Der Nationalpakt - Eine libanesische Sonderlösung?
Wie vereint man Christen, Schiiten und Sunniten in einem knapp 10.000 km² kleinem Land? Dieser historische Konflikt wurde im Libanon mit dem Nationalpakt gelöst - Eine nachhaltige Lösung für friedliche Koexistenz oder eine tiefgreifende Spaltung des Landes?
Mitte des 19.Jahrhunderts kam es in der bergigen Mittelmeer-Region, die heute das politische Gebiet des Libanons ausmacht, zu Konflikten zwischen den drusischen Feudalherren und christlichen Kleinbauern, welche 1840 und 1860 gewaltsam eskalieren und zu Pogromen gegenüber Christen führten. Unter dem Vorwand die orientalischen Christen schützen zu wollen, mischten sich europäische Großmächte in den Konflikt- Ihr eigentliches Interesse galt aber dem Schutz von Einflussgebieten im Nahen Osten.
Und darin begründet sich der historische Konflikt, dessen Auswirkungen noch heute die libanesische Politik prägen: Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches wandten sich die maronitischen Christen an ihre Schutzmacht Frankreich, und forderten ein autonomes Gebiet unter dem Schutz Frankreichs. Die Muslime der Region jedoch lehnten diese koloniale Lösung ab, und zogen ein unabhängiges Gebiet oder einen panarabischen Riesen-Staat vor. Diese zwei Gegensätze ließen sich tatsächlich erst 20 Jahre später, in den antikolonialistischen Befreiungskämpfen, vereinen, als sie unter einer Flagge gegen die Vormacht Frankreichs kämpften.
In der neugegründeten libanesischen Republik setzen sich allerdings die Machtkämpfe und die Rivalität zwischen Religionen fort: Während die Christen die Politik dominieren und sich durch enge Bündnisse zu westlichen Großmächten wie beispielsweise der USA, Frankreich und Israel versuchen, sich ihre Vormachtstellung zu sichern, wenden sich die Muslime des Landes eher Richtung Osten und bemühen sich um eine Integration in die muslimisch/arabische Welt.
Im Hintergrund dieser Problematik entwickelte sich der Nationalpakt: Um den ewigen Machtkampf zwischen den Religionsgemeinschaften zu schlichten werden die einzelnen Gemeinschaften nach dem Proporzsystem in der Politik berücksichtigt; politische Ämter, Sozialleistungen und öffentliche Investitionen werden proportional an alle religiösen Gruppen verteilt. Dieses Prinzip konnte die innergesellschaftliche Spaltung allerdings nicht verringern und auch den 15-Jährigen Bürgerkrieg letztlich nicht verhindern. Dieser trieb das Land bis an die territoriale Aufteilung, was dann noch durch das Abkommen von Tarif 1989 verhindert werden konnte.
Mit dem Abkommen von Tarif wird auch das konfessionelle Proporz-System reformiert, sodass es nun nicht länger Christen bevorzugt und mehr Partizipationsmöglichkeiten für Bürger bietet: Der Staatspräsident wird von einem Christen dargestellt, der Regierungschef ist immer ein Sunnit und der Parlamentspräsident stellt ein schiitischer Muslim. Auch das Parlament soll nun zur Hälfte aus Christen und zur Hälfte aus Muslimen bestehen - Tatsächlich wurden aber ein Großteil der Reformen nie umgesetzt, weil die amtierenden Machthaber kein Interesse daran haben, ihren Einfluss zu verlieren und das politische System demokratischer zu gestalten.
Viele junge Menschen im Libanon haben aufgrund dieses langwierigen, historischen Konflikts jede Hoffnung und jedes Vertrauen in die Politik verloren – Was könnten sie auch tun angesichts organisierter Korruption, den Interventionen ausländischer Geheimdienste und der tiefen konfessionell-politischen Spaltung? Im Zuge des Arabischen Frühlings gab es auch im Libanon 2011 große Demonstrationen für mehr Demokratie und gegen das korrupte, Schulden-anhäufende politische System, diese wurden allerdings schnell von der schiitischen Hisbollah aufgelöst, und zeigten keine Wirkung.
Wie mir viele Libanesen erklären, ist Politik und Demokratie für sie eine Luxus-Beschäftigung - In ihrem Alltag steht vordergründig existenzielle Sorgen.