Vorstoß zum Autoritarismus in Ungarn
Die ungarische Regierung um Ministerpräsident Viktor Orbán versucht mit einem neuen Gesetz, mehr Kompetenzen vom Parlament übertragen zu bekommen.
Seit dem 11. März 2020 gilt in Ungarn der Ausnahmezustand. Verlängert das Parlament den Ausnahmezustand nicht, so ist er nach 15 Tagen wieder aufgelöst. Die Fidesz-Regierung will einen Gesetzesentwurf einbringen, der der Regierung diese und andere Entscheidung aneignet.
Judit Varga, Justizministerin im Kabinett Orbáns, hat ein Gesetzesentwurf im Parlament eingebracht, der auf viel Kritik gestoßen ist. Der Gesetzesentwurf beinhaltet, dass die Regierung den Ausnahmezustand ohne Zustimmung des Parlaments verlängern, per Dekret die Anwendung bestimmter Gesetze aussetzen, außergewöhnliche Maßnahmen für die Stabilität des Landes einsetzen kann und bestimmte Vorgaben nicht eingehalten werden müssen. Weiters sollen Strafen eingeführt werden, wenn Maßnahmen gegen die Ausbreitung von SARS-CoV2 nicht eingehalten werden oder in einer Art und Weise darüber berichtet wird, die Angst erzeugt. In der Abstimmung, ob der Gesetzesentwurf außerordentlich auf die Tagesordnung des ungarischen Parlaments kommt - und damit über den Entwurf abgestimmt wird - hat sich die Opposition geschlossen die Zustimmung verweigert, damit wurde die nötige 4/5tel-Mehrheit nicht erreicht. Der Entwurf kann nächste Wochen nochmals eingebracht werden, dann wird eine 2/3-Mehrheit ausreichen, die Fidesz selbst stellen kann.
Der Entwurf wird besonders dahingehend kritisiert, dass die Macht des Parlaments ab- und die Macht der Regierung aufgebaut wird und damit das Kräftegleichgewicht der Gewaltenteilung gestört wird und zweitens wird es als Angriff auf die Pressefreiheit bewertet.
Die Kritik am Entwurf bezüglich der Kompetenzerweiterung der Regierung ist schnell begründet: Einige Parlamentarier befürchten die Demontage des Parlaments und die Zentrierung bei der exekutiven und legislativen Macht bei der Regierung, respektive Viktor Orbán, bis hin zu der Einschätzung eines Parlamentariers der rechten Jobbik-Partei, Orbán wolle Wahlen aussetzen und sich lebenslang als eine Art Monarch installieren. Diese Stimmen aus der Opposition werden von Orbán wiederum kritisiert, in dieser Notzeit nicht zusammenarbeiten zu wollen, und damit die Bevölkerung und das Gesundheitssystem im Stich zu lassen. Er argumentiert, das Parlament habe nach dem Gesetzesentwurf jederzeit die Möglichkeit, den Ausnahmezustand zu beenden.
Die Einschränkung der Meinungsfreiheit war bereits im Oktober 2018 ein Grund für die Einleitung eines Artikel-7-Rechtsstaatverfahrens gegen Ungarn. Wie z.B. Peter Klien hier auf humoristische Art und Weise zeigt, entsteht in Ungarn ein Medienmonopol, das Herrn Orbán sehr nahe steht. Kritische Journalisten werden in den angehörigen und auflagenstärksten Medien nicht geduldet, kritische Meldungen werden von Seiten der Regierung stark kritisiert und als unehrlich und falsch informiert bezeichnet, genauso auch als "Aufwiegler". Die Gesetzesvorlage sieht Strafen für angstschürende Berichterstattung vor, was wiederum kritische Journalisten als Bedrohung wahrnehmen. Regierungsnahe Seiten, wie z.B. die Informationsplattform abouthungary.hu, veröffentlichen bereits jetzt, besonders auf ihren Social-Media-Kanälen, Kritiken und Diffamierungen gegen Journalisten, die sich gegen den Gesetzesentwurf positionieren. Das kann besonders kritisch gesehen werden, da besonders abouthungary.hu als offizielle englischsprachige Informationsplattform des Ministerkabinetts gilt und damit nicht-Ungarischsprechende darauf angewiesen sind.
Der Zeitpunkt ist für Orbán gut gewählt, denn während seine Regierung respektable Maßnahmen- und Hilfspakete für die Wirtschaft schließt und damit im Ländervergleich besonnen zu reagieren scheint, ist die Bevölkerung längst nicht so ruhig. Viele Bürger*Innen übertreffen die Maßnahmen, die von der Regierung angeordnet oder empfohlen werden, selbst am Vormittag sind selbst größere Städte wie Pécs, ausgestorben, obwohl die Regierung noch vor zwei Tagen klargestellt hat, dass sie zum momentanen Zeitpunkt Ausgangssperren nicht für notwendig hält. Es wirkt so, als würde, auch aus der internationalen Berichterstattung und der Tragödie in Norditalien, die Konformität mit der Begründung des Schutzes der Gesellschaft und der Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems, enorm steigen. Zusätzlich liegt die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit wohl eher bei den Maßnahmen zu SARS-CoV2, die Bürger direkt betreffen. Diesbezüglich nutzt Viktor Orbán auch die gute Presse durch bisherige besonnene Maßnahmen, wenn der Gesetzesentwurf nächste Woche durch Fidesz-Parlamentarier durchgewunken wird - da klingt der Vorwurf des "Einparteiensystems mit demokratischen Elementen" gerechtfertigt.
Diese Vorstöße gibt es natürlich nicht nur Ungarn, auch in Isreal gibt es heftig kritisierte Bestrebungen des dortigen Premierministers, Benjamin Netanjahu. Auch sonst gibt es, schon lange, viele Unruhen: In Spanien wird gegen den Alt-König protestiert und Deutschland steht bald ein neuer Kanzler bevor, in Frankreich wird gegen Pensionsreformen protestiert. Der Spiegel fragt also zurecht, wie die Welt nach der Pandemie aussehen wird.
Quellen:
https://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-orban-will-sich-regieren-per-dekret-absegnen-lassen-a-a8f65012-74e3-4b0c-a1ab-cfe627742c55
https://www.tt.com/artikel/16790522/ungarn-keine-mehrheit-fuer-notlagengesetz-im-parlament
https://ungarnheute.hu/news/keine-mehrheit-fuer-ermaechtigungsgesetz-im-parlament-36444/
https://www.europarl.europa.eu/news/de/agenda/briefing/2020-01-13/4/rechtsstaatlichkeit-in-ungarn-und-polen-fortschritt-der-artikel-7-verfahren
https://twitter.com/zoltanspox
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/coronavirus-israel-benjamin-netanjahu-benny-gantz-regierungsbildung-opposition
https://kurier.at/stars/coronavirus-spaniens-alt-koenig-soll-schmiergeldvermoegen-spenden/400786133