WTF is SWAG!? - Eine Nacht in Sofia
Ein kleines Label aus Sofia feiert - Eindrücke aus der bulgarischen Undergroundszene
Es regnet in Strömen, als der Bus über das holprige Kopfsteinpflaster von Plovdiv fährt. Der Busfahrer gibt sein Bestes, den zahlreichen Schlaglöchern und den gigantischen Pfützen auszuweichen. Mit gefühlten 60 km/h kriechen wir später über die einzige Autobahn des Landes. Vermutlich eine gute Geschwindigkeit für einen Bus, der vor einigen Jahrzehnten in Deutschland ausrangiert wurde um anschließend aufgrund von Geldmangel in Bulgarien günstig erstanden wurde. Alle zwei Kilometer erblicke ich ein Auto mit eingeschalteten Warnblinkern auf dem Seitenstreifen. Einmal ist auch ein Straßenhund zu sehen, der beim Anblick unseres Busses gemütlich zum Mittelstreifen zurücktrottet. Manchmal taucht eine kleine löchrige Straße auf, die als Zubringer der Autobahn dient. Ein Bulgare hat vermutlich seine Ausfahrt verpasst, jedenfalls macht er sich gerade vorsichtig daran, die Autobahn über die Auffahrt zu verlassen. Nach etwa zwei Stunden tauchen die ersten Plattenbauten Sofias auf.
Hostel Check-In, Welcome Drink, erste Bekanntschaften. Es geht alles sehr einfach und schnell. Im Gegensatz zu Plovdiv, sprechen hier viele Leute Englisch, die Straßen sind in einem besseren Zustand, die Wohnblöcke sehen moderner aus und auf der Straße sind weniger streunende Hunde und Katzen unterwegs. Es fühlt sich schon fast wie eine westeuropäische Großstadt an. Ich fahre zur Endstation der U-Bahn, wo ich mit Stefan verabredet bin. Als „Cyberian“ tritt Stefan als DJ auf, außerdem produziert er auch seine eigene Musik. Zusammen mit anderen Musikern aus Sofia betreibt er das Label „WTF is Swag“. Außerdem ist er der Veranstalter der Party im Studio EW, zu der er mich eingeladen hat.
Kaleidoskopyian: Stefan, welche Rolle spielt das Internet in deinem Leben und in deiner Musik als Cyberian?
Cyberian: Ich denke, es ist etwas Obligatorisches. Es ist womit ich aufwache und womit ich schlafen gehe. Ich fühle mich gesegnet, dass die Informationen zu mir fließen und dass ich meine URL-Freunde haben kann. Ich arbeite außerdem als Systemadministrator, deswegen bekomme ich jede Menge Inspiration von der Ästhetik des Rechenzentrums und den Kabelpornos.
K: Wie bist du in Berührung mit elektronischer Musik gekommen? In deiner Stadt oder übers Internet?
C: Das war um ehrlich zu sein in der Pre-Internet Era, aber mit dem Produzieren und DJing habe ich erst später angefangen. Ich habe tatsächlich bereits in der Kassetten/ CD Era angefangen elektronische Musik zu hören. Ich hatte zum Beispiel WARP Record Tapes und viel Industrial und Ambient Stuff. Die Klassiker wie The Orb, Brian Eno, Scorn, Squarepusher, AFX und solche Sachen wie in den späten 1990ern.
K: Deine Musik kann nicht wirklich einem Genre zugeordnet werden. Welche Interpreten und welche Musik ist Teil deiner Inspiration? Wie beeinflusst die Stadt in der du lebst deine Musik?
C: Ja, stimmt, ich wollte mich nie über ein Genre definieren, weil ich eben immer ich selbst war, weißt du? Meine Stadt hat keine große Szene in elektronischer Musik, deswegen war es hart für mich in ein bestimmtes Genre oder in eine Szene zu geraten. Mit dem „WTF is SWAG“-Label wollten wir einen Standard für unsere Events und Releases setzen. Der Sound ist eklektisch, hat aber ähnliche Einflüsse, deswegen kann man ihn gut mixen. Es ist instrumentaler Hip Hop gemischt mit elektronischer Clubmusic. In meiner Stadt lebe ich um ehrlich zu sein das Leben eines Außenseiterkünstlers. Fast niemand versteht meine Musik, ich fühle mich sogar gut dabei die schrecklichen Gesichter des Publikums zu sehen, wenn ich spiele. Ich vermute die Leute erwarten Top 40 Charts, aber es kann vorkommen, dass ich eine halbe Stunde lang beatlose Musik spiele. Sofia ist wirklich im Randgebiet der europäischen Kulturszene, es ist ein isolierter Ort in der Peripherie und ich bekomme nicht besonders viel Anerkennung für meine Musik, aber ich arbeite hart daran Sofia verrückt zu halten!
K: Was denkst du über die Musikszene von Sofia? Ist es ein guter Ort um als Künstler zu leben?
C: Kunst ist etwas, das keine Erklärung braucht. Man fühlt sich einfach gedrängt etwas zu schaffen. Manchmal können Beschränkungen auch den kreativen Prozess fördern. Ich habe das Gefühl, dass die Szene von Sofia in den letzten 2-3 Jahren extrem langweilig war, aber die Stadt neigt dazu sich schnell zu ändern, niemand weiß was passiert…Wie ich bereits gesagt habe, können viele hier meine Musik nicht verstehen, ich verbreite meine Kunst und bekomme online mehr Feedback als durch persönlichen Kontakt. LOL.
K: Du bist Teil des “WTF is Swag” Labels. Wie hast du das Label kennen gelernt?
C: Wir haben das Label vor 4 Jahren gegründet mit meinen Freunden Mojo Goro, Parallel Concept und HiБrid Beats. Es ist eine Eigeninitiative.
K: Was ist die Philosophie des Labels? Ist es euch wichtig, eure Musik via Bandcamp zu verkaufen um unabhängig zu bleiben? Warum habt ihr euch dazu entschieden die Kassette als Format zu nehmen zu Zeiten der Vinyl Rennaissance?
C: Es ist eine ziemlich spontane Sache. Angefangen bei dem Name und der Auswahl ist es was wir in einem bestimmten Moment gerade gedacht haben. Es ging immer darum Menschen zusammenzubringen und darum ein bisschen neues Flavour zur Musik hinzuzufügen. Wir waren es gewöhnt unsere Tracks bei den großen Streaming- und Musikportalen zu verlegen, aber wir haben es im Moment gestoppt. iTunes und Beatport sind nicht wirklich die besten Plattformen, für das, was wir machen. Physische Tonträger sind wichtig, weil wir unsere persönliche Einstellung zur Musik einbringen können und es ist viel leichter mit den Hörern zu interagieren. Ich habe die Kontaktdaten von allen Käufern meiner Musik und das ist mir sehr wichtig. Ich kann ihnen eine Nachricht oder einen Brief schreiben mit den Kassetten oder CDs, die ich verschicke. Über die großen Unternehmen zu verlegen oder über Soundcloud, steuert bloß weiter auf eine bereits übersättigte musikalische Umgebung zu.
K: Folgst du irgendwelchen Regeln beim Produzieren, wie sich Musik anhören sollte? Oder geht es dir nur darum, was sich gut anhört? Hast du irgendeine musikalische Ausbildung?
C: Ich habe einen Schlagzeuger Hintergrund, ich habe in ein paar Bands gespielt. Außerdem hab ich für ein gutes Jahr Bassgitarre gespielt. Ich versuche so spontan wie möglich zu sein und vertraue meinem Bauchgefühl. Überhaupt keine Regeln.
K: Es gibt einige interessante Sounds in deiner Musik. Sind sie Teil einer Produzentensoftware oder nimmst du sie selbst auf?
C: Ich mache viele Außenaufnahmen, deswegen hört man einige Umweltgeräusche hier und da. In manchen Tracks sample ich aus anderen Tunes, manchmal verwende ich auch nur mein Studioequipment oder etwas, was ich von Freunden ausleihe. Es ist jedes Mal anders, die Standardsounds aus der Software sind langweilig, denke ich. Ich liebe es neue Sounds zu finden, die eine Geschichte haben, das ist auch Teil meines Konzepts.
K: Gibt es andere gute Interpreten aus Bulgarien, die du mir empfehlen kannst?
C: Du kennst meinen Kader. Mojo Goro ist meine Lieblingskatze. Er hat ähnliche Interessen wie ich. Und zusammen sind wir „Big Tiger“ als gemeinsames Projekt. Die Jungs von „1000 names“ haben mir immer geholfen, ihnen muss ich ein großes „Shout Out“ geben!
https://soundcloud.com/hempsta
Stefan ist ein kräftiger Bulgare mit stoppelkurzen Haaren. Er erzählt mir stolz, dass man im Studio EW tagelang feiern kann, weil es in einem Industriegebiert liegt, hier gibt es keine Anwohner, die die Polizei rufen. Tatsächlich habe ich das Gefühl, am Ende der Welt zu sein, als wir endlich ankommen.
Das Studio EW ist ein kleines Häuschen mit Flachdach und einer tiefen Decke. Drinnen befindet sich eine kleine Bar und ein dreckiges Klo, das sich nicht abschließen lässt. Von der Decke hängen Neonschnüre, die mit Schwarzlicht bestrahlt werden. Doch am heutigen Abend soll Open Air gefeiert werden, in dem kleinen verwilderten Gärtchen hinter dem Häuschen. Hier und dort wächst ein Bäumchen planlos aus dem Boden, es gibt Sitzgelegenheiten, hölzernes Parkett dient als Tanzfläche. Sofort verliebe ich mich in die bunten, zierlichen Gemälde, welche die raue Betonwand schmücken. Durch ein kleines Loch in der Wand kann man das Studio EW durchs Hintertürchen verlassen. Eine Plane schützt das versteckte Gärtchen, falls es wieder anfangen sollte zu regnen und eine Lichterkette taucht den Ort in ein gemütliches orangenes Licht.
Stefan macht sich auf, sein DJ Set zu beginnen, zu seinem Set Up gehört aber auch ein Launch Pad, dessen grüne Lichter in der Dunkelheit leuchten. Weil es noch sehr früh ist, beschließe ich, mich mit den Leuten, die schon im Studio EW sind zu unterhalten. An diesem Abend stellt sich das als einfach wie nie heraus. Während ich mich in Plovdiv immer sehr bemühen musste mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, geht es hier ganz von allein. Als ich den Garten betrete, erblicke ich lächelnde Gesichter, alle stellen sich mir vor und unterhalten sich mit mir. Als vermutlich einziger Ausländer scheine ich hier als Exot zu gelten und ich bin überwältigt, von der Offenheit, die mir entgegen schlägt. Nach einem Himbeersmoothie mit Vodka habe ich endgültig das Gefühl angekommen zu sein.
Ein Mann, der genau wie ich einen schwarzen Hut trägt, stellt sich als „99 Mistakes“ heraus, ein Teil des Duos „1000 names“. https://soundcloud.com/1000names
Ich habe seine Musik schon gehört und in meiner Radiosendung gespielt, deswegen bin ich sehr erfreut ihn kennenzulernen. Auch 99 Mistakes ist nicht sehr zufrieden mit der bulgarischen Musikszene. Es bestehe zu wenig Interesse an experimenteller Untergrundmusik, zu wenige Leute würden Partys wie diese im Studio EW besuchen. Von mir als Deutscher möchte er wissen, wie er das ändern kann. Nach 6 Tagen Aufenthalt habe ich noch kein Patentrezept entwickelt. 1000 names haben selbst eine Weile in Berlin gelebt und dort, aber auch in Leipzig gespielt. Alle paar Monate sind sie umgezogen und haben sich so von Wohnung zu Wohnung gehangelt.
Ich erblicke ein Poster von Sven Marquardt, Türsteher des Berghains in Berlin, gefürchtet für seine harte Türpolitik. Auf Bulgarisch steht daneben: „Nur weil du hingehst, bedeutet das nicht, das du reinkommst!“. 99 Mistakes hatte das Glück über die Gästeliste reinzukommen. „Bergschwein“ haben sie den Türsteher genannt. Als ich lache fragt er mich, ob das Wort eine Bedeutung habe.
Ich beschließe mich ein wenig mit der Musik treiben zu lassen um die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Holprige Beats und vertackte Kicks lassen meinen Körper zucken. Das tolle ist, das man nie weiß, was als nächstes kommt. Ich bin fasziniert von der Klangwolke, da so viele ungewohnte Sounds darin enthalten sind.
Ich treffe auf ein Mädchen mit langen roten Haaren und Undercut. Sie trägt einen langen weißen Kittel und auch sie ist bereits im Bann der Musik. Sie hat in Den Haag studiert und da sie gut fotografieren kann überlasse ich ihr meine Kamera für eine Weile. Ich habe ohnehin Angst, dass sich die Leute beobachtet fühlen, wenn ich Fotos mache und dass ich damit die Atmosphäre zerstöre. Als ich nachhake stellt sich jedoch heraus, dass man sich darüber freut, dass jemand Fotos macht. Von dem bunten, ausgeflippten Publikum lässt sich niemand durch eine Kamera einschüchtern.
Ich werde an diesem Abend ständig gefragt, aus welcher Stadt ich denn genau komme. Ein in schwarz gekleidetes Mädchen kennt Karlsruhe sogar. Ich versuche ein Wenig bulgarisch zu sprechen und bekomme lachende und begeisterte Gesichter als Antwort.
Langsam füllt sich das Studio EW und als der DJ wechselt und die Beats gleichmäßiger und treibender werden, kann sich niemand mehr der Musik entziehen. Man muss sich einfach bewegen! Selbst die gesprächigsten Bulgaren haben sich jetzt ausgequasselt und die Tanzfläche füllt sich. Die Stimmung wird mit jedem Track besser und die Tänze immer ausgelassener. Einen einheitlichen Stil gibt es dabei nicht, jeder tanzt was er fühlt, niemand denkt darüber nach, wie das wohl von außen aussehen mag.
Als 1000 names auflegen wird die Musik noch etwas verrückter. Jetzt überwiegen auf einmal Rap-Einflüsse und bald sehe ich Stefan singend und springend hinterm DJ Pult.
Irgendwie ist es ziemlich plötzlich spät geworden. Ich denke an den anstrengenden Tag, der vor mir liegt und als ich mich verabschiede liegen wir uns freundschaftlich in den Armen. Ich versichere, dass ich bald wieder komme. Und das meine ich auch so. Nachdem ich das Studio EW verlassen habe, klettere ich auf ein wackeliges Gerüst neben der Location, um das bunte Treiben von oben zu beobachten. Ich sehe, wie mir ein Mädchen, das ich vorhin kennengelernt habe zulächelt und mache ein Foto.
Weil die Metro schon lange nicht mehr fährt, nehme ich ein Taxi zurück zum Hostel. Weniger als 2 Euro. Es gibt wirklich keinen Grund, nicht wieder zu kommen.
So schlecht kann die bulgarische Musikszene gar nicht sein. Und ist es nicht unglaublich reizvoll, in einer Location zu feiern, dessen Adresse man nicht einmal im Internet findet, zusammen mit den offensten, verrücktesten Mensch der Stadt? Ich jedenfalls werde mich an diese Party noch eine Weile erinnern können.
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