Asen Slatarov, Gott und Ich
"Der gebrochene Zweig den du siehst, ein kleines Seelenleben." Die Zustände im bulgarischen Kinderheim lassen melchior an sich zweifeln. In einem Zwiegespräch findet er schließlich eine Antwort.
Gott:
"Der erste Ton den du vernimmst,
der erste Takt den wir spielen.
Der gebrochene Zweig den du siehst,
ein kleines Seelenleben.
So setze dich hier ab
und lausche diesem Wesen."
Asen Slatarov:
Das Kinderheim ist von einer drei Meter hohen Mauer umgeben.
Kein Blick fällt hinein und kein Weg führt hinaus.
Die Häuser mit ihren Winkeln und Ecken,
sie verbergen auch von innen das Geschehen.
Sie können nicht träumen in einem geruhsamen Schlaf.
Denn es wacht die Angst und die Lieblosigkeit.
In den größeren Kindern spiegelt es sich wieder,
wenn ihre angestauten Aggressionen auf die "Hilflosen" prallen.
Und wie in einer Spirale wächst wohl auch ihr Kern
zu einer harten rauen Masse heran.
Der Klang der nächtlich verschließenden Tür
widerfährt mich in unruhigem Traume.
Der Geruch abgestandenen Urins steht im Raume verteilt.
Die Fenster verschlossen.
Die Kissen verdreckt und der Boden verschmiert.
Es riecht nach Hunden, obwohl es keine gibt.
Würgen.
Am Tage.
Sie rennen schreiend herum wenn ihnen langweilig ist.
Oder treten vor Stühle, Mülleimer und Beine.
Und in ihren Kleidern wohnen Löcher.
Manchmal nicht, vielleicht wenn Weihnachten ist.
Kinder sitzen im leeren Raume auf dem Boden.
Aber ihr Fernseher ist groß und flach.
In ihm der bulgarische "Popkanal".
Nackte Frauen tanzen aufreizend.
Und zehnjährige Kinder ahmen sie nach.
Obszöne Gesten überwiegen.
Was sind Grenzen? Was denkst du?
Ein Junge kratzt und beißt alles Greifbare.
Er könnte auch ein Wolf sein.
Man hat ihn angepinkelt und mit kaltem Wasser begossen.
Ein anderer reißt sich selbst die Haare raus.
Eine Erzieherin sitzt auf einer Bank und spricht.
Sie tut es leise, wahrscheinlich ist sie müde.
Und ein junges Mädchen steht in einer Ecke.
Sie zuckt zusammen wenn jemand hinter ihr geht,
es könnte wieder schmerzhaft sein.
Ich:
"Die Hilflosigkeit.
Bin ich deswegen hier?
Den Jungen den du mir brachtest, er war lange still,
nachdem ich ihn getröstet.
Bis ich ging.
Da begann er fürchterlich zu weinen.
Bin ich deswegen hier?
Sein Gesicht war nass und rot,
vor allem seine Augen.
Er lag auf dem Boden,
schlug mit der Faust auf den kalten Stein.
"Dunkle Wesen" standen um ihn herum und lachten,
ab und an traten sie zu.
Bis ich schrie.
Neben ihm hockend empfand ich die Trauer
und spürte sie in seinem Kummer."
Gott:
"Wie war das, als du das erste Mal zu Besuch
und gleich im strömenden Regen.
Wenn die kleinen Hände dich unentwegt um Aufmerksamkeit beten
und du überrascht und bleich an deine Angst gebunden.
Wie war das, als du ihn weinend gesehen,
so einsam auf dem rauen Asphalt.
Hast du nicht alles Denken verloren und bist zu ihm geeilt.
Verschwunden die leere bleiche Gestalt.
War es nicht deine Träne die seinen Kummer beweint.
Kannst du Zweifel empfinden,
wenn er in deinen Armen verweilt.
Deine ruhigen Sorgenlieder, sie klingen,
als würden sie zum ersten Mal gesungen.
So spüre hier den Sinn,
warum ich deinen Geist an einen Körper bind.
Das der Liebe Willen unsere Hände trösten
und sich der Spendende doch dadurch selbst verliert.”
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