Warum die Niederlande „Museumskultur“ etwas besser können als Deutschland
Ein Erfahrungsbericht
Wenn ich an Museen in Deutschland denke, assoziiere ich damit die Farbe grau. Warum genau weiß ich nicht. Über meine Erinnerung legt sich ein grauer Schleier, als würde man auf eine historische Schwarz-Weiß-Fotografie schauen. Alles wirkt irgendwie staubig. Wenn ich an Museen in den Niederlanden denke, ist alles bunt. Und bewegt sich. Das ist merkwürdig, denn ich habe auch in Deutschland schon gut gemachte, extrem interessante Museen in schönen Städten besucht und in den Niederlanden eher trockene Ausstellungen gesehen. Aber mein Gesamtbild spricht eher für die Niederlande, denn fast alle Museen haben moderne Installationen, die die Geschichten und Inhalte veranschaulichen. Oder interaktive Abschnitte, bei denen der Besucher selbst aktiv werden muss. Überall gibt es einfach zu bedienende Audioguides, falls man die Infotexte nicht lesen möchte. Ich habe meine eigene kleine Theorie aufgestellt, warum Museen in den Niederlanden, meiner Ansicht nach, eine bessere Kultur haben und sich größerer Aufmerksamkeit in der Bevölkerung erfreuen.
Die Museumjaarkaart und die museumvereniging
Sie kostet einmalig etwa 65 Euro und man kann damit ein Jahr über 400 Museen der Niederlande besuchen. Tatsächlich gibt es nur sehr wenige Museen, die keine Museumjaarkaart akzeptieren. Betrachtet man allein die Preise für die bekanntesten Museen Amsterdams – das Rijksmuseum, das Van-Gogh-Museum und das Anne-Frank-Haus – so hat man den Preis der Karte bereits bei 3 Besuchen wieder „eingeholt“. Das ist allerdings nicht der einzige Vorteil der Karte. Ohne Pandemie kann man mit einer Museumskarte jederzeit spontan in ein Museum, umsonst. Mit Pandemie kann der Zeitabschnitt einfacher, und ebenfalls umsonst, gebucht werden. Die Museen profitieren von jedem Kauf und von jedem Scannen einer Museumskarte – denn dadurch verdienen sie ebenfalls Geld. Es gibt zwar einen etwa vergleichbaren Museumspass, der für etwa 345 Museen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gilt, allerdings ist dieser nicht so verbreitet wie die museumkaart in den Niederlanden. Allein in Deutschland gibt es etwa 6800 Museen - würde sich da eine deutschlandweite Museumskarte nicht lohnen, wenn man die Meisten mit ins Boot nimmt? Der deutsche Museumsbund bietet ebenfalls eine Museumskarte an, diese gilt für etwa 1000 Mitgliedsmuseen. Allerdings muss man dafür erst Mitglied des Bundes werden. Warum kann so ein Pass nicht einfach käuflich erworben werden, ohne dass man sich direkt binden muss?
Die niederländische "museumvereniging“ (= Museumsvereinigung), etwa vergleichbar mit dem deutschen Museumsbund, sorgt durch ihre Unterstützung für die hohe Qualität des Sektors und vertritt seine Interessen. Dadurch können es auch kleine Museen durch Krisen, wie die langen Schließungen während der hohen Coronainfektionszahlen oder die Überschwemmungen in Limburg, schaffen. Gerade dieser Bereich des Kultursektors fühlte sich während der langen Wintermonate vernachlässigt. Das Buchen von Zeitabschnitten, um das Museum zu besuchen, sehr gute Lüftungssysteme, das Tragen eines Mundschutzes und regelmäßiges Desinfizieren von Türklinken und Fühlobjekten in der Ausstellung waren gute Maßnahmen, um die Ausbreitung von Covid-19 einzuschränken. Die Museen waren zu keinem Zeitpunkt „Hotspot“ der Infektionen. Dennoch mussten sie "zur Verminderung der Reisebewegungen" geschlossen werden. Manche Museen entwickelten Online-Bildungsprogramme oder übertrugen ihre Ausstellungen in einen virtuellen Raum, in dem sogar Führungen gegeben können. Denn auch wenn die Museen zwangsläufig schließen mussten – die Bildung darf dadurch nicht vernachlässigt werden.
Angebot für Kinder
Als ich klein war, sind wir nicht extrem oft in ein Museum gegangen. Vielleicht, weil wir auf dem Land wohnten und sehr wenige Museen in unmittelbarer Nähe waren. Vielleicht, weil ich für die meisten Museen einfach noch zu jung war. Wir waren häufig in Freilichtmuseen, bei denen man mit eigenen Augen sehen konnte, wie Häuser und Höfe früher aussahen und eingerichtet waren. Dort gab es oft Workshops für Kinder. Aber meine restlichen Museumsbesuche fanden eher im Rahmen der Schule statt.
In den Niederlanden ist das anders. Gut, bin ich auch aus einem Dörfchen in eine internationale, kulturorientierte Stadt gezogen. Aber trotzdem: In den Niederlanden sind Programme und spezielle Kinderausstellungen deutlich weiter verbreitet als in Deutschland. Als meine Eltern das Junior-Museum, in dem ich häufig arbeite, gesehen haben meinten sie nur: „Wow, wenn es das gegeben hätte als du klein warst!“. Haben wir die tollen Kindermuseen einfach nicht gefunden, als ich klein war? Hat Deutschland in diesem Bereich einen Rückstand? Wir werden es nie erfahren.
Das tolle an Kindermuseen: Sie sind nicht nur für Kinder. Ich empfehle den Besuch oft auch erwachsenen Besuchern, denn der Inhalt ist der gleiche wie in der Hauptausstellung. Etwas vereinfacht, dafür aber deutlich anschaulicher, bunter und interaktiver! Niemand sollte zu stolz sein und sich so eine Ausstellung dadurch entgehen lassen.
Die Kinderausstellungen folgen meist einem anderen Leitfaden als die Hauptausstellungen. Das Verzetsmuseum Amsterdam befasst sich mit der Besatzungszeit der Niederlande im Zweiten Weltkrieg. Ein schweres Thema – wie macht man das angebracht zugänglich für Kinder zwischen 8 und 14 Jahren? Durch eine Zeitreise. Mit der Zeitmaschine reist man 80 Jahre zurück und steht auf einem Hof, auf dem vier Häuser stehen. Nacheinander geht man auf Besuch bei Eva, Nelly, Jan und Henk, die erzählen, wie sie die Besatzungszeit und die Befreiung erlebt haben. Alles sind echte Geschichten. Eva ist ein jüdisches Mädchen, Nelly ist ein Mitglied der NSB (der niederländischen Nazi-Partei), Jan ist der Sohn eines Widerstandskämpfers und Henk kommt aus einer „normalen“ Familie, die den Krieg so unbeteiligt wie möglich durchleben möchte. Im Kindermuseum sind überall Klappen, Schubladen, Displays mit Filmen, Knöpfe und Gegenstände, die berührt, geöffnet, angehört und angeschaut werden können. Alles wird selbst entdeckt und ist damit eindrücklicher als das Lesen eines bloßen Texts. Im jüdisch-historischen Museen gibt es auch eine Zeitreise für Kinder, hier allerdings durch eine Virtual-Reality-Brille. Die Technik ist zwar noch ausbaufähig, die Idee aber sehr modern und die Erfahrung sehr eindrücklich. Im Schifffahrtsmuseum wird die Geschichte des Wals behandelt - vom Monster, das Seemänner im 17. Jahrhundert nicht kannten und dadurch fürchteten, bis zum Schutz gefährderter Arten heutzutage. Alles wird anschaulich erklärt, sogar ein maßstabgetreues Walherz wurde nachgebaut. Fühlt euch nicht blöd, wenn ihr zwischen achtjährigen Kindern und ihren Erziehungsberechtigen in der Hocke irgendwelche Klappen öffnet und Hebel drückt - Bildung ist für alle da und wenn die Kinder es verstehen, versteht ihr es sowieso!
Ebenfalls von der museumvereniging gibt es „museumkids“. Das ist ein Portal, auf dem sich Kinder bis 12 Jahren registrieren können und nach ihren Museumsbesuchen abstimmen können, welche Museen sie am besten fanden. Sprich: Welches Museum „kidsproof“ ist. Das motiviert sowohl Eltern als auch Kinder, um die Kinderausstellungen intensiv und ausführlich zu inspizieren und danach ein Urteil zu fällen. Dadurch wissen die Museen, was Kinder gut finden und wie sie ihre Kinderausstellungen aufbauen müssen. Kinder und ihre Interessen werden in niederländischen Museen also sehr ernst genommen
Events
Zielgruppe Kinder: abgehakt. Wie bekommt man nun Jugendliche und junge Erwachsene ins Museum, ohne sie zu zwingen? Man organisiert Events wie die „Museumsnacht“. In Amsterdam findet sie jedes Jahr im November statt. Einen ganzen Abend lang, bis zwei Uhr nachts, sind alle Museen in Amsterdam geöffnet. Alle teilnehmenden Museen sind in gut sichtbar mit bunten Lichtern ausgestattet, es gibt Getränke, spezielle Programme und Angebote und viel gute Stimmung. Meine Freiwilligen-Vorgänger*inne erzählten mir schwärmend von dem Event und sahen es als klares Highlight ihres Jahres. Leider konnte ich das während meines Freiwilligenjahres nicht miterleben, denn wegen Covid-19 fiel die Museumnacht 2020 aus. Allerdings plane ich für die kommende Museumnacht zurückzukommen und das Erlebnis nachzuholen. Das habe ich bei meinen Kolleg*innen schon angemeldet.
Meine Begeisterung für Museumsbesuche ist in den Niederlanden so richtig zum Leben erwacht. Mit meiner museumkaart war die Überwindung zum Besuch klein, da ich nicht bezahlen musste und spontan sämtliche Museen besuchen konnte. Ich habe viele moderne, beeindruckende Ausstellungen gesehen und sehr viele interessante, liebe Menschen kennengelernt. Meine Eindrücke hier werde ich bald wieder mit deutschen Museen vergleichen – vielleicht hatte ich diese größtenteils einfach falsch in Erinnerung oder habe einfach noch nicht genügend Museen in Deutschland besucht. Vielleicht ist meine Sicht auch dadurch geprägt, dass ich ein Jahr lang in einem niederländischen Museum gearbeitet habe. Mit meiner Theorie will ich keinesfalls deutsche Museen schlecht reden. Auch wenn die Ausstellungen in Deutschland inhaltlich genauso interessant sind wie die in den Niederlanden – sie könnten allgemein etwas moderner sein. Und: wir sollten dringend eine Museumskarte nach niederländischem System einführen!
Comments