Wirtschaft auf Griechisch 3/3
Dritter und letzter Teil eines Artikels über die krisenhafte Entwicklung in Europa.
Diese Krise ist aber gar keine rein ökonomische Krise. Für Maria und viele andere, tausende Jugendliche ist die Situation dramatisch, das Gefühl trotz einer sehr guten Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt keine Nachfrage vorzufinden, ist für mich nicht vorstellbar. Sucht man dann selber an einem Makel an seinen Bewerbungen? Ein Makel in seiner Ausbildung? Auf jeden Fall wird diese Lücke im Curriculum Vitae erhalten bleiben. Diese Zeit über zahlt man keine Beiträge in eine Rentenversicherung, folglich sinkt dann die allgemeine Beitragsdauer und die Höhe der später ausgezahlten Rente sinkt ebenfalls. Dabei wird der Teufelskreis sichtbar: Wenn die Höhe der aktuellen oder späteren Renten (oder Arbeitslosenunterstützung) sinkt oder gering ist, können die Leistungsempfänger weniger konsumieren, was wiederum zu noch geringeren Löhnen und Gehältern sowie Steuern führt. Geringere Steuern führen unweigerlich aber auch zu einer kürzen von staatlichen Transferleistungen (zum Beispiel Arbeitslosengeld oder Rente), was wiederum die Konsumausgaben mindert. Diese einfachen Zusammenhänge hat François Quesnay, ein französischer Arzt, im 18. Jahrhundert entdeckt und erstmals niedergeschrieben. Als Arzt wusste er um die Vorgänge im Körper, um die Bedeutung des Blutes für die Nährstoffversorgung. Der Legende nach hat er dieses Wissen auf die Wirtschaft angewandt und so das Modell des Wirtschaftskreislaufes mit den Sektoren „Staat“, „Unternehmen“, „Private Haushalte“ und „Ausland“ entwickelt. Die wichtigste Entdeckung war, dass Ausgaben nicht einfach verbraucht wurden, sondern an anderer Stelle logischerweise als Einnahmen verbucht werden konnten. Dieses Prinzip findet man auch in der sog. „Doppelten Buchführung“ wieder.
Die Betrachtungen der Ursachen der Krise zeigt schon, dass es hier nicht eine rein ökonomische Krise ist. Die Folgen erscheinen auf dem ersten Blick – durch die Betrachtung des Modells – ökonomisch. Doch Marias Schilderungen zeigen, wie gravierend die Auswirkungen sind – das ökonomische Dasein dominiert und beeinflusst das gesellschaftliche Sein. Die Krise ist auch deshalb nicht rein ökonomischer Natur, weil Deutschland von verschiedenen Seiten immer wieder aufgefordert ist, zu handeln und in gewisser Art und Weise die „Führung Europas“ zu übernehmen. Der polnische Außenminister hat sinngemäß gesagt, dass er deutsches Nichthandeln schlimmer einschätzt, als deutschen Handeln in Europa. Ähnlich hat sich Maria geäußert – trotz gegenteiliger Proteste in Athen. Betrachtet man allerdings die Härte der Einschnitte, so Maria, dann seien die Ausmaße der Proteste noch harmlos. Maria wünscht sich, so wie viele Griechen, mehr Unterstützung von Deutschland. Ihrer Meinung nach, sind die Höhe der Einsparungen noch nicht einmal das Problem, sondern vielmehr die Art und Weise wie die Troika (also die Vereinigung aus dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank) ihre Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung gestaltet.
Die Krise ist auch eine Gestzteskrise, weil im Rahmen der Unterstützung anderer europäischer Regierungen und der Europäischen Zentralbank geltende Gesetze zwar nicht direkt umgangen, aber dennoch kreativ ausgelegt wurden. Das belastet die europäischen Verhältnisse. So ist es der EZB zum Beispiel verboten, Staatsanleihen zu erwerben. Damit soll verhindert werden, dass die EZB Staaten finanziert und diese dann keinen Anreiz haben, vernünftig hauszuhalten. Aber die EZB finanziert einen Fonds, der wiederum Anleihen von den PIIGS-Staaten erwirbt. Als PIIGS-Staaten bezeichnet man Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien – und genau diese Staaten haben Refinanzierungsprobleme. Damit ist gemeint, dass sie die laufenden Verbindlichkeiten (also die Kredite) nicht mehr mit neuen Krediten bedienen können. Das liegt allerdings nicht an mangelnden Angeboten, sondern an der Höhe der Zinsen. Je höher das Risiko für einen „Bailout“, also einen Zahlungsausfall, ist, desto sind die Zinsen, die damit quasi das Risiko widerspiegeln. Die Bonität, also die Aussage über Zahlungsmoral und Zahlungsfähigkeit wird mit Hilfe eines Ratings angegeben. Das beste Rating ist ein „Tripel A“ oder auch „AAA“, das Risiko für einen Zahlungsausfall und damit die Zinsen sind hier gering. Die höheren Zinsen für ein höheres Risiko (beispielsweise nur „BB“) haben aber so auch eine disziplinierende Funktion auf den Staatshaushalt, denn diese höheren Zinsen schränken den Handlungsspielraum einer Regierung ein und halten so zum Sparen – also Konsumverzicht - an. Genau dieser Fall ist in Griechenland, Marias Heimat, eingetreten. Die Zinsen am Kapitalmarkt sind zu hoch, jahrelang konnte sich Griechenland problemlos mit frischem Geld versorgen, doch mit dem Einbruch des Finanzmarktes 2007 ist auch Griechenland – wie alle westlichen Staaten - in eine Schieflage geraten: Strauchelnde Banken und einbrechender Konsum, Mehrausgaben und Mindereinnahmen durch einbrechende Steuereinnahmen brachten das Kartenhaus zum Einsturz. Seit 2007 dauert nun dieser finanzielle Engpass (oder die sogennante „Staatsrefinanzierungskrise“) an. Durch den Ankauf der Staatsanleihen betreffender Staaten versucht die Troika nun, den Druck aus dem Kessel zu nehmen und den nationalen Regierungen ein bisschen Luft zum Atmen zu verschaffen.
Allerdings, wenn wir uns an Marias Schilderungen über den Zustand der griechischen Wirtschaft erinnern, sind die Ursachen für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung anderer Natur: Ein großer Beamtenapparat, Korruption, Wirtschaft wird vom Sektor Tourismus dominiert. Der Ankauf von Anleihen verschafft eine temporäre Erholung – von der dann auch Marias Familie profitieren kann. Damit es aber den PIIGS-Staaten langfristig besser geht, reichen diese Schritte nicht aus.
Insbesondere hier in Queens Homeland, meiner Heimat für ein Jahr, ist die Skepsis gegenüber der Europäischen Union deutlich zu spüren. In meinem Projekt, einer Organisation für Behinderte, habe ich bis jetzt keinen Mitarbeiter getroffen, der auf die Europäische Union positiv reagiert hat, viele Engländer sehen in der Brüsseler Kommission einen Eingriff in ihre Souveränität und Freiheit. Doch, und das zeigt die Krise ganz deutlich, wenn wir als ein in Frieden und Vielfalt geeintes Europa die Herausforderungen dieser Zeit bestehen wollen, wenn wir den aktuellen Krisenmodus überwinden wollen, geht das nur gemeinsam. Diese Krise ist auch deshalb eine Bewährungskrise, weil die Krise die Integration Europas natürlich belastet. Eine Belastung kann aus dem von Vertretern der politischen Klasse geäußerten Wunsch des Zusammenwachsens entstehen.
Was können wir nun für Europa tun? Wie können wir Maria helfen? Wir, die Lesergruppe dieses Artikels, das heißt also, junge Menschen die in Europa ihren Europäischen Freiwilligendienst ableisten, können die „Fackelträger und Bannerträger“ eines geeinten Europas sein, so, wie es Bundespräsident Gauck in seiner Europarede im Februar 2013 formuliert hat. Unser EFD bietet uns die Möglichkeit, die Vorzüge Europas zu erleben und Werbung für Europa zu machen. Außerdem sind wir die nächste Generation, die über Wahlen entscheiden mitbestimmen kann, die sich politisch, gesellschaftlich und sozial engagieren kann. Die wichtigste Erkenntnis ist sicherlich der Gewinn eines größeren Horizontes – von Konrad Adenauer stammt das sinngemäße Fazit: „Wir leben alle unter dem gleichen Himmel – aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont“. Dieses Jahr ist eine Möglichkeit, unseren Horizont entsprechen zu erweitern und für das in Vielfalt geeinte Europa einzutreten.