulichen:
9 Uhr: Frühstück
- Die Freiwilligen und Pädagogen füttern mehrere Kinder, denen ein Frühstück im Rollstuhl statt im Bett und angemessener Zeitspanne (nicht nur 5 Minuten wie bei den Sanitarkas) ermöglicht wird. Teilweise werden die Kleinen danach gewickelt oder auf den Topf gesetzt.
10 Uhr: Ich setze alle gesunden Kinder in ihre Rollstühle und ziehe ihnen ihre Schuhe an, die ihre deformierten Füße wieder ein wenig stabilisieren.
10.30 Uhr: An drei Tagen in der Woche helfe ich der bei mir in der Gruppe arbeitenden Pädagogen bei ihren Morgenkreisen, in denen mit den Kindern einfache Bewegungen zu Gedichten oder Liedern und kleine Spiele durchgeführt werden.
Am Mittwoch ist Banjatag, und alle Kinder werden gebadet. Dabei hilft die Sanitarka, indem sie Kinder aus- und anzieht und abtrocknet.
Bis zum Mittagessen: Zeit zum Laufen üben, Spielen, Musikinstrumente spielen, spazieren gehen...
12:45 Uhr: Mittagessen
Danach lege ich alle Kinder aus den Rollstühlen in die Betten, schmutzige Kinder ziehe ich noch einmal um.
14 Uhr: Zähne putzen.
Danach, manchmal: Besprechungen, Rollstühle putzen, oder Feste oder Ausflüge planen.
Unser Tagesablauf ist sehr klar strukturiert und erlaubt fast nie eine Abweichung, weil alle Aufgaben sehr essentiell sind. Es sind die normalsten Dinge, die wir erledigen, die für die Kinder aber eine große Veränderung zu der Zeit ohne Hilfsorganisations-Mitarbeiter bedeuten.
Ich denke, der größte Unterschied besteht für die Kinder darin, wie sie angefasst werden, darin, dass sie liebevoll angesprochen und angefasst werden und getröstet, wenn sie weinen...