Well taken care of - in Aserbaidschan
Warum ich das Gefühl hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein
Well taken care of – In Aserbaidschan? Ich glaube das trifft am besten, wie ich auf mein Jahr in Baku zurückblicke. Ich bin sehr dankbar, dass ich dieses Jahr dort, in diesem Land zwischen dem Iran und Russland, verbringen durfte. Um ehrlich zu sein, bin ich besonders froh über die Herausforderungen, die das Jahr so mit sich gebracht hat. So oft habe ich mir eine schnelle Lösung für Probleme gewünscht. Oft kam diese nicht sofort. Mit Geduld und ein bisschen Anstrengung habe ich am Ende immer mehr bekommen, als ich mir je hätte wünschen können.
Vor dem Auslandssemester habe ich mich zunächst ein bisschen gesorgt, wie ich das Ganze finanzieren soll und wie ich das Visum, das nicht so ganz einfach zu bekommen ist, beantragen soll. Kurze Zeit später bekam ich Bescheid, dass ich ein volles Stipendium für den Aufenthalt erhalten habe und sich die Uni von dort um alle nötigen Dokumente kümmern würde. Auch über die Wohnsituation habe ich mir viele Gedanken gemacht. Ich wusste, dass dort nur wenige Leute Englisch sprechen, wie sollte ich das dann selbst schaffen, etwas zu finden? Aber auch hier half mir der Betreuer der Uni und organisierte eine sehr günstige, voll eingerichtete 3 Zimmer Wohnung im Stadtzentrum.
Nachdem ich angekommen war, erfuhr ich, dass ich dieses Semester die einzige Austauschstudentin an der Uni sein würde. Das fand ich erstmal ziemlich erstaunlich und ich habe mich gefragt, wie ich dort Kontakte knüpfen könnte. Diese Sorgelegte sich aber auch recht schnell, da meine Kommilitonen sehr neugierig und interessiert waren. Zudem ist für sie der Kontakt zu Menschen aus Europa etwas eher Seltenes. Schnell habe ich gemerkt, wie wichtig es ihnen ist eine Bindung zu mir aufzubauen. Das Faszinierendste daran fand ich aber, dass die meisten sich sehr um mich gesorgt haben, weil sie mich als Menschen gesehen haben. Oft haben sie gefragt, ob ich nicht einsam bin, weil ich hier alleine wohne und wahrscheinlich meine Familie in Deutschland vermisse. Mehrmals wurde ich auch zum Essen zu Familien eingeladen. In der aserbaidschanischen Kultur hat Gastfreundschaft und Familie einen sehr hohen Stellenwert. Alles soll geteilt werden– und auch so war ich immer sofort mehr Teil der Familien als Gast. Besonders die Mütter bzw. Omas haben mich sehr oft und herzlich in den Arm genommen, und obwohl ich sie kaum kannte, hat es sich für mich immer sehr echt und ehrlich angefühlt. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich auf Menschen bedingungslos einzulassen und wie schön es sein kann, alles offen zu teilen. Genau deswegen war ich auch besonders dankbar, dass meine gesamte Familie, Freunde und mein Freund mich dort besucht haben.
Mein größtes Hindernis jedoch war die Heizsituation im Winter. Zum einen wurde die Heizung in der Uni aus finanziellen Gründen erst Ende November angestellt. Wir saßen teilweise dick eingepackt, wie Eskimos, in den Vorlesungen. Zum anderen hat bei mir in der Wohnung die Heizung nie richtig funktioniert. Verschiedene Monteure kamen, haben ein bisschen was gemacht, aber am Ende hat wieder nichts funktioniert. Aber Not macht auch hier erfinderisch: Die Mensa der Uni hatte einen alten Backofen als Kamin benutzt und darin einfach Holzscheite verbrannt. Ich habe dann irgendwann herausgefunden, dass meine Klimaanlage auch eine Heizfunktion hat. Diese Situation hat mir gezeigt, dass es eigentlich für alles früher oder später eine Lösung gibt und das eine funktionierende Heizung ein sehr großes Geschenk ist.
Ich hatte am Anfang große Probleme, mich alleine zu verständigen, weil nur sehr wenige Leute Englisch sprechen. Ob beim Einkaufen, bei Familienbesuchen oder im Taxi – es wird in Aserbaidschan fast überall bei Preisen verhandelt. Dass ich dazu gar nicht fähig war und manchmal auch etwas ausgenutzt wurde, hat mich ein wenig frustriert. Aber schon nach einem Monat habe ich eine private Russischlehrerin gefunden, die mir nicht nur die Sprache beigebracht hat, sondern mich auch in ihre Familie integriert hat. Später konnte ich die Kultur noch besser kennenlernen, weil ich ehrenamtlich eine kleine Gruppe Kinder in Englisch unterrichtet habe. Am Ende bin ich mit ihnen sogar auf ein Sommerlager mitgefahren. Die Kinder waren sehr fröhlich, super offen und neugierig. Wir hatten viel Spaß zusammen und es war wirklich interessant, sich auf sie einzulassen und sich mit ihnen auszutauschen. Später habe ich jedoch erfahren, dass einige von ihnen in sehr armen Verhältnissen leben und ohne die finanzielle Hilfe der Organisation, die auch diesen Unterricht angeboten hat, noch nicht einmal das nötigste zum Überleben hätten. Die Freude der Kinder hat mir dennoch gezeigt, dass meine Probleme im Vergleich zu ihren sehr klein sind und ich für meinen Lebensstandard sehr dankbar sein kann.
Eine Sache, die vielleicht die ganze Welt über Baku mitbekommen hat, war das Formel-1-Rennen im Juni. Im Fernsehen sah alles sehr gut aus, aber fast ein halbes Jahr waren die Vorbereitungen dafür gelaufen. Unter anderem wurden Betonblöcke an den Straßenrändern aufgestellt, Straßen neu gemacht und Tribünen und Sichtschutzwände an der Rennstrecke aufgebaut. Für Testrennen und andere Vorbereitungsmaßnahmen wurden die letzten Wochen vor dem Event die wichtigsten Straßen gesperrt. Deswegen fielen an diesen Tagen Uni und Schule komplett aus. Für das Rennen wurde eine Woche lang fast die komplette Innenstadt gesperrt. Der Verkehr war sehr chaotisch und wer im Zentrum arbeitete, bekam während dieser Zeit frei, weil Büros unerreichbar waren. Was für Leute außerhalb Aserbaidschans jedoch kaum erkennbar war, ist dass die Leute dort in ihrem Alltag einige Einbußen machen mussten. Das hat mich sehr traurig gemacht, denn oft hatte ich das Gefühl, dass das Land alles tut, um nach außen hin perfekt zu scheinen. Die Mehrheit der Leute jedoch lebt in Armut und die Ticketpreise, um selbst das Rennen sehen zu können, waren für sie unerschwinglich. Stattdessen gab es für sie nur Chaos und Lärm.
Meine Sorgen haben sich in diesen und noch in ganz vielen anderen Situationen immer zum Positiven gewandt. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich alles habe, was ich brauche, dass ich sehr gut beschützt bin und keine Angst haben muss, egal wie schwer es im Moment für mich ist. Was mich in dieser Zeit am meisten bestärkt hat, war die Kirchengemeinde, in die ich fest integriert war. Ich bin überzeugte Christin und habe mich bewusst für diesen Aufenthalt in einem muslimischen Land entschieden. Meine einzige Bedingung bei der Wahl des Ortes für mein Auslandssemester war, dass es, wo auch immer ich hinkomme, mindestens eine katholische Kirche gibt. Und genau das trifft auf Baku zu. Also war meine Entscheidung für Aserbaidschan, nach dem Vorschlag durch unser International Office, ziemlich schnell getroffen. Auch wenn ich nichts über das Land wusste, habe ich fest daran geglaubt, dass ich dort beschützt und gewollt bin. Ich durfte dort sogar den Besuch des Papstes miterleben. Dieses Event und alle anderen Situationen und Hindernisse, die ich erlebt habe, haben mich in meinem Glauben bestärkt, dass Gott einen ziemlich tollen Plan für mein Leben hat. Aserbaidschan war sicherlich ein ziemlich verrückter Teil davon…