Willkommen in Israel
Drei Monate ist claudil inzwischen in Israel. Jetzt hat sie etwas Muße gefunden, ihre Gedanken zu ordnen und aufzuschreiben. Zum Beispiel dazu, wie ihre Anreise verlaufen ist, was sie zu Beginn ihres Aufenthaltes beeindruckt hat oder wie es ist, mit Händen und Füßen, trotz fehlender Hebräischkenntnisse, als Basketballcoach Anweisungen zu geben.
Schalom liebe Freunde, Verwandte und Nachbarn,
Mittlerweile bin ich heil in Israel angekommen und habe meine ersten drei Monate schon hinter mir. Es ist in dieser Zeit so viel passiert, dass ich gar nicht richtig weiß, wo ich eigentlich anfangen soll. Vielleicht gehe ich einfach chronologisch vor und fange bei meinem Abschied in Deutschland an: Am 02. Januar 2005 war der entscheidende Tag: ha nesia le israel (die Reise nach Israel). Diesmal hatte ich mich glücklicherweise dazu entschlossen, nicht wie das letzte Mal, als ich nach Israel geflogen bin, mit der "El Al" (also der israelischen Fluggesellschaft) zu fliegen, sondern Lufthansa vorzuziehen. So konnte ich das "Alles-aber-auch-wirklich-alles-Durchsuchen" bei der Gepäckkontrolle geschickt umgehen und etwa zwei Stunden Wartezeit einsparen. Die Anreise erfolgte so recht problemlos (mal ganz davon abgesehen, dass ich um die 18 kg Übergepäck mit mir rumschleppen musste...)
Am Flughafen in Tel Aviv holte mich mein Freund Ariel (den die meisten von Euch ja schon kennen) ab. Da ich ihn schon seit drei Monaten nicht gesehen hatte und er ja schließlich der Hauptgrund ist, warum ich mir Eretz Israel für meinen Freiwilligendienst ausgesucht habe, war die Freude natürlich riesig. Wir blieben noch zwei Tage in Tel Aviv, was übersetzt „Frühlingshügel“ bedeutet. Die Stadt ist sehr schön; viele moderne Gebäude, riesige Shoppingmalls mit gewöhnungsbedürftigen Taschenkontrollen routinierter Securitymänner bzw. -frauen am Eingang, aber auch kleinere Straßen mit arabischen Märkten, außerdem Strand und Palmen, die in mir ein richtiges Urlaubsgefühl weckten...
Dann fuhren wir nach Hadera, wo Ariel mit seiner Familie wohnt. Es ist ein kleines Städtchen, eine dreiviertel Stunde von Tel Aviv entfernt, wo sehr viele Einwanderer hauptsächlich aus Äthiopien und Russland leben. Das Bild ist hier also wie im ganzen Land, durch verschiedene Hautfarben, Sprachen und Umgangsformen geprägt. Ich habe auch schon festgestellt, dass sehr viele Einwanderer – wie ja auch mein Freund und seine Familie – aus Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern kommen. Das freut mich natürlich sehr, weil ich mich auch mit Spanisch verständigen und sogar argentinische Produkte wie "dulce de leche" oder Mate-Tee im Supermarkt kaufen kann.
Sogar im Fernsehen werden die kitschigsten argentinischen Seifenopern auf Spanisch mit hebräischen Untertiteln gesendet, die Leute hier scheinen davon richtig begeistert zu sein. Aber zum Glück empfangen wir auch ein paar deutsche Programme (RTL, Sat1 und 3sat) und sind nicht nur auf Hebräisch, Spanisch oder Englisch angewiesen. Mit Englisch wird man glücklicherweise fast überall verstanden, ansonsten wären wir mit unseren Hebräischkenntnissen ziemlich aufgeschmissen gewesen, vor allem am Anfang. Mittlerweile, nach einigen Unterrichtsstunden, können wir uns schon einigermaßen gut auf Hebräisch verständigen.
Wir waren also in Hadera und ich fühlte mich richtig wohl, weil ich ja schon einmal in den Ferien für fünf Wochen bei Ariel gewohnt hatte und mir demnach die Umgebung und seine Familie schon vertraut waren. Dort blieb ich noch einige Tage bis ich mich auf den Weg nach Kfar Vradim machte.
Ich war natürlich sehr aufgeregt, weil ich nicht die geringste Ahnung hatte, was mich erwartete. Das einzige, was ich wusste, war, dass Kfar Vradim ein so kleines Dorf ist, dass es nicht einmal auf einer Landkarte erscheint, dass es nur etwa acht Kilometer von der libanesischen Grenze im Norden von Israel in West Galiläa liegt, und dass dort schon vier andere Freiwillige – zwei 20-jährige Mädchen aus Köln und zwei aus Österreich, mit denen ich zusammen wohnen sollte – auf mich warteten.
Ich wurde zuerst mit dem Taxi zum Bahnhof in der Nähe von Hadera gebracht, um dort erst einmal meinen Zug zu verpassen, weil der Taxifahrer noch einige Besorgungen machen musste und mich etwa zehn Minuten im Taxi ungeduldig warten ließ. Aber gut, an diese Mentalität gewöhnt man sich dann irgendwann auch... Ich musste dann eine Stunde am Bahnhof warten und war mir nicht sicher, ob ich wirklich am richtigen Gleis stand, weil ja schließlich alles auf Hebräisch ausgeschildert war.
Hier machte ich dann erste Bekanntschaft mit den jungen Soldaten, die man in Scharen an Bahnhöfen und Bushaltestellen sieht. Sie sind auf dem Weg zu ihren Militäreinsatzstellen, und, je nach Entfernung, mit riesigen Rucksäcken beladen. Die Uniformen, vor allem aber die großen Waffen, die jeder ganz lässig aber doch mit einem gewissen Stolz um die Schulter trägt, sind zunächst etwas beunruhigend. Sie erinnern einen doch immer wieder an Israels kritische Situation, die im normalen israelischen Alltag zwar schon ins Unterbewusstsein gedrängt wird, aber trotzdem immer präsent ist. Aber da alle Jugendlichen nach der Schule im Alter von 18 Jahren für zwei oder drei Jahre (die Frauen "nur" zwei Jahre) zum Militär gehen müssen, sieht man sie andauernd und überall.
Schließlich stand ich zum Glück am richtigen Gleis – was auch nicht so schwer war, da die Züge in Israel sowieso nur Richtung Norden oder Süden fahren, nämlich an der Mittelmeerküste entlang; soviel konnte ich also nicht falsch machen... So fuhr ich also in einem vollen Zug auf meinem Koffer sitzend Richtung Naharia, von wo aus ich ein Taxi nach Kfar Vradim nehmen sollte.
Ich muss sagen, ich kam mir schon ein bisschen verloren vor, so ganz alleine unter Soldaten und Hebräisch sprechenden Leuten, ohne wirklich zu wissen, wo ich hinfahre. Meine Angst, die Haltestelle zu verpassen, stellte sich nachher als völlig unbegründet heraus, weil Naharia die Endhaltestelle im Norden ist. (Aber woher sollte ich das auch wissen?). Die Stationen zählend, anstatt die tolle Aussicht aufs Meer genießend, fuhr ich dann so 1 1/4 Stunde. Je näher ich meinem Ziel kam, desto aufgeregter wurde ich. In Naharia angekommen nahm ich ein Taxi. Die Landschaft war beeindruckend, grün und bergig. Wir fuhren an vielen kleinen Dörfern vorbei, wobei mir die kulturelle Vielfalt, die in ihnen schlummerte, noch nicht bewusst war:
Hier im Norden Israels wohnen Juden und Araber, die sich dann noch in Christen und Drusen spalten, direkt nebeneinander. Meine Vorstellung, dass Araber auch gleichzeitig Muslime sind, wurde ganz schnell berichtigt, als wir ein arabisches Mädchen kurz nach Weihnachten in ihrem Dorf besuchten und sie uns stolz eine riesige, aufwendig aufgebaute Krippe mit zwei prachtvoll geschmückten Weihnachtsbäumen in ihrem Wohnzimmer zeigte...
Hier stoßen zwei vollkommen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Diese Unterschiede bemerkt man sofort, wenn man aus einem jüdischen, sehr westlich orientiertem Dorf, beispielsweise Kfar Vradim, in ein arabisches Dorf wie unser Nachbardorf Tarshicha, kommt. Erst einmal fallen die riesigen Häuser auf, die alle unterschiedlich gebaut sind. Das liegt daran, dass die arabischen Familien in der Regel viele Kinder haben, die bis zu ihrer Hochzeit – sprich: bis sie eine eigene Familie gründen – zu Hause wohnen. Je nach Bedarf wird dann schon mal ein neues Zimmer angebaut. Betritt man eines dieser Häuser, zeigt sich die Gastfreundschaft der Araber schon in der Raumaufteilung: das Wohnzimmer ist auffallend groß (im Gegensatz zu den Schlafzimmern, die sich die Kinder oft noch teilen) und so mit Möbeln ausgestattet, dass jeder Gast einen Platz findet. Als Gast wird man freundlich aufgenommen und umsorgt.
In den Straßen sorgt arabische Musik, die aus den vorbeifahrenden Autos dröhnt, für orientalisches Flair. Dazu gehört auch die Angewohnheit der männlichen Fahrer, den Mädchen hinterher zu hupen, die hier sehr auf ihre Weiblichkeit bedacht sind, und diese nicht (wie die muslimischen Araberinnen) hinter Schleiern verstecken müssen. Außerdem gibt es noch die Märkte, die uns Ausländer mit ihren bunten Gemüse- und Obstständen und den exotischen Düften der Gewürzstände beeindrucken.
Nach etwa 20 Minuten Autofahrt und einem interessanten Gespräch mit dem Fahrer, der, wie so viele Leute hier, an Ausländer und Freiwillige gewöhnt war, kamen wir in Kfar Vradim (übersetzt: Rosendorf) an. Mein erster Eindruck war sehr positiv, weil alles sehr sauber, idyllisch, ruhig und übersichtlich aussah. Hier wohnen viele Familien, denen es finanziell sehr gut geht, und fast jede Familie hat einen Hund.
Da das Dorf sehr klein ist (etwa 5000 Einwohner) hatten wir keine Probleme, mein neues Zuhause in der Snir Street 57 sofort zu finden. Und zu meinem Erstaunen war unser Haus genauso groß wie die anderen. Voller Vorfreude sprang ich aus dem Taxi, bezahlte, nahm meine Sachen heraus, bedankte und verabschiedete mich beim Fahrer – noch nicht wissend, dass ich ihn sowieso nach 15 Minuten wieder sehen würde, da ich eine meiner tausend Taschen auf dem Rücksitz vergessen hatte. Aber nicht nur das; der Fahrer würde mir noch zusätzlich erneut den normalen Fahrpreis anrechnen, weil er ja angeblich schon wieder in Naharia war, als er meine Tasche bemerkte!
Ich stand also vor dem großen Haus, das von viel Grün umgeben war, und da kam mir auch schon eine meiner zukünftigen Mitbewohnerinnen entgegen, die ich bereits in Köln bei den Vorbereitungstreffen der Kölner Freiwilligenagentur kennen gelernt hatte. Sie half mir, die Sachen ins Haus zu tragen, und erklärte mir, dass die anderen drei Mädels noch im arabischen Nachbardorf Tarshicha einkaufen seien. Auch von innen ist das Haus sehr schön, wenn auch noch etwas spärlich eingerichtet. Das Wohnzimmer und die Küche sind riesig, dafür sind die Zimmer, die wir zu zweit teilen müssen ziemlich klein.
Die anderen Freiwilligen ließen nicht lange auf sich warten und schließlich lernte ich auch noch die beiden Mädchen aus Österreich kennen. Ich war sehr froh, denn alle schienen ganz nett zu sein. Da sie alle ja schon einen Monat lang in Israel waren, hatten sie natürlich einiges zu erzählen, und so konnte ich an ihren Eindrücken mittels Geschichten und Fotos teilhaben. Ich fühlte mich in der Gruppe sofort wohl und herzlich aufgenommen, und das war ja nun die beste Grundlage dafür, meinen Freiwilligendienst in Kfar Vradim zu beginnen.
Am Abend gingen wir alle gemeinsam ins Zentrum, was eigentlich nur aus einem kleinen Einkaufszentrum, also einigen Geschäften, einem kleinen Cafe, einer Post, der Stadtverwaltung und einem Swimmingpool besteht. Ich war ein bisschen enttäuscht, weil ich mir bei dem Satz "wir gehen ins Zentrum" schon etwas mehr erhofft hatte. Mittlerweile weiß ich den Swimmingpool, den wir als Freiwillige gratis nutzen dürfen, zu schätzen, denn vielmehr Auswahl zur Freizeitgestaltung gibt es hier nicht. Leider musste ich auch direkt am Anfang feststellen, dass es in Kfar Vradim keine Leute in unserem Alter gab und die Erklärung dafür war einleuchtend: Sie waren alle beim Militär!
Kurz nach meiner Ankunft in Kfar Vradim lernte ich unsere Betreuer – sprich: die Hauptorganisatoren des Programms – kennen. Sie sind ganz nett, wenn auch etwas unorganisiert, denn ich musste erstmal ziemlich lange auf meine Arbeitsstelle warten, obwohl das Programm ja eigentlich schon vorher hätte feststehen müssen. Dass dies ein Bestandteil der israelischen Mentalität zu sein scheint und ich noch des Öfteren damit konfrontiert werden würde, wusste ich in diesem Moment zum Glück noch nicht!!!
Mittlerweile arbeite ich in Kfar Vradim in der Grundschule, die nur eine Viertelstunde von unserem Haus entfernt ist, und beim Sportverein in der Basketballabteilung. Die Arbeit in der Schule gefällt mir sehr gut, da ich hier beim Englischunterricht wirklich mithelfen kann. Die beiden Englischlehrerinnen, mit denen ich arbeite, sind noch sehr jung und außerordentlich engagiert. So helfe ich unter anderem während des Unterrichts den Kindern, die Probleme haben. Meistens sitze ich dann mit kleinen Gruppen zusammen und helfe ihnen, ihre Aufgaben zu bewältigen.
Außerdem habe ich noch eine eigene Gruppe von native speakern, die also Englisch als ihre Muttersprache haben (das kommt bei den vielen Einwanderern hier sehr häufig vor). Mit ihnen arbeite ich viel am Computer und lerne auch selber noch einiges dazu. Vor allem natürlich mit einem Computer auf Hebräisch klarzukommen. Nicht nur, dass die Schriftzeichen anders sind, nein, bei diesen Computern ist auch noch alles spiegelverkehrt und geschrieben wird von rechts nach links!!!!
Die Arbeit im Sportverein ist nicht ganz so einfach, weil ich eigentlich so etwas wie der Assistenzcoach sein soll. Das Problem liegt hier hauptsächlich in der Sprache – denn wie soll man eine Basketballmannschaft anständig trainieren, wenn man sich nur mit Zeichensprache verständigen kann? Aber mittlerweile geht es schon etwas besser, weil mein Hebräisch kleine Fortschritte macht.
Außerdem arbeite ich noch in Hadera, wo mein Freund wohnt. Ich fahre jedes Wochenende zu ihm und bleibe von Donnerstagnachmittag bis Montagmorgen bei ihm. In Hadera arbeite ich zweimal die Woche für ein paar Stunden in einem Jugendzentrum für Äthiopier. Es ist eigentlich so eine Art Nachmittagsschule und Hausaufgabenbetreuung für Kinder, die von zu Hause keine Unterstützung bekommen. Die Arbeitsstelle befindet sich in einem Stadtviertel, in dem ausschließlich Äthiopier wohnen. Hier fühle ich mich dann wirklich wie eine Ausländerin, wenn ich als einzige Weiße über die Strasse gehe. Aber es ist sehr interessant, dieses Gefühl, was vielleicht Millionen Ausländer in Deutschland spüren, worüber man sich aber keine Gedanken macht, einmal selbst zu erleben.
Allgemein fällt man hier in Israel nämlich überhaupt nicht als Ausländer auf, weil ja der gesamte Staat quasi aus Einwanderern unterschiedlicher Herkunft entstanden ist. Wenn man einmal ganz stolz im Bus auf Hebräisch nach der Fahrkarte fragt und denkt, dass diese Anstrengung vielleicht durch ein kleines Lächeln des Busfahrers gewürdigt würde, so muss man sich leider mit einen genervten Blick von ihm abfinden und schnell Platz nehmen, bevor er ungeduldig Gas gibt. Aber gut, wahrscheinlich konnten meine Vorgänger auch kein hebräisch!!!
Allgemein sind die Israelis sowieso etwas direkter, was mir am Anfang eher unfreundlich und unhöflich vorkam, woran ich mich aber mittlerweile gewöhnt habe. Außerdem habe ich mich auch daran gewöhnt, dass mich alle für eine Russin halten, weil eine russische Einwanderin ihnen halt wahrscheinlicher erscheint, als eine deutsche Freiwillige.
Wer bis hierhin noch nicht aufgehört hat, meinen Bericht zu lesen, dem möchte ich ganz herzlich für sein Interesse danken und dafür, dass er sich die Zeit für den kleinen Ausflug in eine andere Welt genommen hat. Ich hoffe, ich konnte Euch einen kleinen Einblick in meine Eindrücke und Wahrnehmungen geben, ohne Euch komplett zu verwirren. Denn es ist durchaus nicht einfach, alles auf wenigen Seiten geordnet niederzuschreiben.
Ich werde ja nun noch einige Monate hier sein und mich auch bestimmt noch einmal melden. Wenn Ihr noch Fragen habt, dann beantworte ich sie natürlich sehr gerne. Ganz herzlich möchte ich mich bei allen bedanken, die den Freiwilligendienst unterstützt haben, denn es ist eine einmalige Erfahrung, die so vielen jungen Leuten wie möglich ermöglicht werden sollte.
Alles Liebe und bis bald, lehitraot vetoda raba
להיתרות ותודה רבה !!!
Eure Claudia