"An Invocation For Beginnings"
Wie packt man für zehn Monate? Gedanken zur letzten Woche vor der Ausreise nach Estland.
Wie bitteschön packt man für zehn Monate?
Ich glaube das ist eine Frage, deren Schwierigkeit sie zu beantworten einem erst klar wird, wenn man vor seinem Koffer sitzt – eine Woche vor Ausreise – und versucht das über Jahre angesammelte Hab und Gut auf 20 Kilogramm zu reduzieren. Es will überlegt sein, was man mitnimmt, was nützlich sein könnte oder auch einfach nur schmerzlich vermisst werden würde, ließe man es in Deutschland zurück. Ich baue zwei große Haufen mit Zeug das definitiv mit muss und Dingen die ich am liebsten auch noch mitschleppen würde, die den Rahmen aber definitiv sprengen würden.
Ich schaue durch mein Zimmer und stelle fest, dass ich am liebsten auf gar keines meiner Besitztümer verzichten möchte, es wohl oder übel aber muss.
Viel Zeit zum Trödeln habe ich eigentlich nicht, da ich mir, keiner wirklichen Logik folgend, die letzten Wochen unnötig mit Terminen vollgestopft habe und nun so viel erledigen muss, dass ich kaum zur Ruhe komme und ständig das Gefühl habe etwas zu übersehen oder zu vergessen.
Der Gedanke deprimiert mich und ich drücke mich trotzdem vor dem Packen und vertrödele Zeit im Internet, surfe auf Youtube nach Videos meiner neuen „Heimat“.
Tallinn, Estland.
Bis Juli 2013 werde ich meine Zeit in dieser baltischen Hauptstadt verbringen, deren Existenz mir bis vor wenigen Montaten zwar bekannt, allerdings ziemlich egal war. Und nun soll ich dort leben und arbeiten. Ich klicke mich durch zahlreiche Blogs und online-Reiseführer. Esten sollen kalt und verschlossen wirken – ob ich trotzdem ein paar von Ihnen für mich gewinnen kann? Ich denke an die Kinder, mit denen ich im Mustamäe Jugendcenter arbeiten werde und hoffe, dass wenigstens diese nicht allzu verschlossen sein werden, denn das würde meine Arbeit nicht gerade verschönern, ganz zu schweigen denn erleichtern.
Ein paar Zweifel habe ich schon. 10 Monate in einem fremden Land, dessen Sprache ich (noch) nicht beherrsche, ohne Freunde und Familie und das Erste was meine Betreuerin mir über die Esten mitteilt bestätigt das Klischee „Estonian people are friendly once you get to know them…but it takes a lot of time“. Ich sehe einen einsamen ersten Monat vor mir und meine Lust meinen Koffer weiter zupacken steigert das nicht unbedingt.
http://www.youtube.com/watch?v=RYlCVwxoL_g
„This is an invocation for anyone who hasn’t begun. Who’s stuck in a terrible place between zero and one.” Ich kenne dieses Video, “An Invocation For Beginnings” vom amerikanischen Online-Performance Künster Jan „ze“ Frank schon seit einigen Monaten, war mir dessen Botschaft allerdings nicht wirklich bewusst, bis zu dem Augenblick an dem ich beim Surfen im Internet wieder zufällig darüber stolpere.
Ein ‚Aufruf an Anfänge‘ - was würde mir momentan gelegener kommen, wo ich doch gerade vor einem neuen Anfang stehe? Ich schaue mir das Video mehrere Male an und denke darüber nach, welche von ze Franks Bedenken ich auf meine eigenen Ängste beziehen kann und beschließe letztendlich die Tonspur des Videos mit meinem Ipod aufzunehmen um sie mir auf dem Weg in mein neues Zuhause immer wieder anhören zu können. Plötzlich fühle ich mich schon viel besser.
Ich glaube ich habe zehn aufregende Monate vor mir.
„There’s no need to sharpen my pencils anymore – my pencils are sharp enough. Even the dull ones will make a mark.
Warts and all – let’s start this sh*t up” :)
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