Betrunken in Russland

Den Quellen der Weltgesundheitsorganisation nach trinkt jeder Russe jährlich 16 Liter reinen Alkohol- 3 Liter mehr als deutsche Staatsbürger, aber weniger als Menschen aus Moldawien, Tschechien und Ungarn. Allein den Zahlen nach ist der Alkoholkonsum in Russland also nicht auffallend hoch- für mich zumindest nicht so hoch, als dass er das Klischee des Säufervolkes rechtfertigen würde.

Trotzdem hat Russland seit Jahrzehnten Probleme mit übermäßigem Alkoholkonsum und Alkoholsucht. Das liegt an der ungleichen Aufteilung des Alkoholkonsums. Wo die höheren Schichten und Akademiker in den Städten nur bei gegebenen Anlässen Alkohol konsumieren und Frauen meist ganz darauf verzichten, wird auf dem Land umso mehr getrunken.
Der ehemalige Präsident Medwedjew, der jetzt von Putin abgelöst wird, versuchte mit dem Verkaufsverbot von Alkohol von elf Uhr abends bis acht Uhr morgens. Dieses wird aber nicht selten ignoriert oder geschickt umgangen: Unlängst berichtete der Spiegel über eine Firma, die den Namen "Gute Wärme" trägt und Alkohol "verpfändet". Alkohol kann sozusagen geliehen werden. Der Kunde hinterlässt Geld und bekommt als Pfand eine Flasche Wodka. Wer die Flasche bis zehn Uhr morgens ungeöffnet zurückgibt, erhält sein Pfandgeld wieder. Vorgekommen sei das aber noch nie.
Eine weitere Firma verschenkt den Alkohol sogar. Als Beigabe zu einem Schlüsselanhänger für 15 Euro oder einer Anstecknadel im Wert von 50 Euro.

Weiter gilt das Verbot nur für Läden und nicht für Kneipen und Bars, wo die ganze Nacht Alkohol ausgeschenkt werden darf.
Die politische Vorangehensweise an den Alkoholkonsum ist also sehr problematisch.
Meiner Meinung nach sollte zunächst die Frage nach dem Warum gestellt werden. Ein jeder Russe würde antworten, dass Russland eben ein sehr trauriges Land sei, noch dazu die Kälte und schließlich hat der Wodka seine Tradition. Das ist wahr, Wodka wird sogar als Medizin eingesetzt. Gegen eine Erkältung sollen Kräutertee und Wodka zu 50:50 Teilen gemischt werden und natürlich wirkt das flüssige Gold auch gegen jede Form von Schmerzen.
Neben diesen Begründungen liegt ein weiterer Grund aber darin, dass Wodka sehr billig ist hier. Zu kaufen gibt es ihn schon ab 3 Euro den Liter. Anderer Alkohol wird selten verzehrt, richten sich seine Preise doch eher nach dem europäischen Markt. Bier gilt außerdem nicht mal als alkoholhaltig und Wein und Sekt als leichte Frauengetränke.

In meinem Bekanntenkreis wurde ich bisher wenig mit Alkoholsucht konfrontiert, aber selbst in St Petersburg fallen immer wieder Alkoholiker auf der Straße auf. Betrunkene Postmitarbeiterinnen oder Schaffnerinnen, immer wieder nachts auf der Straße liegende Männer oder Menschen, die auf das Band an der Supermarktkasse nur Wodka und ein Laib Brot legen.