Bristol Drawing Club
Oder: Wie man der Erasmusblase entkommt
Bei einem Erasmusaufenthalt trifft man oft als erstes auf andere Erasmusstudierende. Da ging es mir nicht anders. Über unsere Vermittlungsorganisation habe ich schnell ein Netzwerk anderer Auslandspraktikantinnen und Praktikanten kennen gelernt. Das war großartig, weil ich so gleich bei der Ankunft Menschen hatte, denen es genau so ging wie mir.
Bei gemeinsamen internationalen Abend in der Bar unter dem Backpackerhostel gab es dann italienische Pizza, belgisches Bier und viel Gelächter über Wörter für die es keine englische Übersetzung gibt. Ich konnt mein französisch erproben, meine Spanischvokabular erweitern und das ein oder andere holländische Wort lernen.... Aber eigentlich wollte ich doch England kennen lernen?
Also hab ich meine Fühler etwas ausgestreckt, um mal etwas außerhalb der "Erasmusblase" zu unternehmen. Gefunden habe ich einen zweiten, eben so chaotischen und wundervollen Freundeskreis über Meet-up. Meet-up ist eine App, die (wie der Name schon sagt) dazu gedacht ist sich gemeinsam zu treffen. Von Sport und wandern, über gemeinsame Konzertbesuche, bis zur "Selbsthilfegruppe für Introvertierte" ist für jeden was dabei. Mich hat es sofort zum Bristol Drawing Club gezogen.
Die Gruppe trifft sich jeden Montag in einem Pub zum gemütlichen „Chat & Draw“. Da Zeichnen und Pubs vielleicht meine zwei Liebdlingsdinge sind, passte das wie die Faust aufs Auge. Trotzdem war ich an meinem ersten Abend doch etwas nervös. Ich war mein erstes Mal in Bristol, die Stadt hatte ich noch vorher noch nie gesehen, gechweigedenn mal bei Tageslicht.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich das erste mal zur Tür reingestolpert bin: Etwas außer Atem nachdem ich die fremden Straßen rauf und runter geirrt bin, besorgt darüber, welches Zeichenniveau man von mir erwartet und verunsichert ob man mir die Knoblauchfahne nach meinem Kebab anmerkt.
Das ist jetzt 4 Monate her. Seitdem bin ich die selben Straßen noch so manche male hoch und runtergestapft - allerdings mit viel mehr Vorfreude. Und was zuerst ein fremder Pub in einer fremden Stadt war, ist zu einem zweiten zuhause geworden.
Beim Bristol Drawing Club konnte ich also endlich ein paar Engländer und Engländerinnen kennen lernen – echte Bristolians! Einige sind Studenten, viele arbeiten aber auch oder sind schon in Rente. Alter und Berufsgruppen sind wild durchgemischt. Aber was die Gruppe verbindet ist die Liebe zur Kunst.
Vom Profi bis zum Anfänger ist alles dabei. Aber ganz egal ob es nur kleine Kritzeleien oder professionelle Kunstwerke sind, es ist einfach schön so viel verschiedene Stile zu sehen. Irgendwas kann man schließlich von jedem lernen! Manchmal is es ein Technik oder Methode, manchmal is es eine Idee, manchmal ist einfach nur der Mut, etwas auszuprobieren, auch wenn es vielleicht schief geht.
Jeden Montag sind immer wieder ein paar neue Gesichter dabei, aber einige kommen (so wie ich) fast wöchentlich: Einer der Organisatoren ist Informatiker, der über Videospiele zur Kunst gekommen ist. Eine Tierfotografin nutzt ihre Bilder als Vorlage für realistische Bleistiftzeichnungen. Eine Japan-reiseleiterin zeichnet Mangas gegen das Fernweh. Und ein älterer Mann kommt immer erst in den späten Abendstunden, um an seiner Graphic Novel zu arbeiten und uns Geschichten von seiner Pilgerreise zu erzählen.
Ganz abgesehen davon, dass ich durch den Drawing Club zum regelmäßigen Zeichnen motiviert werde, sind mir diese Menschen mittlerweile ganz schön ans Herz gewachsen. Aber ich hab mir jetzt schon vorgenommen, wenn ich wieder in Bonn bin dort auch einen Zeichenclub zu gründen, der anderen kunstbegeisterten eine tolle kreative und offene Atmosphäre biete. Go Kunst!