Der erste Schritt über die Grenzen meines Landes - Abenteuer in der Fremde & Suche nach Heimat
Mein Entschluss, zehn Monate im Ausland zu verbringen, war für mich ein großer Schritt, der erste Schritt aus dem Vertrauten ins Unbekannte, und ein Schritt, der vieles mit sich brachte, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Abseits von Gefühlschaos und Reiseerlebnissen, die so ein Auslandsaufenthalt mit sich bringt, möchte ich euch in folgendem Text einen Einblick geben, wie ich dieses Jahr auf der Suche nach der Bedeutung der Begriffe Fremde und Heimat war.
Europa. Dieser seltsame Kontinent, ein zusammengeflickter Teppich voll bunter, ungleicher, mal in die Länge und mal in die Breite gezogener Streifen, wie ein Versuch einer Patchworkdecke aus übriggebliebenen Wollresten. Wandert mein Blick auf die Weltkarte über meinem Bett, die mich daran erinnert, wie klein das Land, aus dem ich komme, ist, und wie groß die weite Welt, so gerate ich ins Träumen und Schwärmen, schmiede ich Pläne und versuche mir vorzustellen, welche Reisen ich in meinem Leben wohl noch unternehmen werde. Begonnen hat dieses Fernweh mit meiner Entscheidung, ein Jahr ins Ausland zu gehen und einen europäischen Freiwilligendienst zu machen.
Wie gut erinnere ich mich an meine zwiespältigen Gefühle vor dem Projektstart vor einem Jahr, gefangen zwischen Vorfreude auf eine neue Erfahrung und der Angst vor dem Verlassen des Vertrauten. Ehe ich mich versah, war ich in der Fremde, genauer gesagt in einem Altersheim in einem kleinen belgischen Dorf an der Grenze zu Frankreich, in dem ich niemanden kannte, niemand meine Sprache sprach und nicht viele etwas über das Land wussten, aus dem ich stamme. Zuvor hatte ich mir nie große Gedanken darüber gemacht, was es für mich bedeutet, eine Österreicherin zu sein. Begriffe wie Heimat und Fremde waren für mich nicht mehr als abstrakte Konstrukte, über deren genaue Bedeutung ich nicht nachgedacht habe. Ich bin Österreicherin, also ist Österreich meine Heimat – dachte ich mir Doch bedeutet Heimat tatsächlich nur das Land, in dem man aufwächst? Und was passiert nun, wenn ich im Ausland lebe? Mit meiner Entscheidung, auf bestimmte Zeit wegzugehen, habe ich Bekanntes und Bekannte hinter mir gelassen, ich bin aufgebrochen, um Neues zu entdecken, um Abenteuer zu leben, um in der Fremde zu erfahren, wer ich bin und was mich ausmacht. Sich alleine zu fühlen habe ich dabei mit in Kauf genommen, ich wusste, dass ich zehn Monate alleine wohnen würde, doch ich habe nicht gewusst, was das wirklich bedeutet, wie einsam „alleine“ sein kann. Es ist eine Sache, etwas zu wissen, und eine andere, es zu erleben.
Dieses Gefühl der Einsamkeit, das ich vorher nicht so kannte, war ich doch immer umgeben von Menschen, die mir etwas bedeuten, Orten, die ich kenne, oder wenigstens meiner Muttersprache, sollte eine der einprägsamsten Erfahrungen dieses Jahres werden. Kaum 1000 Kilometer von zuhause fühlte ich mich fremd, „fehl am Platz“ – wenigstens zu Beginn. Je mehr ich mich an den Gedanken gewohnt hatte, in dem belgischen Ort Blaugies zu wohnen, desto mehr Gedanken machte ich mir gleichzeitig über das, was Heimat bedeutet. Für mich, aber auch für die Menschen, die ich in Belgien kennengelernt habe. Fast immer war es der Ort, aus dem sie stammen der ihnen als erstes in den Sinn kamen. Doch das schien mir zu begrenzt, war ich doch ausgezogen, um Grenzen zu überschreiten.
Was gehört für mich also sonst zum Heimatbegriff dazu? Sprache? Sich verstanden fühlen? Das ist schon wichtiger, wenn man sich plötzlich alleine in einem Projekt wiederfindet, in dem niemand seine Muttersprache spricht. Mit meiner Sprache nehme ich meine Kultur mit in die Fremde, auch wenn ich sie im Alltag nicht spreche, so prägt sie mich doch. Sie definiert, wie ich mich ausdrücke, durch sie kommt es zu Missverständnissen, wenn ich einen französischen Satz allzu wörtlich übersetze; aber durch sie bin ich wer ich bin. Ich spreche viel mit Gesten, ich lebe meine Kultur durch die vielen unbewussten Bewegungen, die ich mache, wenn ich mich auszudrücken versuche, in meiner Körpersprache schwingt mein Temperament mit – ist meine Kultur meine Heimat?
Haben zu Beginn des Jahres die Bewohner des Altersheims, in dem ich gearbeitet habe, Österreich noch nicht gekannt, so haben sie zum Abschied das Gefühl gehabt, die österreichische Kultur zu verstehen, alleine dadurch, wie ich mich verhalten habe. Und als ich mich dann in Belgien daheim gefühlt habe, fielen mir immer mehr Dinge auf, die mich an mein Zuhause in Österreich erinnert haben, wie dunkles Brot beim Bäcker um die Ecke, das eine willkommene Abwechslung zum faden Weißbrot, das normalerweise in Belgien gegessen wird, darstellte; die Art, wie eine Schweizer Bewohnerin beim Stricken ihre Nadeln hielt und damit genauso strickt wie ich; der Blick in die Zeitung, in der ein Urlaub in den Alpen angepriesen wird; der Radetzkymarsch, der beim Basteln aus dem Radio schallt; Milka-Schokolade im Supermarkt, die hier kaum gekauft wird, von der ich mich aber in so manchen Lernpausen daheim ernährt hatte; und natürlich: der Blick in meinen Kleiderschrank, in dem mein Dirndl mich an zuhause erinnerte.
Die Fremde war plötzlich nicht mehr so fremd. Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt, die mir ein Gefühl der Geborgenheit gegeben haben, wie ich es sonst nur von zuhause kannte. Und da war es, dieses kleine Wort: zuhause. Ich fühlte mich heimisch, wo ich so weit weg von meinem „Heim“ war und ich erkannte, dass ich meine Heimat dort finde, wo mich Menschen akzeptieren, so wie ich bin. Ich bin so unglaublich dankbar für die Chance, dieses Jahr an dem europäischen Freiwilligendienst teilnehmen haben zu dürfen, denn auch wenn ich „nur“ von einem EU-Land ins nächste gezogen bin, so habe ich mehr gelernt, als ich mir je erträumt hätte.
Wohin mich meine nächste Reise führen wird? Ich blicke auf meine Weltkarte und habe keine Ahnung, aber ich habe auch keine Angst mehr vor unbekannten Ländern, vor Sprachbarrieren, oder wovor man sich sonst so fürchten kann, wenn man von daheim wegzieht. Sprache ist wahrhaftig nicht alles, was es braucht, um verstanden zu werden und Freunde findet man an Orten, an denen man nicht damit gerechnet hätte. Auch wenn ich lange gebraucht habe, um es zu verstehen, und der Weg dahin nicht leicht war, so kann mir eine Erfahrung keiner mehr nehmen: wie schön es sein kann, in der Fremde eine zweite Heimat zu finden.