Bienvenue à Strasbourg - oder: Alles auf null
Adieu Bordeaux, Salut Straßburg: Seit vier Monaten lebe ich nun schon in Straßburg. Wie zusammenfassen, was in dieser Zeit alles passiert ist? Der Versuch eines Resümees.
Als ich das letzte Mal geschrieben habe, saß ich im Zug von Bordeaux nach Straßburg und an den Fenstern zog ein Jahr voller wunderbarer Erinnerungen vorbei. Seitdem sind schon mehr als vier Monate vergangen, eine lange Zeit, auf die ich jetzt schon zurückblicken kann.
Seit ich in Straßburg angekommen bin, hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht. Ein Übergang, der gerade am Anfang, nicht so leicht zu verdauen war. Schluss mit entspannter Erasmuszeit und freiem Studentinnen-Leben, seit Juli heißt es „métro, boulot, dodo“, was soviel bedeutet wie „U-Bahn, Arbeit, Schlafen“ und das beschreibt, was wir den tagtäglichen Arbeitstrott nennen würden. Mein Alltag ist jetzt fest getaktet, mein Leben spielt sich zum Großteil im Schreibtischstuhl vor dem Bildschirm ab. Aber auch wenn das alles erstmal ganz anders ist als mein Leben zuvor, macht es mir viel Spaß, dieses neue Leben:Ich lerne unglaublich viel Interessantes und es macht mir Spaß jeden Tag neue Aufgaben zu lösen, gefordert zu sein und mich der Arbeitswelt zu stellen.
Wäre da bloß nicht dieses Gefühl, dass alles wieder auf null gesetzt ist. Gerade hatte in Bordeaux alles so gut gepasst. Die Stadt schon lang keine Fremde mehr, sondern eine Vertraute, die mich mit ihren Plätzen und Menschen bei sich aufgenommen hatte. Dann ist plötzlich alles neu: Neue Stadt, neue Leute, neues zu Hause. Als ich in Straßburg ankomme, ist es Sommer, der wärmste seit langem. Die ersten beiden Monate verbringe ich irgendwo zwischen Schwitzen und Grübeln, immer auf der Suche nach dem, was ich hier nicht mehr habe, ohne so richtig zu sehen, was es hier alles gibt. Abschied und Neuanfang lassen mich alles nur noch wie durch eine feine Schicht Nebel sehen, sodass ich mich am Wichtigen festzuhalten versuche: Ankommen und irgendwie einen neuen Rhythmus finden.
Das ist aber gar nicht so leicht. Da kann es schnell gehen, dass das Vergangene zum unerreichbaren Ideal wird und das Neue einfach nicht mithalten kann. Wie wenn man einmal ein unglaublich gutes Croissant gegessen hat, das noch warm uftig-buttrig auf der Zunge dahingeschmolzen ist. Danach schmecken alle anderen Croissants erstmal wie in Butter getränkte Pappe, egal wie gut sie sind. Schuld ist dann schnell die neue Stadt, weil es in der anderen Stadt ja auch lief. Dabei vergisst man, dass gerade Sommerferien sind, und deshalb nichts los ist, dass es eigentlich viel zu entdecken gibt zwischen all den Fachwerkhäusern und Balkongeranien und, dass man sich einfach mal im Badesee am Stadtrand in sein neues Leben treiben lassen sollte. Und irgendwann macht es Klick und das mit dem Treibenlassen funktioniert auf einmal. Und da merke ich, dass mein Blick langsam klarer wird und das Hiersein plötzlich weniger Abschied und mehr Neuanfang bedeutet.
Zeit also den Blick zu schärfen und Straßburg so richtig zu entdecken, sage ich mir, auch wenn dafür nach einem langen Arbeitstag oft die Zeit fehlt. Aber bei so viel deutsch-französischer und europäischer (Vor)geschichte, wäre es eine Schande, die Chance nicht zu ergreifen und darüber zu berichten, was diese Stadt so alles zu erzählen hat.
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