Bojanizacja
Weltkulturerbe, kapitalistische Propaganda und Billard im Studentenviertel: Das Leben in Sofia wird für Johannson nicht langweilig und er erlebt jeden Tag eine ganze Menge.
Am Donnerstag war von Anfang an wieder Sommer. Ich sah vormittags erst noch kurz durch das Mausoleum des ersten bulgarischen Postbefreiungskönigs Batemberg (wo der ältere Sicherheitsmann erst nach meiner Nationalität fragte und dann nach einem Eintrittsgeld, von dem nirgends etwas stand), die Universität, die Kirche St. Sofia und die märchenhafte russische Kirche. Danach streunerte ich mit dem üblichen heißen Blätterteigbackwerk durch die Straßen östlich des Nationaltheaters. Hier sind sie wieder, meine alten Ausflüge, ziellos laufen bis einem die Beine den Dienst verweigern. Irgendwann blieb ich im Stadtpark hängen, vor dem Theater, wo neben Springbrunnen Musik gespielt wurde, wie Kalina es immer berichtet hatte.
Illustracja
Die stieß dort gegen Mittag auch zu mir und zusammen machten wir uns auf den Weg nach Bojana. Das ist eine kleine Kirche am Berghang südlich der Stadt, und seit UNESCO Welterbeeintrag eine der hochkarätigsten Touristenattraktionen. Ich bin so froh, mit Einheimischen hier zu sein, denn Kalina lotste uns in einen der Kleinbusse, die hier im Affenzahn durch Sofia brausen. Am Berg brauchten wir eine Weile um die Kirche zu finden. Die ist ein winziges Haus in einem wunderschönen kleinen Park und von außen nicht spektakulär. Berühmt ist der Ort für seine Wandmalereien. Fast jeder Zentimeter ist bedeckt mit Szenen, deren für das 10. Jh. extreme Lebendigkeit zur UNESCO Listung führte. Zu deren Erhaltung werden jeweils nur sechs Leute für zehn Minuten eingelassen. Wir hatten das Glück, gerade rechtzeitig vor einer Busgruppe anzukommen und gleich eingelassen zu werden. Zwei Touristen hatten einen Führer dabei, der für alle erklärte. Ergänzt wurde er von der Aufpassdame auf Französisch. Sogar die für Kulturgeschichte wenig begeisterte Kalina konnte halbwegs interessiert werden.
Kapitalizacja
Hiernach jagten wir per Minibus den Berg wieder hinunter zum Nationalen Geschichtsmuseum. Dessen Gebäude allein ist sein spektakulärstes Ausstellungsstück: der monumentaler Betonklotz vor bezauberndem Bergpanorama war Residenz der Kommunisten. Ausgerechnet der stürzte meine bekennend kommunistische Managementstudentin in helle Begeisterung. Sie sah geniale Schlichtheit, ich nur 500 m nackten Beton ohne Schatten bis zum Eingang. Die Ausstellung im Inneren ist hoffnungslos zu groß, um die Jahrtausende bulgarische Zivilisation auf einmal zu sehen. Wir beschränkten uns auf die Sektionen zu den Thrakern und des Sozialismus. Leider stellte sich heraus, dass ausgerechnet letztere gar nicht existierte – von 1946 wird ohne Kommentar zum EU Beitritt gesprungen. Kapitalistische Propaganda! Nun, eine notwendige Pause und viele Fotos vor der Bergkulisse ließen mir den Besuch eine liebe Erinnerung bleiben.
Eskalizacja
An der staubigen Straße warteten wir auf den Bus, der seine in der Nachmittagssonne gebackenen Sardinen bei Stau im weiten Bogen zu Kalinas Viertel brachte. Dort kamen ihre Mutter und Schwester zu uns. Zusammen fuhren wir nach 'StudenckiGrad', dem Univiertel mit einem Durchschnittsalter, von dem jeder Rentenminister träumt. Dort spielten wir zwei Stunden Billard und ich riss unabsichtlich den Zaun einer Bar ein. Abends nahm die Mutter meine Sachen zum Waschen mit. Ich bin echt froh, Einheimische zu kennen. Das Beste kommt morgen: für das Wochenende fahre ich mit Kalinas Familie zu Verwandten in eine kleine Stadt. Wir besichtigen das berühmteste der berühmten bulgarischen Klöster: Rila.