Avería
Ein Tag, an dem ich irgendwie sehr glücklich bin, obwohl mein Messer bricht, das Wasser weg bleibt und es den dritten Tag in Folge Paprika-Tomatensoße mit Kidneybohnen gibt.
Kann das ein guter Tag werden, an dem ich keinen Wecker brauche, weil die Bauarbeiter eine Straße weiter um 8 Uhr zu graben anfangen? Fluchend steige ich aus dem Bett, verdammt früh ist es. Aber ich will noch zur Post vorm Unterricht, daher steige ich unter die Dusche. Zum Frühstück will ich mir (für die Vitamine) einen Apfel und eine Birne schneiden. Aber bei der Birne gibt das Messer auf und die Klinge bricht splitternd ab. Lustig, was verkaufen die denn für Obst im Supermarkt? Nächstes Mal nehme ich eine andere Sorte, es ist nämlich auch nicht grade leicht, die Birnenschnitze runter zu kriegen. Danach schnappe ich mir Laetitia, bei der Post (die nur morgens 3 Stunden geöffnet ist) gebe ich die Postkarte an Oma und Opa auf, dann wollen wir noch eine Zeitung kaufen, um uns gegenseitig Nachrichten vorzulesen und Spanisch zu lernen. Beim Bäcker wollen wir mal das hiesige Brot probieren. Klar, die Französin bevorzugt Baguette. Aber tausendmal besser als das Toastbrot, von dem ich eine picklige Stirn kriege. Heute ist der erste Tag, der sich ein bisschen wie Herbst anfühlt: morgens kühle 15° C, sodass ich das erste Mal einen Pullover anziehen muss.
Im Unterricht bei Maria Jesús erzählen wir von Nationalgerichten, dem tropischen Klima, singen Nationalhymnen und suchen verzweifelt die karibischen Inseln im Atlas. Mit Händen und Füßen versuche ich zu beschreiben, wie das mit den Brezeln und der Lauge ist und um was es in Alle meine Entchen geht. Als unsere Lehrerin meinen Fragenkatalog sieht, kriegt sie einen Lachanfall, aber wir notieren brav, wie man korrekt in einem Restaurant bestellt (sodass einen der Kellner nicht blöd anguckt)und wundern uns, als Maria erklärt, dass tatsächlich zu jeder Mahlzeit außer dem Frühstück Bier getrunken wird und man deswegen nicht als Alkoholiker gilt.
Im Telecentro stehen zwei prall gefüllte Tüten mit Gemüse auf unserem Schreibtisch. Tomaten und grüne Bohnen aus José Luis‘ Gemüsegarten. Hmm, lecker, Nachschub für unsere Tomaten-Bocadillos. Von Maria haben wir nämlich einen Tipp bekommen, wie man das ganz traditionell zubereitet. Das probieren wir zuhause auch gleich aus mit dem leckeren frischen Brot. Es wird aufgeschnitten und je nach Belieben und Notwendigkeit getoastet, wobei es sich mit einem Toaster sicher leichter toastet als mit einem Sandwicheisen. Dann halbiert man eine Tomate und reibt damit das Brot ein, dann kommt Olivenöl und Salz drauf und soweit ist die Basis-Version schon fertig. Das gibt eine Riesensauerei, weil das Brot so krümelt, aber wozu hat man einen Staubsauger?! Natürlich sind der Fantasie beim Belag keine Grenzen gesetzt- wir nehmen Käse, Tomatenscheiben und Thunfisch. Neulich habe ich einen Ziegen-Streichkäse gekauft, mit dem geht’s auch, obwohl der Ziegengeschmack schon mehr an Stall als an sanfte Ziegenmilch erinnert. Den muss ich alleine essen, Laetitia findet den eklig. Auf mein Bocadillo kommt auch immer noch Knoblauch drauf, das schmeckt total gut.
Nach meiner Siesta bin ich im Bad und will meine Hände waschen, aber aus dem Wasserhahn kommt nur ein Tröpfeln. Hä? Die Klospülung hat gerade eben doch noch funktioniert. Ich probiere es in der Küche und bei der Dusche. Nada. Na super, das hat bestimmt mit der Baustelle drüben zu tun, aber können die nicht vorher Bescheid sagen, wenn sie das Wasser abdrehen? Ich steh jetzt da, mit eingeseiften Händen und Knoblauchatem. Zum Glück haben wir eine Wasserkaraffe im Kühlschrank. Die Notration quasi zum Händeabspülen. Im Telecentro melde ich den Vorfall José Luis, der sofort irgendjemanden auf dem iPhone anruft und Sekunden später verkündet, dass es „una avería“, ein Wasserschaden war, aber sie sind am reparieren. Na hoffentlich, sonst können wir heute Abend nicht kochen.
In meiner Nachricht geht es heute um die Facebookparty in den Niederlanden, die gelinde gesagt, etwas aus dem Ruder gelaufen ist und ich muss daran denken, dass meine Mama erzählt hat, dass in meinem Heimatdorf ein ähnliches Facebookbesäufnis stattfand. Schrecklich. Ich hab den Film „Project X“, dem offenbar nachgeeifert werden soll, auch gesehen, aber kann nicht verstehen, wie man es begehrenswert und als Spaß empfinden kann, zu zerstören und andere zu verletzen bzw. sich ins Koma zu saufen.
Nichtsdestotrotz freue ich mich, als ich herausfinde, dass es in Huesca einen Laden gibt, in dem Desigual-Sachen verkauft werden und nebendran ist ein Zara-Store. Als ich dann auch noch entdecke, dass es mehrere Läden mit Adidas-Sortiment gibt, bin ich endgültig glücklich. Das Programm für nächsten Samstag steht! Die gute Laune lässt sich auch nicht von der fast schon obligatorischen Paprika-Tomatensoße mit roten Kidneybohnen vertreiben. Wir haben vor zwei Tagen ein Glas rote Bohnen aufgemacht und weil da so viel drin ist, gibt es jetzt jeden Tag Tomatensoße mit Bohnen. Wir versuchen, so gut es geht, die Soßen zu variieren, z.B. mit Zwiebel, Käse und heute mit den aufgeplatzten, reifen Tomaten von José Luis. Dazu gibt es Couscous und für mich Extra-Knoblauch. Zum Nachtisch gibt es die neuesten Nachrichten aus „El País“. Wir haben schon erkannt, dass es wohl reichen wird, eine Zeitung pro Woche zu kaufen- bis wir uns durchgelesen haben, dauert es eine Weile.