Was die Zeitung schreibt…
Ja, da äh bin ich noch. Kriege ich noch kurz die Zeit mich zu rechtfertigen? Vermutlich brauche ich die gar nicht, denn es gibt keinen tatsächlichen Grund für meine Verspätung. Vielmehr habe ich begriffen, dass nach dem ewigen Reflektieren und Abgleichen irgendwann einfach auch die Routine eintritt. Sprich: Ich lebe und genieße Ghana natürlich nach wie vor und mehr denn je, aber ich habe gerade keine aufwühlenden Gedanken oder fall nachts 3mal aus dem Bett, wegen neuer Erkenntnisse. Ich habe es endlich geschafft, den ewigen Abgleich abzuschalten, aus dem man zu häufig ja doch nicht klug wird und lebe meinen Alltag.
Dennoch sollte man ab und zu ja noch einen raushauen, aber die ganz groiße Pointe wird’s jetzt nicht, eher ein Einblick in die Überschriften der letzten Wochenzeitungen.
„Ghana meets Naija“
Ich habe es doch noch auf das ganz große Konzert geschafft. Manch oberkörperfreier, gesichtstättowierter Festival-Mensch mit Bierdose in der Hand mag meinen, man kann ein Land doch gar nicht ohne seine Festivals bewerten. Dem sollen seine Dosen-Ravioli beruhigt im Magen verbleiben, denn ich habe diesen Rat erfüllt. „Ghana meets Naija“ war ein großes Auflaufen der ghanaischen und nigerianischen Popstars der neuesten Generationen und da ich mit der ganzen Afropop-Hitze erst in den letzten Wochen richtig heiß gewurden bin (ja, ich habe lange gebraucht die Rhythmen zu akzep- und adaptieren), war ich dementsprechend top motiviert, geschminkt, in die Ghana-Flagge eingewickelt im Backstage. Naja fast, also ich saß casual im Publikum, wobei sich Stühle ab Beginn des Programms eher zum darauf stehen erwiesen, deshalb heißen sie ja auch Stehle. Genug der Nebensächlichkeiten: Ghanaer sind das motivierteste Publikum überhaupt und auch wenn die Halle nicht ausverkauft war, der zentrierte Bühnenbereich und der Auflauf der rund 15 Superstars hinterließen ordentlich Eindruck. Bitte schauen Sie Videos dazu, ich bin der, der im Hintergrund so nervtötend kreischt. Um 5 Uhr morgens legte ich mich in meine Kissen und ließ all die Details von meinem Hirn zu einem guten Gefühl komprimieren.
Odadaa
Was verbinden die meisten Menschen mit Stereotyp Afrika, außer Elefanten und andere Steppensäuger? Richtig! Das Trommeln! Auch hier im Center wird das 3mal die Woche trainiert und was beim ersten Mal noch begeistert, ist in der hundertsten Wiederholung einfach nur noch Qual. Wahrscheinlich aber nur, wenn man selbst nicht mittrommelt und mit leichtem Kater im Nebenraum eine zarte Audiospur editieren möchte. Wobei, eigentlich ist egal was man versucht und wo man sich versteckt, das rhythmische Wummern nimmt immer voll von einem Besitz. Geistesgegenwärtig wie die lokale Tradition ist, hat sie sich einen Monat des Noise-Ban erdacht. Für einen Monat werden die Trommeln weggeschlossen und auch die Clubs ruhen, keine Musik soll öffentlich gespielt werden, der Lärm wird reduziert. Ein Ritus der Fruchtbarkeit und Erneuerung/Erholung, denn zeitgleich wird auf den Dörfern Mais gepflanzt.
Den Erholungsaspekt kann ich in Bezug auf das Aussetzen der wöchentlichen Trommeleien deutlich nachvollziehen. Insgesamt wird dieser Noise-Ban in ganz Accra verhängt und auch von den örtlichen Chiefs sehr ernst genommen. Diese schickten zum Beispiel eine Gesandtschaft, die ein Klavier konfiszieren und somit ein Chorkonzert unterbinden sollten, es fand letztendlich aber doch statt. Wie dem auch sei, der Monat ist schon wieder herum und ich darf mich erstmal mit Ohropax ausrüsten oder einfach fliehen.
Interessant ist das Festival, welches das Ende dieses Monats einläutet, das Odadaa. Dieses Jahr stand dies unter einem ungewissen Stern, da sich in den letzten 2 Monaten aus 2 Jugend-Social-Media-Gruppen 2 tatsächlich rivalisierende Gangs gebildet hatten, welche während der Zeit des Noise-Bans gewalttätige Konflikte austrugen. Dies störte die Unbeflecktheit des Reinigungsritus und warf einen Schatten auf das bevorstehende Festival, bei dem erhöhte Polizeipräsenz anzutreffen war.
Nichtsdestotrotz lief diverser Adel der Umgebung auf (ja, es gibt noch viele Könige in Old Accra), wie üblich mit Gefolgschaft, der jeweils besondere Aufgaben zuteilkommen. Schließlich fiel die Anspannung ab, als das traditionelle Oberhaupt, der König der Umgebung (Gbese Mantse) auf Ansage die Trommeln zum ersten Mal wieder spielen ließ und dann mit Gefolgschaft über den Platz tanzte, bevor er, bestimmt 120 Kilogramm schwer, von ein paar seiner Leute auf bloßen Händen getragen wurde. Die umstehenden jedenfalls waren begeistert und auch die zahlreich angereisten Media-Teams (wir mit dem Radio als Teil davon) bekamen ihre Aufnahmen und Interviewpartner. Das wichtigste: Es blieb wider Erwarten friedlich, also naja bis jetzt, wo der stille Monat wieder vorbei ist.
Fußball und Korruption
Vor kurzem ist ein Report herausgekommen, von einem Dude, der jetzt immer anonym mit Fischerhut mit Perlenvorhang auftritt. Das klingt erstmal ganz lustig, hat aber einen ernsten Hintergrund: Anas Anas, Investigativjournalist, hat in der GFA (Ghana Football Association) Korruption bis in die tiefsten Kreise aufgedeckt. Nun ist also pünktlich zum World-Cup die Debatte in vollem Lauf. Brisant ist dabei durchaus auch, dass es um Fußball geht, denn das geht hier alle an. Wenn schon nicht Fußball vor Korruption sicher ist, was dann?
Nun wird also wieder kräftig über Korruption geredet, die in Ghana in Bezug auf Dienstleistungen und im Umgang mit der Polizei und Ämtern allgegenwärtig ist. Dazu passt, dass am 25. Mai der internationale Afrika-Tag, Gründungstag der African Union (gegründet 1963) war. Diese wiederum hat für 2018 das Motto „Korruption bekämpfen“ ausgerufen. So durfte ich an besagtem 25. Mai bei diversen Sondereditionen in unserem Radio und auch in letzter Zeit mit vielen Leuten über dieses brisante Thema debattieren, meiner Meinung nach eines der Hauptprobleme im System Ghanas.
Bisher habe ich nicht viele politische Debatten mit Locals geführt, hab mich diesbezüglich eher zurückgehalten und zugehört, bereue es jetzt aber fast. Es war sehr aufschlussreich, sich tiefer mit den lokalen Systemen auseinanderzusetzen und dabei auch die Komplikationen des deutschen Systems in der Heimat schätzen zu lernen, an den Stellen, die wir zu oft als Selbstverständlichkeit sehen. Demnächst steht nochmal ein Workshop zum Thema „Soziale & politische Systeme in Afrika“ an, der von einem unserer lokalen Mentoren gehalten wird. Ich freue mich drauf, mit der Erkenntnis, dass Ghana mich wohl weiter politisiert hat. Sprich: Ich stelle mir nach wie vor Fragen bezüglich unserer Gesellschaft und ich freue mich über die verschiedenen Antworten, die man von verschiedenen Kreisen bekommt. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, warum ich das hier alles schreibe. Natürlich wird neben dem ganzen Trubel auch der World-Cup genossen. Allerdings liegen die Sympathien vieler Ghanaer, die ich befragt habe, eher bei Brasilien und da kommt Deutschland nach dem Halbfinale 2014 nicht mehr ganz so gut weg. Patriotismus am Fußballfeld ist ja auch immer ein gutes Thema, doch dazu ein andermal…
Rural exchange
Am ersten Juni-Wochenende ging es mit der Abriss-Truppe von Act for Change in den Wald. Wer sich jetzt Forstarbeit mit Mammutbäumen vorstellt, der sollte dieses Bild schnell wieder verwerfen. Act for Change, die Partnerorganisation des Radios, die die Jugend durch interaktives Theater auf gesellschaftliche Probleme hinweist und diese so eindämmt (also die Probleme, nicht die Jugend), veranstaltet einmal im Jahr einen „Rural exchange“, bei dem sie die Hochburg Accra verlassen und sich mit einer Community im ländlichen Raum austauschen. Wir waren also in der Weltmetropole Tokokoe in der Nähe von Ho. Zuerst erinnerten mich die Verkündigung des Programms für 4 Tage und die frühen Aufstehzeiten an vergangene Klassenfahrten, es wurde allerdings doch viel ruhiger und durchaus auch sehr erholsam. Wir versorgten uns selbst und unter Team-Senior Kwashie hab ich bisher meinen besten Stew gegessen, der Stern der Ghana-Flagge gebührt den Köchen! Spaziergänge in der Natur wechselten sich mit vielen Nickerchen, einem Lagerfeuerabend mit samt der ganzen dörflichen Kinderschar, und einer Theater-Performance in der örtlichen Junior High School zum Thema Teenage-Schwangerschaft, bei der der Lehrer einer der ersten seiner Berufsklasse war, der es Act for Change erlaubte, den richtigen Gebrauch von Kondomen zu demonstrieren. Für mich war auch die Begrüßungszeremonie beim Paramount-Chief (Oberhaupt der Gegend) sehr eindrucksvoll. Die Zeremonie hatte einen fest strukturierten Ablauf und sämtliche Männer von Rang und Namen saßen mit starrem, ernstem Blick auf ihren geordneten Stühlen, was mich ein wenig einschüchterte. Schließlich traf die Queen Mother (Beraterin und Veto-Trägerin, die zweitmächtigste Person im traditionellen Regierungssystem) mit Handy am Ohr und breitem Lächeln ein, winkte freundlich und lockerte die Situation. Gemeinsam wurde Schnaps für die Ahnen auf den Boden geträufelt und anschließend auch ein ordentlicher Shot genommen. Offizielles Vorglühen um 7:30 Uhr… kann man machen! Mit weiteren Erfahrungen und gestärkter Liebe zum Wald ging es 5h im TroTro zurück nach Accra. Was bleibt ist die Frage: Bin ich ein Stadtkind, wenn ich erstmal Fotos von Gottesanbeterinnen auf dem Handy bearbeite?
Malaria
Ja, na wenn man schon in den Tropen chillt, gehört das natürlich dazu. Dementsprechend hab ich eher einen Haken auf meine To-Do-Liste gesetzt, an statt in Panik zu verfallen, als kurz nach meinem Geburtstag ein positiver Malariatest eintrudelte. Ich hatte mich bereits einige Tage ziemlich fertig gefühlt, lag um wie ein nasser Sack Reis und hatte auf selbigen auch gar kein Appetit.
Nach meinem Test wurde ich aber schnell für 2 Stündchen an den Tropf gehängt und anschließend mit Medikamenten in die Bettruhe geschickt. Ja und da schließt sich das Kapitel auch eigentlich schon wieder. Bei einer Mitfreiwilligen lief das ganze viel härter mit längerem KH-Aufenthalt und kalten Duschen unter Aufsicht wegen des hohen Fiebers ab. So war ich erheitert nach 5 Tagen uffer Matratze rekeln wieder fit durch mein Zimmer zu bouncen. Mit Jans Worten: ….aber, wir ham überlebt ja!
Für weitere Hinweise essen sie die Packungsbeilage und kidnappen sie ihren Arzt oder Apotheker.
Radio-Team wächst
Im Radio fühle ich mich manchmal wie in einer Studenten-WG, nur ohne schimmligen Kühlschrank, benutzte Unterwäsche und Putzplan. Ich merke gerade selbst, der Vergleich hinkt, denn eigentlich wollte ich auf den Auflauf verschiedenster kreativer Leute hinaus. Es ist eine Freude zu sehen, wie immer lokale Jugendliche dem Radio beitreten und es mit ihren Ideen und Show-Konzepten bereichern. Von DJs, die die verschiedensten neuesten Tracks an den Mann/die Frau bringen, bis hin zu Shows über Gesundheit und Lifestyle ist alles dabei. Das Beste ist, dass nicht nur jeder seine eigene Show macht, sondern auch meist den anderen Presentern als Gast und Unterstützer zur Verfügung steht. An der Zuhörerschaft und lokalen Präsenz unserer Sender müssen wir nach wie vor Arbeiten, aber das Team um diesen Kraftaufwand zu stämmen steht motiviert mit dem Rücken zur Wand. Es verändert auch täglich sein Gesicht, was dem ganzen Workflow manchmal die ein oder andere Hürde setzt, aber nie verendende Kreativität birgt. Zeitgleich bereite ich mich auf die Schichtübergabe vor. Ich gebe Prozesse, die bisher ich nur betreut habe an meine Kollegen weiter und tausche mein Wissen über Beatmaking und Audio-Recording mit anderen Interessierten aus. Wir sind hier alle noch lange nicht dort, wo wir mit dem Radio hinwollen, aber wir sind auch noch lange nicht am Ende. Solange spielen wir noch Musik aus der ganzen Welt am Mittwoch-Abend und dikutieren die Frage des Tages am Donnerstag. Live on air. Radio made in/für James Town, british Accra.
Der Ausklang
Parallel dazu liegt im rechten Winkel die geradlinige Erkenntnis, dass unter den Jahreskreis bald ein Strich gezogen wird (ok, genug der geometrischen Vergleiche). Ich befinde mich in dem seltsamen Zustand Ghana momentan völlig frei von Wertung zu genießen, aber nebenbei klingelt immer ein Wecker mit den Worten: „Hallo!! Deutschland… bald! Deutschland!!“ in meinem Kopf. Das ist manchmal noch nerviger als das Trommeln, vor allem wenn man anfängt seinem Sitznachbar auf Deutsch zuzureden, der darauf hin völlig routiniert auf Ga antwortet, bis wir beide verwirrt in unsern Stühlen hängen. Es ist kein leichter Zustand und das Ende zu akzeptieren und gleichzeitig vor sich hin zu schieben scheint dennoch der richtige Weg. Das ist nen bisschen so wie mit dem Tod. Aber in meinem christlichen Glauben gestärkt, weiß ich auch hier: Es gibt ein Leben nach Ghana. Da ich aber lieber eine Mission beende und denn erst die nächste starte, ist der Blick nach vorn zwar äußerst interessant, aber dennoch müßig. Ein wenig ist er auch mit Sorge verbunden: Wie werde ich wieder im kalten Deutschland Fuß fassen. In diesem Fall bezieht sich das Adjektiv kalt auch nicht auf die Temperaturwahrnehmung, sondern auf unsere Umgangsformen. Ok, no hate an der Stelle, aber da ich ja jetzt in 2 Ländern beheimatet bin, weiß ich aus beiden das Beste zu schätzen. Aber dieser Text hier dient noch gar nicht dazu ein Resümee zu ziehen oder wieder Vergleiche zu setzen.
Es ist lediglich der Newsletter eines Abos, das bald gekündigt wird. Aber egal ob der Blick gerade nach vorne fällt oder über die vergangenen 10 Monate schweift, er genießt, was er sieht.
Mit anderen Worten, gönnt euch mal wieder nen Mangosalat, ihr Kartoffeln!
Ich bin dann mal, ja ähhh…. Auskosten.
KojoThomas Nii Lante
Dennoch keine Angst, es wird doch tatsächlich noch was kommen.