Zwischen Rechten und Pflichten
Wie viel freier Wille steht einem Freiwilligen eigentlich zu?
Wie viele Kinder darf ein Freiwilliger alleine unterrichten? Darf er das überhaupt? Wie abhängig darf eine Organisation von ihren Freiwilligen sein? Hat eine Organisation das Recht die Ferienanträge ihrer Freiwilligen abzulehnen? Gibt es einen festen Rahmen, vorgeschriebene Regeln, und eine Institution, die das kontrolliert?
Nach 7 Monaten, 2 Seminaren und einer Menge intensiver Gespräche scheinen sich viele dieser Fragen zu beantworten. Die Tatsachen überraschen mich kaum, aber die Realität sieht anders aus. So hatte ich doch von Anfang an eine Recht große Verantwortung innerhalb meines Projekts. Zunächst noch geschmeichelt von der Wichtigkeit meiner Arbeit, und nicht zuletzt aus Unerfahrenheit, habe ich noch großzügig über die hohen Erwartungen hinweggesehen. Eine Herausforderung sollte dieses Jahr werden, also warum gleich vor den neuen Pflichten und den hohen Ansprüchen zurückschrecken? Dass meine Aufgaben die gleichen wie die eines Vollzeitbeschäftigten sein sollten, war mir schnell klar, trübte jedoch weder meine Motivation noch mein Engagement. Ich gewöhnte mich schnell daran, Kurse oder Workshops alleine zu geben und immer auf die Abwesenheit eines Trainers vorbereitet zu sein. Das war zwar nicht die Regel, aber auch kein Sonderfall.
Wirklich mit der Fragestellung nach Legalität auseinanderzusetzen begann ich mich erst, nachdem die Ferienregelungen plötzlich verändert wurden und es nicht mehr möglich war, beide Freiwilligen zu gleichen Zeit auf das Seminar zu schicken. Ich halte es durchaus für wichtig, dass ein Freiwilliger fest in die Struktur seines Projekts integriert ist, aber trotz allem braucht es klare Grenzen, die ein solches Abhängigkeitsverhältnis verhindern. Wenn Freiwillige nur noch ein Mittel zum Zweck sind und der eigentliche Lernprozess nicht mehr im Mittelpunkt steht, sollte man anfangen, Gedanken über den Sinn des Freiwilligendienstes und die Funktionsweise seines Projekts zu machen.
Jeder Freiwillige wird vor seiner Ausreise über seine Rechte und Pflichten informiert, die 2012 in der „Charta der Rechte für Freiwillige“ festgehalten wurden. Die meisten Artikel beschränken sich jedoch auf die Rahmenbedingungen, Grundrechte und Verpflichtungen. Wer konkrete Antworten zu seinen Arbeitsbedingungen haben will muss sich an die jeweilige Nationalagentur wenden, die dafür zuständig ist, die Aufnahmeorganisationen zu kontrollieren und in ihrer Arbeit mit den Freiwilligen zu unterstützen.
Viele der Aufnahmeprojekte scheinen selbst kaum zu wissen, welche Aufgaben sie an ihre Freiwilligen weitergeben dürfen ohne sich außerhalb des gesetzlichen Rahmens zu bewegen. Nach einem Regionaltreffen aller Freiwilligen in Paris hatte ich die Möglichkeit, mit dem zuständigen Abgeordneten der französischen Nationalagentur zu reden und ihm meine Aufgaben genauer zu erläutern. Die Reaktion war erschreckend, da selbst dieser nicht wirklich zu wissen schien, was genau die Aufgaben eines Freiwilligen sind und sein dürfen. Die Kommunikation zwischen den zuständigen Verbänden scheint sich auf Formalitäten zu beschränken. Neue Kontrollbesuche sollen das jetzt verändern. Ob das wirklich der Fall ist, werde ich wahrscheinlich nie erfahren, aber ich wünsche allen zukünftigen Freiwilligen, dass der graue Gesetzesnebel ein wenig transparenter wird und so auch die Kommunikation zwischen allen Verantwortlichen.
Es wäre schade, wenn so viel Engagement und Motivation an den Hürden der Bürokratie zu scheitern droht.