Das Mittelmeer - "Friedhof Europas"?
Italien beendet seine Mission zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot und appelliert an die Solidarität der EU-Staaten. Die Agentur Frontex soll die Mission übernehmen. Weniger Geld, weniger Personal stehen zur Verfügung. Zudem soll das Hauptziel nicht mehr Rettung der Flüchtlinge, sondern Grenzsicherung sein. Laut Flüchtlingsorganisationen drohen noch mehr Opfer.
Ein kleines Fleckchen im Mittelmeer ist für viele der scheinbar erlösende Eingang nach Europa: die kleine Insel Lampedusa ist nur 138 km von der Tunesischen Küste entfernt und gehört zu Italien. Vor gut einem Jahr kenterte eines der kleinen Schiffe, mit denen sich die Flüchtlinge auf den Weg machen, wenige Kilometer vor der Küste, 366 Menschen starben. Solche Unglücke sollten nicht wieder passieren, daher wurde die Operation „Mare Nostrum“ ins Leben gerufen. Der italienische Ministerpräsident Renzi sagte, das Mittelmeer dürfe nicht zum „Friedhof Europas“ werden. Marineschiffe und Helikopter patrouillierten viele Meilen von der Küste entfernt auf der Suche nach Booten in Seenot. Rund 100 000 Menschen in Not hat die italienische Marine so vor dem Tod bewahrt. Die Flüchtlingsboote wurden aufgegriffen und die Menschen nach Sizilien gebracht.
Doch so erfolgreich „Mare Nostrum“ auch ist, so teuer sind die Operationen auch für das krisengebeutelte Italien. Rund 9 Mio. Euro kostet monatlich die Rettung der Flüchtlinge. Geld, das in den überfüllten Auffanglagern und Asylbehörden fehlt, die es kaum schaffen, den Flüchtlingstrom zu meistern. Das krisengebeutelte Italien fühlt sich überfordert und alleingelassen. Überfordert von den tausenden Flüchtlingen, die sich täglich auf den Weg nach Europa machen und insbesondere in der Südstaaten ankommen. Da sich die Asylpolitik der EU nach dem Dublin II Verfahren richtet, darf ein Flüchtling nur in dem Land Asyl beantragen, in dem er angekommen ist und dieses auch nicht verlassen. Viele Flüchtlinge reisen dennoch weiter nach Deutschland oder Skandinavien, wo sie sich Unterstützung erhoffen.
Alleingelassen fühlt Italien sich dennoch von den EU-Staaten, die seit einem Jahr zuschauen, wie das Land die Rettungsmissionen im Alleingang durchführt. Denn bei „Mare Nostrum“ geht es in erster Linie nicht um Immigration und Asylpolitik, sondern um die Rettung von Menschen, die in oftmals seeuntüchtigen Booten versuchen, das Meer zu überqueren. Trotz der Rettungsaktionen starben dieses Jahr rund 3000 Menschen bei der Überfahrt. Der italienische Innenminister Alfano ist der Überzeugung, die Europäischen Staaten sollten ihrer Pflicht gegenüber dem Mittelmeer als europäischem Meer gerecht werden und finanzielle Mittel zur Unterstützung zur Verfügung stellen. Daher solle die Europäische Grenzschutzagentur Frontex mit ihren Schiffen die Rettung weiterführen. „Mare Nostrum“ wird deshalb ab 1. November durch das Programm „Triton“ ersetzt.
Doch „Mare Nostrum“ und „Triton“ unterscheidet vieles. Der von der EU beauftragten Agentur Frontex stehen rund 2,8 Mio Euro monatlich zur Verfügung, also deutlich weniger als der italienische Staat aufwandte. Auch soll bisher noch nicht genug technische Ausstattung vorhanden sein, es mangele an Hubschraubern und Personal. Für „Mare Nostrum“ wurden sie von der italienischen Marine bereitgestellt. Das Einsatzgebiet soll nicht wie bei „Mare Nostrum“ bis in libysche Gewässer reichen, sondern in Küstennähe bleiben. Auch ist die Rettung der Flüchtlinge bei Frontex nur ein „Nebeneffekt“ des eigentlichen Zieles: Sicherung der EU-Außengrenzen vor illegaler Immigration. Flüchtlingsorganisationen in Deutschland kritisieren das scharf und setzen sich z.B für die Schaffung einer zivilen europäischen Seenotrettung ein. In Italien haben rund 30 Organisationen wie die Caritas eine Petition gestartet, "Mare Nostrum" doch nicht zu beenden.
Natürlich sollte eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in der EU diskutiert werden, und langfristig bei der Stabilisierung der geopolitischen Verhältnisse in den Emigrationsländern geholfen werden. Dass aber der Friedensnobelpreisträger EU keine 10 Mio Euro für die direkte Rettung von Menschenleben aufbringen kann bzw. will ist zynisches Sparen an falscher Stelle.