Das Erste Mal
28 10 2012
Viel Neues zu entdecken und zu lernen gab es für mich auch in der dritten Woche, die ich jetzt in Griechenland bin. In vielerlei Hinsicht habe ich in meiner zweiten “Arbeitswoche” mein Erstes Mal erlebt:
Am Montag hatte ich meine erste Griechischstundeund obwohl ich bereits durch Autodidaktik etwas mit dem Alphabet, der Aussprache und einigen Vokabeln vertraut war, wurde mir jetzt erst richtig klar, das mit dem Erlernen der griechischen Sprache eine große Herausforderung auf mich wartet. Das griechische Alphabet kennt zwar auch einige Buchstaben des römischen, jedoch meist mit der Garantie, diese völlig anders auszusprechen als wir es gewohnt sind. Was für uns ein H ist, wird in Griechenland Ita genannt und als [i] gesprochen; das als β besser bekannte wita, das als Großbuchstabe wie das römische B geschrieben wird, wird als [w] ausgesprochen. Ein v sollte man sich nicht für ein [f] vormachen lassen, es entspricht im Deutschen einem n. Was im Griechischen wiederum aussieht wie ein n -η – ist das kleingeschriebene Iota und demnach ein [i] – davon gibt es übrigens fünf! Neben derartigen Komplikationen ist die Aussprache eine große Hürde, wie ich mir sagen ließ vor allem für Deutsche und Franzosen, weil sie ähnliche Laute nicht kennen: Mit δ(elta) und θ(ita) gibt es gleich zwei dem englischen ‘th’ ähnliche Buchstaben, die jedoch unterschiedlich stark nach [s] zu klingen haben. Also alles ein wenig kompliziert! Doch das war noch nicht genug für die erste Griechischstunde. Wer innerhalb eines Jahres die Sprache lernen will und nur einmal wöchentlich Griechisch hat, bekommt hier eine Folge von Kurzreferaten, nur unterbrochen durch das Abschreiben der wesentlichen Dinge aus einem Buch, vorgesetzt, die sich gewaschen hat! So schnell, wie unsere Privatlehrerin Katja erklärt, kann man garnicht folgen und es läuft darauf hinaus, dass man sich aus seinen Notizen im Lauf einer Woche hart erarbeitet, was am nächsten Montag sitzen muss. In meinem Fall sind das (a) das Alphabet, (b) die Aussprache, (c) die Satzzeichen, (d) die Deklinationen der bestimmten und unbestimmten Artikel. Eυχαριστώ [Efcharistó] – Danke!
Die Kenntnis der wichtigsten Ausdrücke, die man im Alltag benötigt, konnte ich am selben Tag anwenden: Das erste Mal kaufte ich in einem der drei kleinen Läden hier in Dadiá ein. Mein Einkauf in einem griechischen Tante-Emma-Laden bestand aus Kleinigkeiten, die nach zwei Wochen einmal besorgt werden mussten und die man hier zum Glück auch bekommt. Die Verkäufer sind meist erfreut über den Besuch von uns “Exoten”, die in dem Dorf eine Besonderheit darstellen und natürlich dorfbekannt sind. Mit der Besitzerin eines der kleineren Läden pflegt auch das WWF-Büro eine enge Freundschaft und dementsprechend gut ist das Verhältnis zwischen ihr und den Freiwilligen. Allgemein werden wir akzeptiert und gemocht – gerne lädt man uns zu kleineren Festen oder einfach dem Besuch eines Kafenions, einer griechischen Caféteria, ein – dazu später mehr. In einer der drei Läden, der letzte Woche neu eröffnet hat, bekommt man sogar gehobelte Mandeln (!), womit ich gleich Ofenschlupfer gebacken habe. Das hatte ich den anderen Freiwilligen bereits vor meiner Abreise nach Athen versprochen. Am Montag habe ich abends also die süddeutsche Speise (Malte, der aus Norddeutschland ist, hat davon noch nie gehört) zubereitet und damit einen Haufen Freiwilliger sehr glücklich gemacht…
Am selben Abend habe ich mich darangemacht, die Küche ein wenig aufzuräumen und die Inhalte von Schränken und Schublanden zu sortieren, denn diese Woche hatte ich zum ersten Mal die Aufgabe, mich um die Küche zu kümmern. Der Küchendienst wechselt von Woche zu Woche; jeder kümmert sich immer um einen anderen Teil des Hauses. In der ersten Woche war ich noch “verschont” geblieben, hatte mich nur um den Kühlschrank kümmern müssen und auf die Dringlichkeit des Konsums bestimmter Lebensmittel verweisen dürfen… Diese Woche war meine Aufgabe etwas zeitaufwendiger. Leider hatte vor mir schon lange keiner der Freiwilligen seinen Job so ernst genommen. Deshalb war ich mit Entfernen von Staubschichten, Fensterputzen, Entsorgen alter Flaschen und Gläser etc. allein am Freitag zwei Stunden beschäftigt.
Anstrengend waren auch die zwei Tage “Feeding Place”, die ich am Dienstag und am Mittwoch hatte: Sechs Stunden lang müssen stündlich drei Protokolle ausgefüllt werden, bei denen nicht nur die Individuen der einzelnen Vogelarten gezählt werden, sondern auch der Anteil der beringten oder durch Wingtags gekennzeichneten Tiere bestimmt und die entsprechenden Codes notiert werden müssen. Da sich die Vögel natürlich ständig bewegen, kann man sich sehr lange damit beschäftigen, nach möglichst vielen Wingtags Ausschau zu halten. Wenn man die Arbeit derart gründlich macht – ich befinde mich noch in diesem Stadium, bei den anderen Freiwilligen hat die Motivation bereits abgenommen – bedeutet das während der ersten Stunden, in denen die Vögel noch zahlreich sind, eine volle Stunde vor dem Teleskop zu stehen und die Beobachtungen aufzuschreiben, bis die nächste Zählung ansteht und das Spiel von vorne beginnt. Am Dienstag wurde ich bei dieser Prozedur für eine Stunde unterbrochen, weil unsere Mentorin Rodoula zum Einen dringend Unterlagen von mir und zum Anderen den Toyota benötigte, mit dem wir zum Feeding Place gefahren waren. Auf diesem Wege machte ich die ersten Erfahrungen mit dem Geländewagen. Die Fahrt mit dem großen, robusten Fahrzeug war zwar holprig und erforderte ununterbrochene Aufmerksamkeit, um tiefe Schlaglöchern und große Steinen rechtzeitig bemerken und ihnen ausweichen zu können, doch abgesehen von einer gewöhnungsbedürftigen Handbremse ist das Auto gut zu fahren und meine erste Toyotafahrt habe ich problemlos gemeistert.
Etwas schwieriger gestaltet sich im Moment das Installieren einer neuen Heizung in unserem “Nest”. Seit Dienstag warten wir auf Neuigkeiten: Mit äußerst kurzfrüstiger Ankündigung erschien diese Woche ein des Englisch mächtigen, dennoch verschwiegener Handwerker, der die alte Heizung ausbaute. Danach wurden die Rohre gereinigt (Sprossenheizung bleibt leider nur ein Wunschtraum – wir haben noch Öfen!), die Öffnungen in der Wand mit Papier ausgestopft um die Kälte fernzuhalten und jetzt heißt es: abwarten - und Tee trinken, wenn es entsprechend kalt wird. Zum Glück sind die Temperaturen im Moment nicht sehr tief wie letzte Woche und wir hoffen, dass die Heizung vor dem Kälteeinbruch noch eingebaut wird. Während es in Deutschland geschneit hat, war es hier die letzten Tage eher schwül und wir hatten Regen. Doch wie ich heute von einem Griechen erfahren habe, kann die Kälte sehr plötzlich kommen: “Frühling und Herbst kennen wir schon gar nicht mehr – hier gibt es nur noch Sommer und Winter und der Wechsel findet von einem auf den anderen Tag statt!” Dass es zurzeit noch warm ist, nutze ich aus: Sehr schön ist nämlich, dass hier an Beeren und Nüssen sehr viel aus der unmittelbaren Umgebung zu haben ist, was heißt, dass es am Wegrand wächst. Deshalb habe ich diese Woche zum ersten Mal Brombeeren und Schlehen gepflückt sowie Walnüsse gesammelt. Mein Müsli ist seitdem um einige Zutaten reicher, farbenfroher und ähnelt immer mehr dem 15-Zutaten-Müsli, das ich in Deutschland zu essen gewohnt war.Das Beeren- und Nüssesammeln sollte eigentlich gestern durch Pilzesammeln gekrönt werden, doch da wir bisher zu wenig Regentage hatten, fanden wir keine kleinen Pilze zum Mittagessen. Stattdessen fanden Alba, Bony, Malte und ich gemeinsam mit Liz und Carlos einen fossilierten Baum und einen überdimensional großen Pilz aus Zweigen und Stein:
Liz und Carlos sind auch beim WWF engagiert: Sie haben für einige Monate Raubvögel im Nationalpark beobachtet, deren Flüge dokumentiert und so die Territiorien bestimmt. Einen Einblick in ihre Arbeit haben wir Freiwilligen am Donnerstag bekommen, als die beiden uns zuerst über ihr Projekt berichtet haben und wir anschließend selbst versuchen durften, aus den vorliegenden Daten Schlüsse über die Territorien zu ziehen. Dazu benötigt man das GIS, dass “Geographical Identification System”, mit dem man digital auf einer Karte Beobachtungen eintragen kann (in diesem Fall den Flug der Vögel von Viewpoints oder Fahrten auf den Straßen des Parka aus eingetragen auf einer Karte des Nationalparks), die gleichzeitig in Tabellen gespeichert werden mit allen denkbaren Informationen (Datum, Art der Beobachtung – einfacher Flug, Maßnahme zur Revierverteidigung – Anzahl und Art der Vögel…). So entsteht eine ungeheure Datenmenge, aus der man – vorausgesetzt man verwendet die richtigen Filter – Schlussfolgerungen ziehen kann: Wo halten sich die Vögel vermehrt auf? Sind sie hier zum Jagen oder haben sie ein Nest in der Nähe? Kommen sie an dieser Stelle mit dem Revier anderer Vögel in Konflikt? Kann man diese Fragen beantworten, lässt sich das Territorium ungefähr bestimmen. Die vermuteten Stellen werden markiert und mit den notwendigen Daten versehen. Hat man die Territorien für die einzelnen Beobachtungen von Viewpoints und den Road Transits bestimmt, wird mit Beobachtungen anderer Stellen verglichen, angepasst, überarbeitet… Ein schönes Stück Arbeit und in meinem Fall umso schwerer, als José, Alba und ich in unserer Dreiergruppe ein erhebliches Kommunikationsproblem hatten. Nachdem Alba an unserem Englisch verzweifelt ist, haben wir unser Vorgehen im Folgenden zuerst auf Englisch besprochen, bevor José ihr auf Spanisch verständlich gemacht hat, worüber wir davor diskutiert hatten. Spaß gemacht hat es dennoch. Die Krönung war gestern ein Ausflug zum Viewpoint 14 im Zuge unserer Pilzexpedition. Denn es war ebendieser Aussichtspunkt, von dem wir die Daten ausgewertet hatten. Wir konnten also genau bestimmen, wo in der Umgebung welche Vögel ihr Revier haben.
Die Zusammenarbeit mit den WWF-Mitarbeitern klappt meist sehr gut – diese Woche war sie jedoch ein wenig getrübt durch einen Vorfall, der sich letzte Woche ereignet hat: Als Malte und Giacomo am Freitagmorgen mit dem Green Lada zu “Vegetation” aufbrechen wollten, stellten sie fest, dass die Lenkung nicht funktionierte. In der Werkstatt wurde ein Achsenbruch diagnostiziert. Rodoula sucht seitdem verzweifelt nach einem Verantwortlichen, der angelbich einen schweren Unfall verursacht und den anschließend verschwiegen haben soll. Wahrscheinlicher ist, dass die Achse beim Überfahren eines Schlaglochs oder eines Steins angerissen ist, ohne das es vom Fahrer bemerkt wurde. Wie dem auch sei, es gab viele Diskussionen mit Rodoula und wir haben außerdem – für mich war es eine Premiere – erlebt, dass Dora, die das WWF-Büro in Dadiá leitet, auch streng sein kann: Wer in Zukunft einen Unfall hat, es sei dahingestellt wie schlimm, muss es umgehend melden. Anderenfalls wird er nicht mehr mit dem Auto fahren dürfen. Die strenge Dora hat gesprochen.
Dass sie eigentlich sehr nett, entgegenkommend ist und zu uns Freiwilligen ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, bewies sie noch am selben Tag, als Maria, Giacomo, José und ich ihre Einladung annahmen, an der Feier des Namenstags ihres Sohnes Dimitrios teilzunehmen. Namenstag ist hier in Griechenland fast so wichtig wie Geburtstag. Deswegen hatte Dora gleich mehrere Blechs Spinattaschen, Kuchen und Knabberein vorbereitet. Leider war der eigentliche Star des Tages, der sechsjährige liebenswerte Dimitrios, krank geworden und verbrachte seinen großen Tag auf dem Sofa, von wo aus er seine Lieblingsanimationsfilme genießen durfte – und wir mit ihm!
Einen weiteren Feiertag durften wir heute miterleben: Am Oxi[Ochi]-Tag, was auf Deutsch schlicht “Nein” bedeutet, feiern die Griechen, dass ihr Premierminister während des zweiten Weltkrieges ebendieses “Oxi” dem Diktator Mussolini entgegnet hat, als letzterer um die Erlaubnis bat, mit seinen Truppen griechisches Territorium zu passieren. Da der Konflikt zwischen Kommunisten und Gegnern des Kommunismus sowohl vor als auch nach der Besatzung die griechische Bevölkerung spaltete und schließlich auch zum griechischen Bürgerkrieg (1946-1949) führte, bleibt dieses “Oxi” als Haltung, die alle Griechen zu diesem Zeitpunkt teilten das einzige Symbol des vereinten Widerstands und der Solidarität untereinander. Die Feierlichkeiten zu Ehren dieses “Neins” waren in Dadiá ein ausgedehnter Gottesdienst und eine Parade, bei der vor allem der jüngere Teil der Bevölkerung stolz zu traditionellen Hymnen marschierte und dabei zahlreiche griechische Fahnen schwenkte. Im ganzen Dorf konnte man heute das Blau-Weiß bewundern, das dank des starken Winds gut sichtbar war. Noch vor Beginn der Parade wurden wir vom Besitzer eines Kafenios, eines griechischen Kaffeehauses, eingeladen, nach Ende der Feierlichkeiten bei ihm einen Kaffee zu trinken. Wer in Griechenland einen guten Kaffe trinkt, das habe ich heute gelernt, braucht dazu ungefähr zwei Stunden. Das kam im Fall von Giacomo, José, Malte und mir auch sehr gut hin. Zuerst unterhielten wir uns eine Weile über Nationalfeiertage, berichteten uns gegenseitig von den Bräuchen und historischen Hintergründen – Deutschland nahm die äußerst positive Rolle des Landes ein, in dem es keine größeren Paraden mehr gibt und militärische Bräuche inzwischen fast keine Rolle mehr spielen. Der Militarismus Griechenlands in Hinblick auf die traditionellen Paraden, wie die “große Parade” in Thessaloniki am Oxi-Tag, die per Fernsehen übertragen wurde, wurde vom griechischen Kafenionbesitzer selbst mit ähnlichen Bräuchen in Nordkorea verglichen… Nach einem Exkurs über die griechische Geschichte wollten wir uns unbedingt das in Griechenland äußerst populäre Backgammonspiel erklären lassen. Wir mussten nicht zweimal darum bitten. Als wir mit den Regeln vertraut waren, amüsierte sich unser Gastgeber sowohl über unsere Verbissenheit als auch die Begeisterung, die wir schnell für das Spiel entwickelten. Sollte es in den Wintermonaten Nachmittage geben, an denen wir nicht viel zu tun wissen, haben wir spätestens heute einen passenden Zeitvertreib gefunden! Wir haben selbst zwei Backgammonspiele im “Nest”, mit denen wir bisher nichts anzufangen wussten, die jetzt allerdings heiß begehrt sind. Die Jungs haben schon ein Backgammontournier angekündigt…
Meine Befürchtung, nach der Woche in Athen würde ich mir in Dadiá ein wenig verloren vorkommen, ist nicht eingetreten: Mit meinen Mitbewohnern verstehe ich mich besser den je. Als ich mit Bony gestern einkaufen war, haben wir uns während den Fahrten ungefähr drei Stunden auf Französisch über unsere Lebensgeschichten, unsere sehr ähnlichen Essgewohnheiten und die Überzeugung dahinter, das Projekt und witzige Erlebnisse ausgetauscht. Mit Maria habe ich mich am Dienstag auf dem Feeding Place sehr gut verstanden. Auch José beginnt, ein wenig mehr mit mir zu reden und lächelt immer häufiger, mit Giacomo mache ich mich gerne über Malte lustig. Das kann ich mir erlauben, denn ich habe festgestellt, dass mir gegenüber trotz meines Alters alle hier ein gewisses Maß an Respekt aufbringen. Sei es, weil ich mit 19 schon so “ausgezeichnet” kochen kann oder aufgrund meiner Kondition, mit der ich alle anderen übertreffe und meiner Geländetauglichkeit: Nachdem Giacomo mit Malte letzte Woche eine Schlucht durchquert und einen Berg bestiegen hat, muss er wohl gesagt haben: “Jasmin hätte das hier in der Hälfte der Zeit gemeistert.”
Es bleibt mir natürlich noch viel zu lernen und zu entdecken. Mit den WWF-Mitarbeitern, den Dorfbewohnern und den anderen Freiwilligen habe ich Menschen, die mich dabei unterstützen und mein Leben hier abwechslungsreicher gestalten. Ich bin mir sicher: Es kommt noch eine wahnsinnig tolle Zeit auf mich zu!
Euch alle halte ich auf dem Laufenden! Gruß aus Dadiá,
Jasmin