Vom Versuch zu beschreiben, was ich hier eigentlich mache
Vom Projektalltag und der Hassliebe zwischen Sonnenuntergangslicht und Beton.
Gullmarsplan: eine große, betongraue Haltestelleninsel. Eines jener Werke zeitgenössischer Stadtarchitektur, die man gerne in Vororte stampft, da sie nicht für's Auge gedacht sind. Wenn Schnee liegt, sieht's hier am schönsten aus.
Gullmarsplan, das ist einer der Mägen im Verdauungssystem des Stockholmer öffentlichen Personennahverkehrs. Sekündlich fahren Busse auf und ab, fährt die U-Bahn ein und aus, verliert man Leute aus den Augen. Ich steige dort aus einem roten Bus mit schmutzigen Fensterscheiben aus, setze meine Füße auf die mit grauen Streusand übersäte Betoninsel, dass es nur so knirscht (und es laufen so viele Leute über diesen mit Streusand übersäten Platz, dass dieser zu Staub zermahlen wie Mikrokosmossmog in der Luft hängt), fahre die Rolltreppe zur U-Bahn runter, wo ich unterwegs eine jener Gratiszeitungen im Tablettformat ergattere, die man eine Haltestelle weiter in speziell dafür vorgesehene Papiercontainer entsorgen kann und nehme die grüne U-Bahnlinie Richtung Alvik bis zur nächsten Haltestelle (Skanstull), wo ich meine Gratiszeitung, die gerade so viel Information enthält, dass man nach einer Station schon nicht mehr kann, in einen extra für die Entsorgung dieser Zeitung bereitgestellten Container werfe.
Und dann Tageslicht, morgendliches Tageslicht. Blauer Himmel, Sonne, kalte Luft. Rein ins pressbyrån und raus mit Kanelbullar und Kaffee für 20 Kronen. Kanelbullar ist eines der Wörter, die man als erstes lernt. Das sind Zimtringe mit Zucker obendrauf – das schwedische Pendant zum Hamburger Franzbrot, nur besser. Wenn man Glück hat, sind sie noch warm – wenn nicht, schmecken sie trotzdem.
Mein mp3-Player verbraucht ungefähr ein Drittel Lied, bis ich finde, dass das Kanelbullar lecker war und der Kaffeebecher leer ist und zweieinhalb Lieder, bis ich über Kreuzungen mit hämmernden Fußgängerampeln laufend das AFS-Büro erreiche. Das ist meine Einsatzstelle. Eine Austauschorganisation, die Schüler importiert und exportiert, damit diese die Welt und ihre Vielschichtigkeit erfahren, verstehen und ihre Erfahrungen weitergeben können.
Ich wollte bis jetzt noch nicht über meine Arbeit berichten, weil ich finde, dass man den ersten Eindruck verlieren und stattdessen den zweiten nehmen sollte. Nicht, dass dieser schlecht war, auf gar keinen Fall. Aber der erste Eindruck ist manchmal wie Früchte kaufen bei LIDL: außen hui und innen pfui. Denn ich dachte mir: Mensch, das kann doch nicht sein, dass es so toll ist. Irgendwo muss doch was sein, was du blöd findest, was alles irgendwie in ein anderes Licht erscheinen lässt, wie Wolken, die man nicht erwartet. Aber da ist nichts dergleichen, alles ist wunderbar toll. Die Sache ist nicht größer als ich verkraften kann.
Dieser Verein ist seit 2002 Teil meines Lebens. So wie Fußball wichtig für Schalke ist oder Schrebergärten für Kleckewitz, so ist dieser Verein, der mich 2002 nach Grönland verfrachtet hat, wichtig für mich. Ich glaube, 70 Prozent der Leute, in die ich irgendwann mal verknallt war, habe ich darüber kennen gelernt.
Es war im September letzten Jahres, als ich erfuhr, dass das Vereinsbüro in Stockholm eine Stelle im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes vergibt. Mir war es wurscht, innerhalb welcher Trägerschaft das Projekt stattfindet. Ob nun EFD oder FSJ oder AiDA oder Konrad-Adenauer-Stiftung. Das, was ich machen sollte, war für mich ausschlaggebend. Und das bisschen Fernweh im Herzen, dieser sich immer wiederholende Ruf nach Woanders.
Es fing an mit Datenbankpflege (notwendig und langweilig), ging weiter mit Layoutüberarbeitung im Sinne der internationalen Vorgaben, verlief sich in der Konzeption und Konstruktion eines Newsletters für Schulen und Lehrer mit Schwerpunkt auf Interkulturellen Lernens und den aktuellen Entwicklungen im schwedischen Schulsystem, verknotet sich momentan in einer Auswertung der Teilnehmerbefragung vom letzten Jahr (det är alt på svenska) und parallel stellt man eine Präsentation über die Seminarphilosophie in Deutschland auf die Beine. Weil sich da der AFS in Schweden was abgucken kann. Es gibt so viele Ansatzpunkte, mit denen man sich beschäftigen kann, dass ich manchmal gar nicht weiß, ob es nicht besser wäre, eine andere Aufgabe zu machen.
Und alles an meinem eigenen Schreibtisch in meiner eigenen kleinen Ecke, an deren Wand der Gutschein meiner Band hängt.
Und die Kollegen sind alle so nett – alle sind meine Lieblingskollegen. Und Mittag essen wir gemeinsam in der kleinen Küche, in der man viermal am Tag Kaffee kocht und an der Wand hängt eine Muffinrankingliste und SchokoladeDeluxe führt sie an. Wohlschmeckend.
Und zwischen 17 und 18 Uhr ist Feierabend. Die Mittagswärme ist längst verflogen und zweieinhalb Lieder dauert es zu Fuß Richtung Skanstull, von dort die grüne Linie nach Süden bis Gullmarsplan, das im orangerosanem Sonnenuntergangslicht vergeblich versucht, irgendwie romantisch zu sein, was nicht funktioniert, denn Romantik und Beton ist wie Musik machen beim Staubsaugen - eine Kombination, deren tiefe innewohnende Feindschaft sich nicht leugnen lässt, automatisch, ohne dass sie was dafür können.
Und über knirschendem Streusand laufe ich zum Bushaltestellenbereich U und warte auf die Linie 869.