Zuhause-Gefühl
Wohin hat mich das letzte halbe Jahr getragen? Wo sitze/stehe/fliege ich derzeit?
Das neues Semester bringt Veränderungen mit sich. Dieses Mal spreche ich aber nicht von der Planung von zukünftigen Veranstaltungen oder meinem Unterrichtsplan. Ich spreche davon, wo ich gerade stehe. Emotional und mental. Zwischen den Kulturen. Auf einer Skala von Keruina bis Mona, wer bin ich?
Das Einzige, was ich – wenn ich es wörtlich nehme - beantworten kann: Mona. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, meine Freunden zu bitten mich mit Mona anzusprechen und stelle mich normalerweise auch mit Mona vor (außer im internationalen Büro der Uni oder bei den Lehrern). Zwar reagiere ich auf beide Namen, aber das „Ich bin Mona.“-Gefühl ist wieder vollkommen zurückgekehrt. Anfänglich war es versteckt, zwischen all der Fremde. Nach einiger Zeit kehrte es langsam zurück. Nun sitzt es wieder auf meiner Schulter und lächelt mich stolz an.
Zuhause – Gefühl
Obwohl ich die letzten zwei Monate in verschiedenen Wohnungen und Hotels gewohnt habe, ist die Uni mein Zuhause. Mein Zimmer teile ich mittlerweile, was natürlich einer gewissen Umstellung bedarf. Mit offener Kommunikation ist das aber kein Problem. Meine anfänglichen Sorgen sind verflogen. Das Zusammenleben kann funktionieren. Es basiert eben auf Kompromisse. Dazu sind wir, denke ich, beide bereit. Mein Zuhause mit einer neuen Bekannten zu teilen, stellt die Bezeichnung „Zuhause“ keinesfalls in Frage. Es geht mir dabei nicht direkt um mein Zimmer, oder mein Bett, wie vielleicht viele denken. Es geht bloß um das Gefühl, dass ich weiß, was ich hier mit mir anfangen kann. Wo ich billiges Wasser, frisches Obst und Gemüse und den besten Kaffee kriegen kann. Wo ich mich hinsetzen muss, um konzentriert lernen zu können. Wo ich Raum habe, wenn ich die Musik aufdrehen und tanzen will. Wo ich sinnvolle Arbeit leisten und etwas Gutes kann.
Mittlerweile weiß ich, auf wen ich mich hier verlassen kann. Wer meine Freunde sind. Ich weiß, was ich machen muss, um den Stress herunterzufahren, um abzuschalten. Ich weiß, wie ich den Studenten helfen kann. Was mir an meiner Arbeit Spaß, und was mich stört. Ich habe ich eine gute Mischung zwischen westlicher und chinesischer Küche gefunden. Ich habe den Wert von frischem Essen zu schätzen gelernt. Gleichzeitig weiß ich auch, welches deutsches Essen ich vermisse.
Ich weiß so vieles mehr als vor einigen Monaten. Ich habe mich in vielerlei Hinsicht besser kennengelernt. Meine Interessen, Wünsche, Ziele, Stärken, Schwächen, meine Liebe. Ein Punkt, über den ich mir sicherlich nur durch die Distanz so bewusst geworden bin: Meine Kultur.
Oh ja, ich habe verdammt viel gelernt.
Die übrigen Tage abzählen? Vergiss es. Ich genieße meine Zeit hier sehr. Ich bin mir darüber bewusst, was ich hier zurücklassen werden muss. Nämlich eine Menge. Großartige Menschen, einen Batzen an Freiheit und Freiraum. Ich hoffe sehr, dass ich meine Spontanität auch in Deutschland am Leben erhalten kann und nicht zu sehr in meinen die-nächsten-zwei-Wochen-sind-verplant-Rhythmus zurückfalle. All das Essen, die vielen hübschen Cafe's, tolle Restaurants, Parks, Geheimtipps – all das, was ich an dieser Stadt mag. Auch all das, was ich oft als störend empfinde, werde ich zurücklassen: Rassismus, das „Alien-Gefühl“ (inklusive Fotoanfragen, schrägen Blicken und den tausend Fragen nach meiner Herkunft), insgesamt die hohe Aufmerksamkeit, die der Herkunft eines Menschen gewidmet wird, Kommunikationsprobleme bzw. Sich-nicht-ausdrücken-zu-können. Das sind so die größten „Minuspunkte“, die ich meinem Aufenthalt hier zuschreiben muss. Dennoch erzeugt keines dieser Dinge das Bedürfnis zurück nach Deutschland zu wollen. Das Gefühl entsteht selten, zum Beispiel bei dem Film „Berlin Syndrome“, den ich am Wochenende schaute. Ich sehe Bilder von Berlin und merke auf einmal wieder, wie sich bereits einfache Bilder einer deutschen Stadt so sehr von chinesischen Straßen unterscheiden können. Wenn ich das Wort „Schrebergarten“ höre und denke: „Verdammt, Deutschland ist schon ziemlich genial!“. Ja, dann freue ich mich darauf zurück zu kehren.
Ich weiß, das Leben in Deutschland wartet auf mich. Und ich freue mich ungemein darauf eine alte-neue Umgebung kennenzulernen. Die Herausforderung des Kulturschockes nehme ich gerne ein zweites Mal auf mich. Auch wenn ich weiß, dass es anfangs sehr hart wird. Ich denke, das habe ich vor meiner Ausreise deutlich unterschätzt. Nun ist es mir bewusst: Zurückzugehen ist nicht einfach. Zurückzulassen genauso wenig. Wenn man etwas Neues gewinnt, verliert man Altes. Das kann hart sein. Doch beschweren möchte ich mich wirklich nicht. Mein Fast-Jahr (10 Monate) in China ist eben ein All-Inclusive-Paket. Und das ist doch einfach das beste Paket, oder?!
War ich verrückt oder mutig?
Es war etwas verrückt. Ich traf die Entscheidung ohne etwas über China zu wissen. Ich bin froh, dass ich der Kultur somit recht offen begegnen konnte. Es war mutig. Und absolut richtig. Diese Erfahrungen, die ich hier sammeln kann. Alles, was ich hier intensiv erlebt, beobachtet, gelernt, verstanden und akzeptiert habe oder akzeptiert habe, etwas nicht zu verstehen – All-Inclusive-Paket eben. Dafür bin ich sehr dankbar.
Es wird schwer hier wieder auszusteigen. Zurück in die Heimat. Ich muss mich vielen Fragen stellen. Nicht nur von Freunden und Bekannten „Wie war's?“, „Na, wie sind die Chinesen so?“ etc., sondern meinen eigenen Fragen. Wie möchte ich nach all dem weitermachen? Mit wem möchte ich den engen Kontakt wiederaufbauen? Zu wem aus China möchte ich den Kontakt halten? Was fange ich mit meinen Chinesisch-Kenntnissen an? Wie werde ich den Alltag, den ich hier wirklich liebe, in Deutschland gestalten? Wie werde ich das Gelernte und Erfahrene für mich nutzen und/oder ggf. weitergeben? Wie weit kann ich meine Botschafter-Rolle auch nach dem Freiwilligendienst aufrecht erhalten?
Das Beantworten all dieser Fragen braucht Zeit. Zeit, die ich zum Glück noch habe und mir nehmen werden. Fragen, mit denen ich nicht alleine bin. Eine gute Mischung, um die richtigen Antworten zu finden.
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