Anders gedacht...
Das erste Wochenende in Ungarn verläuft für grey anders als erwartet. Sie ist krank und muss das Bett hüten. Dafür wird die Zeit danach mit der Mission "Integration - Finde Freunde!" umso besser.
"Honig" stand ganz oben auf meiner Einkaufsliste, dass ich aber so schnell daran kommen würde, hatte ich nicht gedacht. Nun ja, eigentlich hatte ich mir auch mein erstes Wochenende in Ungarn etwas anders vorgestellt.
Man könnte sagen, ich habe mir die Decke meines Zimmers etwas genauer angesehen. Sie ist wirklich makellos bis auf diesen einen großen Riss, der sich von ganz unten der Schräge bis ganz nach oben zur Balkenkonstruktion zieht. Das war mir aber ehrlich gesagt herzlich egal. Ich war nämlich krank und lag mit 39°C Fieber im Bett. Absolute Bettruhe, Antibiotika, zwei unterschiedliche Teesorten, Vitamintabletten, Schmerztabletten und Calcium – so viel habe ich in Deutschland noch nie verschrieben bekommen. Hach, hätte da nun meine Betreuerin Astrid vom Ausreiseseminar gesagt, mach dir nix draus – bist ja über die AXA versichert. Se Card sei Dank, was ;)...
Ich fand das aber am Wochenende wirklich nicht witzig. Man muss nämlich wissen, dass die Ungarn bereits 37°C für Fieber halten. Ergo bedeuten 39°C Fieber, dass du kurz davor bist zu sterben. Das war ich nicht. Zumindest nicht vor Fieber, eher vor Langeweile. Und dabei habe ich echt viel geschlafen. Ich musste mich auch nicht um sonderlich viel kümmern. Mein Chef Zwei, Fecó, und Anikó mutierten zu so etwas wie eine Ma aus zwei Hälften und kümmerten sich total lieb um mich. Anikó Ma kochte sogar für mich (was mein Magen zum dem Zeitpunkt nicht ganz so prickelnd fand) und auch Piroska, meine Mitbewohnerin, kochte einmal für mich und brachte mir einen Apfel zur Aufmunterung. Wer mich kennt, weiß, ich liiiiieeeeebe Äpfel.
Tja, inzwischen geht es mir wieder ganz gut. Hin und wieder wird es mir noch schwindlig und ich muss mich setzen, um nicht gleich umzukippen. Wie heute Morgen zum Beispiel. Wir bekamen von Szilard, Chef Eins, eine Einführung in die Handhabung der Kamera. Also einer richtigen Kamera, nicht so einer Digicam. Eine Stunde war etwas zu viel Stehen für mich. Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich besser war, sich hinzusetzen, denn meine beiden Chefs waren sofort alarmiert. Ich dachte schon, dass sie mich jetzt gleich wieder zurück ins Appartement schicken, aber ich konnte sie davon überzeugen, dass es mir gut geht, dass ich aber einfach noch etwas vom Fieber geschwächt bin. Als Ergebnis brachte mir Fecó sogleich ein ganzes Glas Schwarzen Tees – zur Belebung. Meine Geschmacksnerven waren vorher schon nicht die besten... aber jetzt - ich glaube, jetzt habe ich gar keine mehr.
Einmal vom Ableben meines Geschmackssinns abgesehen, geht es mir aber gut. So gut, dass ich bereits am Montag wieder die Mission "Integration - Finde Freunde!" in Angriff nahm. Nach dem Wochenende war ich nämlich hinsichtlich meines Heimwehs und eines furchtbaren Gefühls der Einsamkeit schwer gebeutelt (und das, obwohl meine zweigeteilte Ma des Öfteren mal vorbeischaute) und musste etwas für mein soziales Leben tun. Also besuchte ich den Nationalitätenclub.
Im Großen und Ganzen handelt es sich dabei um eine Gruppe älterer Ungarn-Deutscher, die sich regelmäßig treffen, um zusammen Wein zu trinken und volkstümliche Lieder zu singen. Mariann, eine Bekannte in meinem Alter, begleitet sie immer auf dem Akkordeon. Zugegebenermaßen ist das nicht unbedingt mein Klientel. Andererseits soll man ja aber für alles offen sein. Das ist zugegebenermaßen ein recht laues Argument, deshalb habe ich ja auch andere:
1. "Irgendeine" Gesellschaft ist immer besser als gar keine
2. Als EVSler habe ich die Pflicht mich zum Wohle der Gemeinde einzubringen
3. Durch die teils ungarischen, teils deutschen Liedtexte kann ich zum einen an meinem Ungarisch feilen, zum anderen deutsche Kultur weiter pflegen
4. Ich habe einen Tisch voller muttersprachlicher Nachhilfelehrer
5. Singen macht Spaß.
Ich finde dann doch, dass die Pro-Argumente deutlich überwiegen und werde also wieder nächsten Montag hingehen – was Besseres habe ich schließlich nicht zu tun. Das ist aber natürlich nicht der einzige Kontakt, den ich diese Woche geknüpft habe. Gestern musste ich nach der Arbeit noch Flyer für den Jugendclub austeilen, weil der am Sonntag ein Weinlesefest ausrichten wird – bei dem ich fotografieren werde *freu*!
Unterstützung erhielt ich dabei von Tüde, einer vierundzwanzigjährigen jungen Frau mit wunderschönen roten Locken. Meine Freundin Kohakuchan würde bei dem Anblick der roten Haare vermutlich laut aufquietschen vor Begeisterung. Wir haben uns so gut verstanden, vermutlich auch deshalb, weil ich sie das eine oder andere Mal vor wildgewordenen Wachhunden bewahrt habe, dass sie mich gleich zu einem "Junge-Leute-Treff" am Samstagabend eingeladen hat.
Mit den Tieren ist das hier übrigens so eine Sache. Es erinnert mich etwas an die Tierhaltungsmentalität der Spanier. Hier gibt es extrem viele Hunde und Katzen. Die Katzen sind meistens klein und putzig, selbst die erwachsenen Katzen. Die Hunde dagegen sind weniger klein und noch weniger putzig. Das habe ich heute wieder beim Fotografieren gemerkt. Ich hatte die Aufgabe Bilder zu den Themen "Stand des Baus des neuen Kindergartengebäudes" und "Herbst in Tótvázsony" zu machen und bin mehr als einmal erschrocken, als da auf einmal so ein Riesen Tier an das Gatter heran gedonnert ist und mich wie wild angekläfft hat.
Ich bin mit einem Hund aufgewachsen und bin diesbezüglich eigentlich nicht sehr schreckhaft, aber die Hunde sind hier nicht mehr ganz dicht. Wachhunde eben. Ich glaube nicht, dass sie die Grundstücke jemals verlassen. Zumindest habe ich hier noch nie jemand mit seinem Hund laufen sehen. Manche scheinen daher auch schon einen gewissen Schatten wegzuhaben. Sie rennen wie wild von der einen Seite des Tors zur anderen und prallen dabei beinahe gegen mit dem Schädel gegen die Mauer.
Neben den Hunden gibt es auch Hühner (direkt hinter dem Hotel ist ein ganzer Hühnerstall, der mich morgens immer nervt), Schafe und Pferde. Vor allem letzteres ist zu erwähnen. Ich hatte heute nämlich meine erste Reitstunde =). Das ist insofern bemerkenswert, dass ich Pferde eigentlich schon immer sehr gern hatte, es aber irgendwie nie in einen Reitstall geschafft habe. Jetzt, ganz fern der Heimat, scheint dieser Wunsch endlich in Erfüllung zu gehen. Und das für 2000 Forint die Stunde. Das sind umgerechnet etwa 8 Euro. Ich finde, da kann man sich echt nicht beschweren. Das Pony und ich passen auch ganz gut zusammen – wir sind beide Dickköpfe...
Mit diesem letzten Satz grüße ich den lieben Serpentinenheizer, der sich jetzt vermutlich ausmalen wird, wie ich auf einem kleinen Rappen hocke, wir beide unseren eigen Willen durchsetzen wollend, und sich dabei königlich amüsiert.
Gute Nacht =)