Zwischenbericht - Teil 1 meines Abenteuers
Die Hälfte ist vorüber und es lohnt sich, zurückzublicken. Welche meiner Erwartungen und Befürchtungen sind eingetreten? Was habe ich bereits erlebt und gelernt? Und was genau mache ich denn jetzt eigentlich in meinem Freiwilligendienst hier?
Nun ist es schon ein halbes Jahr her, dass ich mit meinem vollgepackten Koffer ins Flugzeug gestiegen bin und mich auf den Weg nach London ins vereinigte Königreich begeben habe, um hier eins, der wohl schönsten und aufregendsten Jahre meines Lebens, zu absolvieren.
Im Rückblick ist es unglaublich, wie schnell der erste Teil meines Europäischen Freiwilligendienstes vorübergegangen ist. Gerade sitze ich noch mit all meinen Sorgen und Ängsten im Flugzeug und kurz darauf schreibe ich schon einen Halbjahresbericht. Plötzlich spricht man nicht mehr davon, wie lange man schon da ist, sondern erzählt wie kurz man nur noch da ist, und wünscht, es wäre mehr.
Aber ich habe die vergangenen sechs Monate definitiv genutzt:
Wie wahrscheinlich alle Freiwilligen, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben für eine längere Zeit von zuhause wegbegeben, hatte natürlich auch ich viele Ängste zu Beginn. Ich wusste nicht, was mich als Freiwilliger des German YMCA (Young Men‘s Christian Association) erwartet, war mir nicht sicher, ob ich den Aufgaben mit meinen jungen 18 Jahren gewachsen war und mich soweit von zuhause entfernt wohl fühlen werde. Dennoch war ich aber auch gespannt und freute mich darauf, bald in einer Weltstadt zu leben. So startete ich also mit gemischten Gefühlen am 28.August 2019 aus dem kleinen, überschaubaren Saarland in die 9-Millionen-Metropole an der Themse.
Doch kaum war ich angekommen, lösten sich meine Sorgen regelrecht auf und machten Platz für großartige Erlebnisse in einer atemberaubenden Stadt. An meinem Arbeitsplatz gab man mir sofort das Gefühl, willkommen zu sein. Ich traf hier aber nicht nur auf freundliche und hilfsbereite Mitarbeiter, die jederzeit ein offenes Ohr für Fragen und Probleme haben, sondern mich erwarteten auch drei Mitfreiwillige, mit denen ich in den letzten Monaten mehr als nur die Arbeitszeit verbrachte. Inzwischen sind wir schon zu einem richtigen Team und Freunden geworden. All die Erfahrungen mit Freunden zu teilen, macht es noch schöner. Dementsprechend leicht viel es mir, mich auf der Insel einzugewöhnen.
Meine Wohnung teile ich mir mit einem der anderen Freiwilligen. Wir bewohnen eine 2-Zimmer-Wohnung im gleichen Gebäude, in dem wir auch arbeiten. Eine bessere Lage in der Stadt ist für einen Freiwilligendienstler nur schwer vorstellbar, denn unsere Unterkunft befindet sich im Zentrum Londons, in Paddington.
Wenn wir gefragt werden, was wir denn beruflich in unserem Freiwilligendienst machen, schauen wir uns oft gegenseitig an, lachen und beginnen dann einen zehnminütigen Vortrag über den wahrscheinlich vielfältigsten Arbeitsplatz, den man sich nur vorstellen kann, zu halten. Das German YMCA ist eine Chartityorganisation, weshalb es neben internen Tätigkeiten auch externe Projekte unterstützt, in denen wir mitarbeiten dürfen. Intern haben wir neben Officearbeit, in der wir unter anderem eigenen Projekten nachgehen können, vor allem drei große Aufgabenfelder, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Als Organisation, die sich besonders in vergangenen Jahren darauf verstand, eine Hilfe für deutsche Auswanderer zu sein, haben wir viele Mitglieder aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus allen anderen Teilen der Welt. Für diese Mitglieder wird ein wöchentliches Programm zusammengestellt, bei deren Durchführung wir beteiligt sind. Manche der Mitglieder werden von den Freiwilligen auch zuhause besucht, da sie nicht mehr mobil sind und es ihnen daher nicht möglich ist, am Programm teilzunehmen. Zeitlich vermittelt das German YMCA auch Au-Pairs und bietet ihnen Unterstützung an. Um die Zeit der Au-Pairs so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, organisieren wir Freiwilligen ein Freizeitprogramm, an dem wir auch selbst teilnehmen können. Auf diesem Weg sehen wir Musicals, die unfassbar gut sind, singen bei einer Karaokenight, unternehmen Tagesausflüge oder besichtigen beispielsweise den Buckingham Palace. Mittwochs morgens findet darüber hinaus noch eine deutschsprachige Mutter-Kind-Gruppe statt, bei der wir mithelfen. Durch die externen Projekte ist es uns möglich, in einer Krankenhauscafeteria zu helfen, eine Organisation, die mit Menschen mit Lernbehinderungen arbeitet, zu unterstützen, in einer Grundschule einen „After-school-club“ zu geben, beim Holocaust-Survivor-Center tätig zu sein und Lebensmittel an Obdachlose und Bedürftige zu verteilen, bei einer Aktion, die mit der in Deutschland bekannten „Tafel“ vergleichbar ist. Diese Vielfältigkeit lässt keine Langweile aufkommen und trägt dazu bei, dass man sich in verschiedenen Bereichen weiterentwickelt oder neue Fähigkeiten entdeckt.
Zusätzlich wurde mir sogar die Möglichkeit angeboten, einen Sprachkurs zu belegen, um mein Englisch zu verbessern. Eine meiner größten Ängste waren sprachliche Probleme, da ich nur drei Jahre Schulenglisch hatte. Doch sprachliche Fähigkeiten entwickeln sich enorm schnell, sobald man gezwungen ist diese Sprache zu sprechen.
Auch Heimweh ist nur selten ein Problem, da London ein so großes Freizeitspektrum bietet, dass keine Zeit bleibt, um darüber nachzudenken, was zuhause wäre. Außerdem vergeht die Zeit hier sehr schnell. Trotzdem möchte ich nicht leugnen, dass es diese Momente gibt, in denen man sich wünscht seine Familie zu sehen, Freunde zu treffen oder noch einmal in die Schule zu gehen. Umso wichtiger ist es an diesen Tagen einen Freund zu haben, der einen wieder daran erinnert, wie toll und einzigartig die Gelegenheit dieses Jahres ist und einen dann mit in den Pub schleppt, denn sobald man wieder etwas unternimmt, vergisst man auch das Heimweh. Ich bin dankbar diese Freunde hier in meinen Mitfreiwilligen gefunden zu haben, mit denen ich nicht nur die schönste Stadt Europas erkunde, sondern auch andere Teile des Vereinigten Königreiches bereisen kann.
Der Begriff „Abenteuer“ fasst meinen Freiwilligendienst in London ganz gut zusammen und noch ist es glücklicherweise nicht rum. Es liegen noch weitere fünf spannende und außergewöhnliche Monate vor mir, in denen ich auch noch die letzten Winkel der englischen Hauptstadt erforschen möchte, aber vor allem noch weitere Städte der europäischen Insel besichtigen will.
Jedem, der noch zweifelt, kann ich nur sagen, wie sehr sich dieser mutige Schritt lohnt. Es ist nicht nur eine sprachliche und kulturelle Bereicherung, sondern auch ein Lernprozess über sich selbst, über Kommunikation, zwischenmenschliche Interaktion und ein riesiges Erlebnis. Dieses Jahr ist eine einmalige Chance, für die ich sehr dankbar bin, und eine Entscheidung, die ich jederzeit ohne Zögern nochmal so treffen würde!
Persönlicher Tipp: schreibt bevor ihr losfahrt einen kurzen Brief an euch selbst und öffnet ihn nach der Hälfte bzw. lasst ihn euch dann erst von der Entsendeorganisation zusenden. Es ist interessant und zugleich auch lustig eure Erwartungen und Befürchtungen, die ihr jetzt noch habt, mit der Realität zu vergleichen. Zusätzlich könnt ihr euch auch nochmal selbst daran erinnern wie großartig diese Chance ist und wie sehr ihr es genießen wollt!