Besser Vorsicht als Nachsicht?
Wie weit kann Vorsicht gehen? Eine Reise in die USA hat mir einmal gezeigt: Weiter als gedacht. Überwiegen die Vorteile oder die Nachteile dieser extremen Vorsicht?
Im Bundesstaat Illinois ist es strickt verboten, Kinder unter 14 Jahren alleine zu lassen - So streng, dass vor wenigen Jahren eine Mutter angeklagt wurde, weil sie ihre Kinder 40min alleine ließ, um Abendessen zu holen. In vielen Staaten gibt es genaue Regeln, ab wie vielen Jahren Kinder etwas alleine machen dürfen: zur Schule gehen, draußen spielen oder in die Innenstadt fahren. Sorgen diese Gesetze wirklich zur Sicherheit der Kinder, wozu sie eingeführt wurden? Oder bereiten sie nur eine große Panik? Und vor allem - sollte dies die Verantwortung des Staates sein oder die der Eltern?
Sicherheit ist wichtig, ohne Frage, doch das extreme Sicherheitsbedürfnis, welches unsere moderne Gesellschaft durchzieht, kann auch schädliche Nebenwirkungen haben: Wir wissen, dass ständig etwas passieren könnte, uns beunruhigen Personen, die sich merkwürdig verhalten und ein einsamer Koffer könnte zu der Evakuierung eines ganzen Flughafen führen. Natürlich hat dieses Verhalten seine Gründe, es beruht auf schlechten Erfahrungen, aber ist es wirklich notwendig? Tatsächlich sterben mehr Menschen an Autounfällen oder Grippe-Erkrankungen, an ganz alltäglichen Ursachen als in tatsächlichen Terroranschlägen oder bewaffneten Überfällen. Aber Angst ist nun mal nicht rational: Auch kleine Risiken, die aber unkalkulierbar sind, wecken tiefe Ängste und das Bedürfnis, sich vorzubereiten.
In den USA hat sich deshalb eine Bewegung gegründet, die sich die „Prepper“ nennt, von „to be prepared “, also vorbereitet sein. Und das bedeutet, sich auf jede Eventualität vorzubereiten, von Überflutungen, Pandemien, Erdbeben über Chemiewaffen-Angriffe oder Hacking. Sie wägen Risiken natürlich rational ab, und an manchen Standorten sind sie nur gering ausgeprägt: In Deutschland zum Bespiel, wo es die Prepper mittlerweile auch bereits gibt, lebt man insgesamt relativ sicher. Nach dem Sprecher der „Prepper Gemeinschaft Deutschland“ sorgen rund eine Millionen Deutsche vor, und manche besuchen auch die Angebote der Gruppe, zum Beispiel strategische Hamstereinkäufe, Überlebenstrainings und Diskussionsrunden.
Man könnte meinen, ein Leben in ständiger Angst und Vorbereitung sei stressig, aber Bastian Blum, der Sprecher der deutschen Prepper, gibt an, sich so viel entspannter und locker zu fühlen - man ist ja auf alles vorbereitet. Deswegen lagert er Lebensmittel in seinem Keller, führt ständig einen Rucksack mit sich und sammelt sich eine richtige Überlebens-Ausrüstung zusammen - sogar mit einer Armbrust. Das wird tatsächlich manchmal in den USA problematisch, da mit den viel lockereren Waffengesetzen viele Prepper auch professionelle Waffen besitzen. Verteidigung ist nämlich ein großes Thema in der Szene: Wie kann man im Notfall sich selber, seine Familie und sein Land verteidigen?
An dieser Stelle wird auch deutlich, dass die Prepper-Bewegung nicht bloß aus übervorsichtigen Survival-Junkies besteht, sondern auch teilweise aus Menschen, die das Vertrauen in die Politik und öffentliche Institutionen verloren haben und nicht denken, dass diese sie beschützen könnten: Es gibt auch viele Rechtsradikale in der Bewegung, die ihr Land und ihre Kultur vor Anderen, welche sie als Bedrohung wahrnehmen, auch mit Gewalt vor. Aber nicht alle sind politisch, manche sind auch einfach nur verunsichert von unserer schnelllebigen Zeit und versuchen mit ihren Vorbereitungsmaßnahmen die Welt ein bisschen kontrollierbarer zu machen. Vielleicht steckt auch ein Sehnsucht nach dem Chaos, ein wenig Lust auf den Untergang dahinter.
Meiner Meinung nach ist diese gesellschaftliche Entwicklung, welche sich im Extremsten in den sogenannten Preppern ausdrückt, nach Sicherheit und Schutz, sehr gefährlich - insbesondere für junge Menschen: Denn anstatt ihnen ein Vertrauen in die Welt mitzugeben, werden sie konstant an alle Gefahren erinnert, und vor allem werden sie vor fremden Menschen gewarnt. Natürlich sollte man nicht naiv durch die Welt laufen, aber ein positives Weltbild und eine offene Haltung gegenüber neuem bringt einen persönlich sehr viel weiter, als keine Risiken einzugehen und immer mit dem schlimmsten zu rechnen.
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/usa-utah-lockert-strenge-aufsichtspflicht-fuer-eltern-a-1200718.html
https://www.brigitte.de/familie/schlau-werden/debatte-um-sicherheit--kinder-allein-unterwegs--in-den-usa-droht-dafuer-eine-anzeige-10194540.html
https://uspreppers.com
https://www.deutschlandfunk.de/prepper-in-den-usa-mit-ravioli-gegen-die-apokalypse.1773.de.html?dram:article_id=363797
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/prepper-die-tiefe-sehnsucht-nach-dem-zusammenbruch-a-1218376.html
https://www.newyorker.com/culture/culture-desk/what-drives-doomsday-preppers