Das Leben ist nicht planbar
Seit meinem letzten Eintrag hat sich Einiges getan. Um mal vorweg zu greifen, muss ich sagen, dass ich bereits wieder zurück in Deutschland bin. Es kam so, dass ich mich Ende November sehr schlecht gefühlt habe und sehr starkes Heimweh hatte...
Seit meinem letzten Eintrag hat sich Einiges getan. Um mal vorweg zu greifen, muss ich sagen, dass ich bereits wieder zurück in Deutschland bin.
Es kam so, dass ich mich Ende November sehr schlecht gefühlt habe und sehr starkes Heimweh hatte. Die Feldarbeit und die Arbeit, die draußen stattfand war bereits seit einiger Zeit eingestellt, da zu dieser Jahreszeit dort nichts mehr zu erledigen war. Somit wurde in den Workshops, der Kerzenwerkstatt und der Weberei, gearbeitet. Diese Arbeit war weitaus ruhiger und man hatte mehr Zeit nachzudenken. Aber das war eigentlich nicht der springende Punkt, sondern die Atmosphäre insgesamt auf der Farm. Sie war total unterkühlt und unmenschlich. Die Organisation der Farm ließ auch viel zu wünschen übrig. Die fünf Mitarbeiter waren unfähig miteinander konstruktive Entscheidungen zu treffen und so verlief alles im Chaos. Die Farm kämpfte um ihr überleben (dabei ist der Standard dort schon sehr hoch, fast mit einer deutschen Farm zu vergleichen!) und in mitten dieser gespannten Atmosphäre befanden sich die Freiwilligen, die die Absicht hatten, zu helfen und kaum angeleitet wurden. Nebenbei ersetzte man als Freiwilliger einen Mitarbeiter, da kann man behaupten was man möchte - das war Tatsache! Eine der schwersten Sachen war, dass Leben und Arbeiten an einem Ort stattfand und man nie die Möglichkeit hatte, sich zurückzuziehen. Ein Privatleben gab es nicht und dementsprechend hatte man kein eigenes Leben mehr. Ich habe mich wie in einem Überwachungsstaat gefühlt, wo jeder meiner Schritte zum allem Überfluss auch noch kommentiert wurde. Meine Arbeit wurde nicht gelobt, sondern es wurde einem deutlich gemacht, dass man ja noch einiges hätte besser machen können. Meine Arbeit wurde zwar nicht direkt schlecht gemacht, doch mir wurde auch nicht das Gefühl gegeben, dass sie zufrieden sind, obwohl ich genau die Arbeit gemacht habe, die von mir verlangt wurde. Allerdings bin ich nicht "Superwoman" und kann die internen Probleme auf der Farm wegzaubern. Wahrscheinlich wären sie erst dann zufrieden gewesen. Demnach hätte ich die tollste Arbeit abliefern können und selbst damit, hätte ich sie nie zufrieden stellen können.
Auf der Farm haben wir mit Behinderten zu vier Familien zusammengewohnt (ungefähr drei bis fünf Behinderte pro Haus). In jedem Haus gab es eine Hausmutter oder Hausvater und ein oder zwei Freiwillige. Ich habe mich leider nicht mit meiner Hausmutter verstanden, da sie ein Mensch ist, der von Grund auf negativ denkt und machtbesessen ist. Das hat das Ganze natürlich auch nicht einfacher gemacht. Ich habe auch bereits am Anfang versucht, das Haus zu wechseln. Doch mir wurde es aus fadenscheinigen Gründen verboten. Das bedeutete durchhalten!
Das war auch der Punkt. Ich habe bereits vom ersten Moment an gemerkt, dass die Atmosphäre auf der Farm mir nicht zusagt. Doch ich war entschlossen meinen Freiwilligendienst zu machen und mich von solchen "Kleinigkeiten" nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. Schließlich fand ich die Farmarbeit sehr spannend und aufregend! Allerdings waren das keine Kleinigkeiten, wie ich in den nächsten Monaten feststellen sollte. Ich persönlich hätte es mir auch niemals träumen lassen, dass es so wichtig ist, dass die Atmosphäre stimmt! Denn wenn sie nicht stimmt, macht es einen Menschen krank. Was zusätzlich sehr ernüchternd war, war die Tatsache, dass man nicht miteinander, sondern nebeneinander her gelebt hat. Meine Erwartungen waren ganz andere gewesen, als ich mich auf das Projekt beworben hatte. Ich dachte, man arbeitet mit den Behinderten. Doch das war nicht der Fall, sondern jeder hat seine Arbeit gemacht, ohne das man sich individuell mit jemanden beschäftigt hätte. Das war sehr schade!
Ohne dass ich es wahr haben wollte, verschlechterte sich meine Grundstimmung zunehmend. Doch ich hatte doch noch so viele Glücksmomente und überhaupt habe ich eine Menge gelernt und ich wollte noch viel mehr lernen! Doch irgendwann reichten diese wenigen Glücksmomente nicht mehr aus, um mich grundsätzlich fröhlich zu stimmen bzw. sie liquidierten nicht mein Unwohlsein.
Am Ende habe ich mich so elend gefühlt, dass ich richtig depressiv war. Solche Gefühle habe ich noch nie gefühlt und ich wusste auch nicht, dass sie existierten. Ich hatte richtig Angst vor mir selbst, da ich nicht mehr Herr meiner Gefühle war. Alles erschien so sinnlos und ich vegetierte nur noch so dahin. Es war grausam! Da ich sowieso geplant hatte, am 20.12. zu Weihnachten nach Hause zu fliegen, redete ich mir selbst ein, dass ich es bis dahin auf jeden Fall noch aushalte. Ich hätte besser auf mein Herz hören sollen. So musste ich die Notbremse ziehen und meine Familie bitten mir den nächsten Flug nach Deutschland zu buchen, denn jede weitere Minute, Stunde auf der Farm war zu viel! Gott sei Dank hat es schnell geklappt und ich bin nun seit dem 12.12. Zuhause! Manchmal muss man solche verrückten Dinge tun, um sein Herz wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Nichtsdestotrotz möchte ich betonen, dass ich keinen Tag meines EVS in Estland bereue! Es war eine wunderschöne Erfahrung, die ich nicht missen möchte! Auch wenn es kürzer als geplant ausfiel, was ich sehr bedaure, habe ich gelernt, dass das Leben nicht planbar ist!
Und vor allem möchte ich jeden ermuntern, auf Reisen zu gehen, da es der größte Luxus ist, den wir uns vorstellen können! Es erweitert unseren Horizont! Vor allem lernt man viele Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen!
Der Unterschied zwischen Wissen und Fühlen
Durch meinen Aufenthalt in Estland habe ich gemerkt, wie es sich anfühlt, weit weg von der Familie und den Freunden zu sein! Ich wusste vorher, dass ich alle vermissen werde, dass ich die schönen Dinge des Alltags in meiner Heimat vermissen werde, den Sport...einfach viele Kleinigkeiten. Aber nun kann ich auch behaupten, dass ich den Unterschied von Wissen und Fühlen kenne! Und dieser Unterschied ist riesig. Wenn man mit Leib und Seele in der Situation steckt, weiß man erst wirklich, was es bedeutet, all das Vertraute hinter sich lassen zu müssen und Neues aufzubauen!
Wir können noch so viele Bücher lesen, wirklich wissend werden wir erst dann, wenn wir den Schritt wagen und es selbst erleben!
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