Der kleinste Supermarkt der Welt
In ganz Mittel- und Osteuropa ist er aus dem Stadtbild nicht wegzudenken - der Kiosk. In Deutschland vom Aussterben bedroht, erfüllt er im Osten eine wichtige Funktion. Malte Koppe ist dem Phänomen Kiosk nachgegangen.
Sie stehen an jeder Ecke. Kleine bunte Buden mit allem vom Allzweckreiniger über Süßigkeiten bis zur Zeitung. Durch ein kleines Fensterchen tauscht man hier Geld gegen Waren. In Polen lebt der Kiosk! Meist sieht er aus wie ein vom Himmel gefallenes buntes Klötzchen. Die Kommunikation zwischen Kunde und Verkäufer beschränkt sich auf das Allernötigste – das gewünschte Produkt. Bilet, Gazeta oder Papierosy (Zigaretten). Diese Wort hören die Pächter täglich dutzendfach.
Ist es nicht monoton den ganzen Tag in einer engen Bude zu verbringen? Eine ältere Kioskverkäuferin in Lublins Innenstadt widerspricht: "Ich langweile mich nie. Hierher kommen viele interessante Leute. Die meisten holen sich die Tagespresse."
Presseverbreitung - hier liegen die Wurzeln des Kiosks. In den Pariser Parks des 19. Jahrhunderts bedienten die Pavillons den Zeitungshunger des aufstrebenden Bürgertums.
Heute sind die Besitzer der kleinen Kioske in Polen mit dem Ohr direkt an den Bedürfnissen der Kunden. So verkauft der Kiosk am Friedhof auch Grablichter und neben jeder Bushaltestelle erhält man Busticket. Ewelina Kozłowska, Angestellte eines Kiosks nahe der Politechnischen Universität Lublin über ihren Arbeitsplatz: "Das ist eigentlich gar kein Kiosk hier - vielmehr ein Copyshop, der auch Zigaretten verkauft. Die meisten der Kunden sind Studenten."
Die Kioske in Polen sind ein Ausdruck von Geschäftstüchtigkeit gemischt mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit. Viele Menschen zwischen Oder und Weichsel sind selbstständig mit einem kleinen Gewerbe. In Deutschland arbeiten nur 18 Prozent aller Beschäftigten in kleinen Firmen mit unter zehn Mitarbeitern – in Polen sind es fast ein Viertel aller Angestellten!
Der durchschnittliche Westeuropäer erledigt seine täglichen Einkäufe lieber in riesigen, neonbeleuchteten Warenhäuser als im Kiosk. Diese gibt es in Polen auch. Real und Lidl haben ihren Weg nach Osten schon lange gefunden. Und der Marktdruck wirkt sich auch auf den Kiosk aus. Einige Buden sind in der landesweiten Pressedistributionsfirma RUCH (dt.: Bewegung, Verkehr) zusammengeschlossen. Im Sozialismus gehörte jeder Kiosk zwangsweise zum damals staatlichen RUCH. Im Zuge der Liberalisierung der Neunziger nahmen einige findige Privatleute den Kiosk dann in die eigene Hand.
Vom Phänomen Kiosk fasziniert sind auch die Macher des Internetprojekts www.kioskisierung.net.* "Zumindest in jedem von uns lebt er als romantische Erinnerung an die Tage, als wir auf Zehenspitzen nach Lutschern und Eis verlangten.", schreiben sie auf ihrer Homepage.
Die Autoren der Seite haben sich auf den Weg bis nach Moskau gemacht – um Kioske zu erforschen! Das Ergebnis ist eine faktenreiche Sammlung über Büdchen und ihre Besitzer in Mittel- und Osteuropa. Die jungen Forscher interviewten und fotografierten Angestellte und Pächter mit ihrem Gewerbe. Sie stießen dabei auf Blumenkioske, Lotto-Toto-Läden und sogar Altpapiersammelstellen in Kioskformat!
Es ist ihnen gelungen, die Menschen in den Buden zu porträtieren ohne sie bloßzustellen. Ein Vermögen verdienen die Händler nicht, obwohl sie oft zwölf Stunden pro Tag schuften. Und gemütlich ist es nicht in jeder Bude.
Doch was für viele Pächter zählt ist eine ehrliche Arbeit. Diese bietet der Kiosk. Für die Kunden sind sie auch im Jahre 2009 noch nützlich. Denn die nächste Bude ist nie weit.
* Die Resultate des Forschungsprojektes in fünf Sprachen und viele Bilder gibt es hier.