Zwei Wochen im Land der Kirschen
Wenn sich 23 Leute aus Polen, Spanien, Lettland, Italien, Rumänien, Russland, Großbritannien, Bosnien, Moldawien, Österreich und Dänemark im Land der Kirschen zu Arbeit, Essen und Spiel treffen, ist es nicht verwunderlich, dass sie gemeinsam zwei Wochen lang Spaß haben.
„Das waren die besten zwei Wochen in meinem Leben in Deutschland“ - war der einstimmige Eindruck von allen 23 Teilnehmern des EFD -Einführungstrainings in Witzenhausen. Aber am Anfang hat niemand gedacht, dass dieses zweiwöchige Seminar so viele positive Emotionen, interessante Eindrücke und neue gute Freunde bringen würde... Am 17. Oktober, früh am Morgen, haben wir (drei Freiwillige aus Strausberg) unsere Reise in die Mitte der deutschen Kirschenlande, nach Witzenhausen angetreten. Das erste Treffen mit anderen Freiwilligen fand schon unterwegs im Bus, im Zug und am Göttinger Bahnhof statt. Es war sehr einfach, die anderen Freiwilligen zu erkennen – ich hatte den Eindruck, dass alle Freiwilligen gleich aussahen. Sie hatten die Einladung zum Seminar, Fahrpläne und Karten in ihren Händen, große Rucksäcke auf ihren Rücken sowie große Erwartungen und Interesse und Neugier in ihren Augen. Und natürlich waren sie alle jung.
So lernten wir einige schon im Zug kennen. Als wir in Witzenhausen ankamen, waren wir schon eine große Gruppe von „sehr gut motivierten“ Freiwilligen. Wir bekamen unsere Zimmer im IBZW „hobbit house“ (es sah genau so aus) zugeteilt, hatten 20 Minuten um die Koffer auszupacken und zu entspannen und schon begann das Programm. Der einzig schwere Tag für die Organisatoren in diesen zwei Wochen war der erste, weil alle Teilnehmer sehr müde und sich noch fremd waren nach der Anreise aus verschiedenen Teilen Deutschlands. Insgesamt 23 junge Leute, einschließlich Teamern, die aus ganz Europa kommen: aus Polen, Spanien, Lettland, Italien, Rumänien, Russland, Großbritannien, Bosnien, Moldawien, Österreich und Dänemark. Einige unter ihnen sprachen nur wenig bis gar kein Deutsch. Ein richtiges Babylon in Witzenhausen. Die einzige Wörter auf Deutsch, die alle immer benutzten; waren „Egal“ und „Genau“ – und überraschend war, dass einige es schafften, mit diesen zwei Wörtern alle Fragen zu beantworten, wie folgendes Gespräch illustriert: „Hallo! Geht’s Dir gut?“ –„Genau!“ „Warum bist du so spät zum Seminar gekommen?“ – „Egal!“ „Willst du nicht sagen?“ – „Genau!“ „Was ist denn passiert?“ – „Egal!“ Aber dieses Problem konnten wir schnell lösen: Guzel (aus Russland) und ich agierten als Dolmetscher für die russischen und lettischen Teilnehmer (in den folgenden zwei Wochen hatten wir wirklich viel zu tun), und für die polnische Gruppe wurde auch ein Dolmetscher gefunden. Wir haben einander schnell kennen gelernt und sind am ersten Abend schon Freunde geworden. Danach bekamen wir die Möglichkeit, Spiele und Arbeit anzufangen. In diesen zwei Wochen in Witzenhausen wir haben sehr viel geschafft, weil wir jede Minute wir entweder gespielt oder gearbeitet haben. Meistens waren Spiel und Arbeit miteinander verbunden.
Wir lernten uns bereits durch das gemeinsame Stadtspiel kennen. Nach einem kurzen Rundgang durch die Stadt wurden unter uns die Aufgaben verteilt und es galt, die verschiedenen Gegebenheiten unter Zuhilfenahme der Bewohner der Stadt zu entdecken (Kultur, Tourismus, Wirtschaft, Soziales und Geschichte). Witzenhausen, heute kleinste Hochschulstadt Deutschlands mit internationaler Bedeutung, war bereits vor 750 Jahren Zentrum des Schulwesens im unteren Werratal. Für die historische Entwicklung Witzenhausens war die Gründung des Klosters von großer Bedeutung. Die bedeutenden Orte in Witzenhausen sind der Marktplatz mit den alten Rathaus, die Brückenstraße, Liebfrauenkirche, der Diebesturm, das Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft, und natürlich die 150.000 Kirschbäume – die Visitenkarte von Witzenhausen. Später erfuhren wir, dass es keine Disko in Witzenhausen gibt. „Wenn Ihr jetzt in eine Disko gehen möchtet“ sagte uns ein Junge auf die Straße, „ müsst Ihr nach Göttingen oder nach Kassel mit dem Zug fahren, ich mache das selbst jeden Samstag so“. Am ersten Seminartag erzählten wir unsere Erwartungen und Ängste, sprachen über Rechte und Pflichten der Freiwilligen und über unsere Projektplätze. Es waren ganz verschiedene Projekte: vom Zoo bis zur Jugendausbildungsakademie, vom Kindergarten bis zum Sozialhilfezentrum vorgestellt. Auch die Projektorte variierten: von großen Metropolen bis hin zu kleinen Dörfern und sogar eine kleine Insel in der Nordsee (wohin die Freiwillige sechs Minuten mit dem Flugzeug vom Festland fliegen muss) waren darunter. Wichtiges Ziel dieses Spiels ist, dass die Jugendlichen sich selbst und ihre eigene Identität besser verstehen.
In diesen zwei Woche haben wir viele Ausflüge untergenommen. In Kassel haben wir den berühmten Bergpark mit Schloss Wilhelmshöhe und Löwenburg, Wasserkünste, Kaskaden und Aquädukt besichtigt und danach das Gebrüder-Grimm-Märchen-Museum (mit einer komischen Ausstellung von Märchen aus 1001 Nacht), das Kunstmuseum und die studentische Mensa zusammen besucht. Sehr interessant und erkenntnisreich war die Fahrt zum Grenzemuseum – einem Ort der Begegnung mit der jüngsten deutschen Geschichte. An der ehemaligen Grenze zwischen früherer DDR und BRD ist auf einer Länge von ca. 1500 Metern ein im Originalzustand erhaltener Metallgitterzaun zu sehen. Diese Grenzbefestigung wurde Ende der sechziger Jahre von Pionieren der Grenztruppen der DDR errichtet. In den drei Ausstellungsräumen des Museums kann sich der Besucher anhand von Originaldokumenten, Bildern, Karten und vielfältigen anderen Darstellungsformen über die Geschichte der deutschen Teilung und deren Auswirkungen auf die Menschen im ehemaligen Grenzgebiet, über Vertreibung und Isolation und die hermetische Abriegelung des Staates DDR informieren. Sehr beliebt bei allen Freiwilligen war das Foto mit dem Plastikgrenzbeamten und einem DDR-Grenzmarkierungspfeiler. Anschließend sind wir im Wald in der Nähe spazieren gegangen, um die ehemalige Grenze zu finden, doch die Natur hat ihre Spuren überwachsen. Nur die noch kleineren und jüngeren Bäume sind ein sichtbares Zeichen.
Sehr interrasant war die Ausstellung „EXPO 2004 - Europäische Kulturen“, wo jeder sein Land präsentiert hat. Das war der interessanteste Geographieunterricht, den ich je hatte. Es war eine Mischung aus Italienischer Pasta und moldawischem Volkstanz, polnischen Liedern und englischem Tee, einem lettischen Fest und russischer Geschichte. Ich selbst habe ein Stück moldawischen Volkgruppentanz präsentiert. Natürlich tanzt in meiner Heimat niemand in solcher Weise, aber die Leute im Seminar wussten das nicht und waren sehr zufrieden. Wir haben dann zusammen ein Lied komponiert und übersetzt in alle 13 Teilnehmersprachen. Auf Deutsch hieß es: „Ich bin ich, Du bist du, Und überall wir sind hier!“. Dieses Lied wurde die Hymne von unseres EFD-Seminars, wir haben es jeden Tag gesungen – in allen 13 Sprachen.
Den bedeutendsten Platz in unserem Zusammenleben nahm natürlich die internationale Küche ein. Pirogen mit Fleisch und Käse, Golubzi in Weintraubenblättern, Pelimeni, Baklajani und viele andere Gerichte wurden zusammen gekocht und zusammen gegessen. Alle Abende verbrachten wir mit Spielen und Erholung, und deshalb war es sehr schwer morgens, um 8.00 Uhr aufzustehen und das Seminar zu beginnen. Aber alle hatten genug Kraft und Lust zum Spielen. Am letzten Tag fand die große Präsentation unserer eigenen Projekte statt. Eine Gruppe hatte ein Wandbild gestaltet: eine Karte von Deutschland, zusammengesetzt aus Fahnen verschiedener Länder und natürlich wurde unsere Hymne gesungen. Am Abend es wurde eine Zirkusshow mit Tricks und Menschenpyramide als Hauptgang präsentiert (die drei Jungs im Fundament dieser Pyramide sahen besonders zufrieden aus, trotz der Schmerzen in Rücken, Beinen, Armen und Schultern). Die Zeitungsgruppe hat die Präsentation mit vielen Bildern von täglichem Leben in Einführungstraining vorbereitet, außerdem jeden Teilnehmer interviewt, um am Ende eine kleine Geschichte darzustellen. Lob gab es von den Teamern – weil wir so selbständig waren, hatten sie die Zeit über wenig zu tun.
Zu dritt kamen wir schließlich wieder in Strausberg an. Schon am Abend fühlten wir, wie wir alle Leute aus Witzenhausen vermissen. In diesen zwei Wochen sind wir richtige Freunde geworden. Und alle haben jetzt vor, sich wieder zu treffen, wir haben doch dafür viel Zeit.
Zwei komische Gewohnheiten sind nach dem Witzenhausen Seminar geblieben: Die erste ist, immer zu klatschen, wenn jemand etwas sagt, und die zweite, sich in einer Sprachmischung aus Polnisch, Englisch, Dänisch, Lettisch, Moldawisch, Russisch und Deutsch zu verständigen.
Comments