Wasser marsch!
Unerwartet, doch aufregend. Im doppelten Sinne.
Vor einer Viertelstunde war ich eingeschlafen. Doch plötzlich wurde mein Traum immer lauter. Ich hörte ein repetitives Geräusch und bemerkte bald, dass das nicht mehr zum Traum gehören konnte. Der Wecker würde erst in einer Stunde klingeln. Die Bauarbeiter vor dem Haus konnten es auch nicht sein; das klänge anders. Es kam von der Wohnungstüre. Jemand hämmerte dagegen und klingelte auch noch Sturm. Unabhängig davon wer es war – die Person war sich meines Ärgers sicher. Binnen Sekunden schoss mein Cortisolspiegel in die Höhe. Ich dachte, dass es wohl meine Mitbewohnerin war. Wahrscheinlich hatte sie ihren Wohnungsschlüssel vergessen. „Na die kann sich auf was gefasst machen!“, dachte ich.
Ich öffnete die Tür und vor mir stand eine Frau. Nicht 23, sondern mindestens dreimal so alt. Entweder hatte ich 46 Jahre im Dornröschenschlaf verbracht, oder das war nicht meine Mitbewohnerin. Schlaftrunken blickte ich drein, während die Frau energisch auf mich einredete: „VODA! VODA! VODA!“. Das bedeutet Wasser. „Und weiter? Was ist damit?“, sinnierte ich. Sie gestikulierte wild und hörte nicht auf, mich auf Tschechisch zuzutexten: „Voda v mém bytě. Co je s tebou?“. Ich verstand nichts davon. Mimik und Gestik verhießen jedenfalls nichts Gutes. Irgendwann verstummte das Gerede, sie drehte sich um und drückte die Taste für den Aufzug. „Danke fürs Gespräch und Tschüss!“, dachte ich mir, als ich die Wohnungstüre wieder schloss. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken.
Doch huch, was sind denn das für komische Geräusche? Ich ging der Sache nach. Die Küche war es nicht. Hmm, blieb nur das Badezimmer. Ich öffnete die Tür und sah nun, was die Frau gemeint hatte: das ganze Bad stand unter Wasser – ein Bild der Verwüstung. Der Schmutz aus den nie geputzten Ecken und dunklen Winkeln schwamm an der Oberfläche. Die trübe, dunkle Brühe beherrschte mittlerweile das ganze Bad und ist offenbar auch schon durch die Decke gedrungen. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich wollte doch nur einen kurzen Mittagsschlaf machen! Nun gut, dann also schnell in die Besenkammer. Doch weder Boris Becker noch einen Wischmopp fand ich darin. Die Einrichtung der Wohnung war spartanisch. Es bedurfte schlussendlich der gesamten Restbestände an sauberen Gästehandtüchern und Geschirrtüchern, um diesem Chaos Herr zu werden. In einer halben Stunde würde bereits ein Treffen in der Organisation anstehen. Auch das noch...
Als ich gerade im Begriff war, Handtücher zwischen Boden und Dusche hin- und herzutragen und auszuwringen, klopfte es. Nicht schon wieder! Ein älterer Herr stand in der Tür. Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten? Werden jetzt härtere Geschütze aufgefahren oder was? Glücklicherweise nicht. Der Mann war zwar gebrechlich, aber recht nett, obwohl auch er weder Englisch noch Deutsch sprach. Ich sagte ihm auf Tschechisch, dass ich nicht Tschechisch sprechen würde. Das muss recht widersprüchlich geklungen haben. Vielleicht war es der Grund, warum er nicht aufhörte zu reden. Es schien ihn nicht sonderlich zu stören, dass ich ihn nicht verstand. Er stellte fest, dass die Pračka (Waschmaschine) das Problem war. Zusammen begutachteten wir die handwerkliche Meisterleistung: ein Schlauch hatte sich gelöst. Die Waschmaschine hat trotz Wassermangel munter gewaschen, während aus dem Wasserschlauch weiter Wasser floss und sich fortan im Bad, Teilen der Küche und – wie ich erfahren durfte – in der unteren Wohnung verteilte.
In diesem Fall kam es mir zugute, dass der Boden aus billigem Linoleum und nicht aus Parkett gefertigt war. Der Boden an sich ließ sich nämlich verhältnismäßig gut trocknen und reinigen. Der Herr inspizierte die Szene noch ein wenig, vergewisserte sich, dass das Wasser abgedreht war – alles schon erledigt. Trotz des Vorfalls galt es schließlich ruhig zu bleiben und Prioritäten zu setzen.
Dann klopfte es wieder. Es war die Frau von vorhin. Diesmal mit Mobiltelefon bewaffnet. Wollte sie den Vermieter anrufen? Das käme mir zugute, denn ich spreche schließlich kein Tschechisch. Der Vermieter unserer Wohnung ist ein externer Privatier – der Mieter die Organisation und wir (meine Mitbewohnerin und ich) die Bewohner. Ich weiß nicht, ob dem Vermieter noch mehr Wohnungen in dem Gebäude gehören, oder ob unsere Organisation sicherheitshalber dessen Telefonnummer einfach mal allen Mietern im Haus gegeben hat. Sonderlich beliebt sind die Freiwilligen bei den umliegenden Mietern nämlich nicht.
Ich ging also zu dem Treffen in der Organisation, wo mir vorgehalten wurde, dass ich nicht unverzüglich angerufen hätte. „Ich wäre doch sowieso in einer Stunde hergekommen. Und apropos: *Schwäbischer Gruß*.“ Entsprechend schlecht war die Grundstimmung des Gesprächs. Ein Handwerker würde bestellt. Gut.
Ich bekam frei, um daheim zu sein, wenn er vorbeikommt. Das war recht angenehm, wenngleich es mir wohl die Missgunst der Anderen einbrachte, die währenddessen arbeiten mussten. Das Erneuern der Rohrschelle dauerte schlussendlich kaum länger als fünf Minuten. Ich unterschrieb ein Formular und der Handwerker zog wieder seiner Wege. Er sprach ein wenig Englisch und sagte sinngemäß, er hoffe, dass es nun halte. Ob das nun Optimismus oder Zynismus war, war nicht festzustellen.
Wenige Tage später gab die Waschmaschine den Geist auf. Die Achse der Waschtrommel hatte zuviel Spiel und bewegte sich unter Last weiter als sie sollte. Es sah nach einem gebrochenen Lager aus. Der Keilriemen sprang dauernd ab, war aber nicht gerissen und voll funktionsfähig. Ich nahm ihn aus der Maschine. Auf ihm stand „Made in Germany“ – war ja klar. Ein Schmunzeln konnten sich selbst die Verantwortlichen in der Organisation nicht verkneifen, als ich ihnen den Riemen mitbrachte. Es war gewissermaßen die allumfassende Metapher, die die Welt im Innersten zusammenhält. Wir versuchten mehrmals, die Maschine eigenhändig zu reparieren, doch da war nichts zu machen. Monate später würde ich aus fremder Quelle erfahren, dass den Freiwilligen vor uns Probleme mit der Maschine bekannt gewesen seien, nur nichts gesagt worden wäre. Die Wäsche sei unterdessen in den anderen Wohnungen gewaschen worden. In Deutschland hat man einen Vertuschungsskandal bei Dieselmotoren, in Tschechien bei Waschmaschinen.
Das Gute an der Sache war, dass uns eine neue Waschmaschine in Aussicht gestellt wurde. Das Schlechte? Einen Monat Wartezeit. Gegen Ende dieses Monats war die Handwäsche zum bestimmenden Programmpunkt geworden. Mein Auskommen war zugegebenermaßen noch relativ komfortabel, denn ich war ja mit acht Gepäckstücken angereist, die dementsprechend die Mitnahme vieler Kleider erlaubten. Irgendwann stand dann das Datum der Auslieferung fest. Ich ging extra früher von der Arbeit, sodass ich unter allen Umständen pünktlich um 13:00 Uhr in der Wohnung sein würde. Eine Kollegin hatte mich aufgehalten, weshalb ich auf dem Fahrrad ganz schön in die Pedale treten musste, um pünktlich heimzukommen. Ein Blick auf die Uhr: 12:58 Uhr – Glück gehabt! Fünf Stunden später kam die Maschine dann auch wirklich. Erster Eindruck: „Eine kleinere hatten sie nicht? In der Organisation steht doch schließlich auch eine 8-kg-Waschmaschine mit LCD-Bildschirm, die zudem eine Melodie spielt, wenn sie fertig ist. Aber die wird ja auch gebraucht bei den ganzen Lappen.“ Andererseits war unser Bad auch nicht das größte. Da war das Modell wohl doch angemessen. Der Hersteller war nun ein anderer, sodass auch die Waschprogramme anders gestaltet waren. Es dauerte ein wenig, bis man die Logik nachvollziehen konnte, war aber lehrreich. In den ersten Tagen lief die Maschine ohne Unterbrechung. Es galt, den Kleiderberg auf dem Sofa zu beseitigen.
Seitdem ist Ruhe eingekehrt. Niemand klopft mehr an meine Wohnungstüre, die Maschine läuft, wäscht, macht, was sie soll. Es war ein langer und beschwerlicher Weg dorthin, doch es ist vorbei. Wie von Geisterhand verschwand zwar neulich ein wenig meines Weichspülers während eines Waschganges meiner Mitbewohnerin, doch dem konnte Einhalt geboten werden, indem man fortan den Weichspüler wieder in seinem Zimmer aufbewahrte. Morgens um neun zu waschen hat jedenfalls erwiesenermaßen nicht funktioniert. Abgesehen davon passt alles. Die Mieter unter uns haben eine ordentliche Entschädigung von der Versicherung erhalten und sich die Decke neu streichen lassen. Wer weiß, ob das vor deren Ableben je nochmal geschehen wäre. So hatte die Sache für manche auch ihr Gutes. Und wenn am Ende des Tages mehr Gewinner als Verlierer zurückbleiben, haben wir alles richtig gemacht.