Wenn die Straße zum Laufsteg wird
Über den 'Dress-Code Chisinau' im ärmsten Land Europas
Wenn man sich für einen Freiwilligendienst im ärmsten Land Europas entscheidet, stellt man sich automatisch auf Mangel ein. Schlechte Kleidung, heruntergekommene Häuser und sichtbare Geldnot aller Art prägten meine Vorstellungen.
Umso geschockter war ich, als ich hier in Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, angekommen bin.
Wenn ich an einem normalen Tag durch die Stadt gehe, zeigt sich mir ein komplett anderes Bild als erwartet.
Zwar sitzen wirklich die Ärmsten der Armen mit amputierten Gliedmaßen und tief gefurchten Gesichtern bettelnd am Straßenrand. Gebeugte Frauen verkaufen an improvisierten Straßenständen aus Pappschachteln selbst hergestellte Dinge. Streunende Hunde, meist abgemagert und mit schlimmen Bisswunden, huschen unscheinbar durch das Gedränge.
Doch lenkt man seinen Blick auf die Menge, die an diesen traurigen Schicksalen vorbei eilt, erstarrt man vor Schreck. Plötzlich fühlt man sich nicht mehr wie in Moldawien, sondern wie auf einer Modenschau von Alfredo Pauli.
Wo man auch hinsieht, kann man Pelz entdecken. Fast keine Moldawierin ist auf der Straße ohne dieses Accessoire zu finden, selbst viele der Männer folgen diesem Trend.
Sei es als dezente Zierde für Mützen und Schuhe oder doch das komplette Outfit, von Pelzstiefeln, über den Mantel bis hin zur Kopfbedeckung. Über unauffälliges Schwarz, über Leoparden-Muster bis hin zu Neon-Farben reicht die Palette.
Auch scheint es fast so, als würden sie niemals ungestylt das Haus verlassen. Selbst alte Frauen achten genau auf ihre Haare, Make-Up und die perfekt manikürten Hände.
Kurze Röcke, Over-Knee-Stiefel und High-Heels gehören hier zum guten Ton.
Allgemein komme ich mir hier als Europäerin immer etwas 'underdressed' vor.
Ich habe keinerlei Pelzzierde, sei sie nun echt oder nicht, an meinen Kleidern und bevorzuge meine bequemen Sportschuhe zum Laufen langer Strecken. Auch meine Einkäufe trage ich selber die 20 Minuten Fußweg zu meiner WG.
Meist erhasche ich hier und da ungläubige Blicke, manche scheinen wirklich missbilligend zu sein. Ich falle in meinen Laufschuhen und ohne perfektes Make-Up auf, so viel ist klar.
Bis jetzt bin ich mir noch nicht klar über die Hintergründe der Frauen, die sich derartig in Schale werfen müssen. Vielleicht wollen sie damit dem hier vorherrschenden Frauenbild entsprechen oder die sichtbare und unleugbare Armut Moldawiens verbergen. Vielleicht sind das auch noch die 'Nachwirkungen' der Zeit in der UdSSR.
Ich weiß es nicht und das herauszufinden scheint unmöglich.
Das ist eben einfach der 'Dress-Code Chisinau'.