Vom Freitag und Samstag
Vom Schnee und der Stadt: Erste Eindrücke von minusmalminusistplus.
Freitag ging nix mehr. Frau Holle war auf Koks und hat Stockholm angegriffen. Sie schüttelte 30 cm Neuschnee über Nacht, das ist auch hier eine ordentliche Menge. Und es stürmte entsprechend spektakulär, so dass alle Straßen schneeverweht und kaum passierbar waren und alle Buslinien mal eben kapitulierten. Karita, meine Gastmama (ich wohne in ner Gastfamilie, komsich aber auch irgendwie kuhl) fuhr mich zum Bahnhof. Zufällig kam ein Zug vorbei und hielt auch an (also wirklich zufällig). Ich quetschte mich als Fremder zwischen die Legionen tausender Pendler hinein, blieb reglos stehen und staunte über die Coolness der Leute, die diese Ausnahmesituation mit Bedacht und Würde aushielten. Es kommt nicht sehr oft vor, dass man in Stockholm entscheidet, ausnahmslos alle Busse stehen zu lassen. Stockholms Södra stieg ich aus und kaufte mir Handschuhe.
Zum ersten Mal zu Fuß durch die Stadt, um ins Büro zu kommen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, wusste aber so ganz ganz grob, wo das Büro ist und der Schnee peitschte ins Gesicht – er fiel nicht einfach so vom Himmel, er umzingelte mich im horizontalen Sturzflug und Eltern schoben ihre Kinderwagen gar rückwärts, damit die Kleinen das Zeug nicht in die Nase kriegten und die Straßennamen auf den Schildern waren schneeverdeckt – ob ich mich noch auf dem Fußweg oder schon auf der Straße befand, konnte ich nicht hundertprozent beantworten. Die Fußgängerampeln funktionierten, aber niemand hielt sich daran.
Ich kam eine Stunde zu spät. Meine Kollegen waren froh, dass ich überhaupt gekommen bin.
Und dann war Samstag, der Spuk vorbei. Meine Gasteltern auf dem Weg in den Urlaub nach Italien und ich allein zu Haus und die Sonne schien vom geputzen Himmel ohne Unterbrechung. Ich hatte den Tag für mich allein und sprang in dicken Klamotten auf die Straße und setzte mich auf einen Stuhl, der bestimmt aus einer Grundschule geklaut war und im Bushaltestellenhäuschen allen Wartenden zu dienen hatte.
Ich habe eine blaue Plastikkarte. Die hält man an einen Scanner und wartet, bis auf dem Display OK steht. Wenn nicht OK drauf steht, hat man Pech und muss mit dem Busfahrer diskutieren.
Ich muss ungefähr 15 bis 50 Minuten durch übelste Natur düsen. Je nach Buslinienverbindung, die grad passt. Ich komme dann entweder in Västerhaninge oder Handen oder Gullmarsplan an. Kein Bahnhof davon ist gemütlich. Man möchte schnell weiter.
Ich habe mir vorgenommen, durch Södermalm zu spazieren – die südliche Insel Stockholms, so wie tausend Touristen an diesem Tag. Die liefen alle nach Norden, weil man nach Gamla Stan kommt – das ist der von Touristen überlaufene Teil, den alle ganz toll finden.
Ich blieb nur auf Södermalm und schaute mich einfach nur um. Lief kreuz und quer durch die Straßen und war ganz gespannt und erquickt über all das Fremde und die kleinen Läden und die kalte Luft und der knirschende Schnee und die pastellfarbenen Häuser – es ist einfach freundlich.
Ich setzte mich in ein Café und trank meinen ersten gekauften Kaffee. Meine Pfoten kalt wie toter Fisch und der Laden irgendwie zu chic. 33 Kronen das Glas Bohnenwasser mit Milch. Am Tisch nebenan saßen junge Leute, scheinbar Studenten. Der Typ sprach englisch mit deutschem Akzent und lernte wohl gerade zwei Mädels kennen. Mit seinem MacBook Pro sah er wie ein Angeber aus, aber bestimmt ist er ganz nett.
Die Leute hier geben sich Mühe, schön zu bleiben. Lippenstift auftragen ist so offensichtlich wie ein Kuli in der Tasche und an der Wand vor’m Klo hängt ein großer Spiegel, dort machen sich die Leute hübsch, bevor sie pinkeln gehen – man trägt hier sein Ego scheinbar mit auf die Schüssel.
Ich kam irgendwann an einem McDonalds vorbei und blieb stehen, weil ich überlegte, etwas zu essen und ich fand den Preis OK, der unterscheidet sich nicht so stark vom Hamburger FastFood-Milieu. Und während ich dastand und darüber nachdachte, ob ein Cheeseburger das richtige wäre, drängelten sich Leute mit Instrumenten ins Fritierfettetablisement – Kontrabass, Gitarre, Geige, Dumbek – die üblichen Verdächtigen halt. Ich heftete mich an ihre Versen und wollte so aussehen, als würde ich dazu gehören. Ich fragte, was sie für Musik machen und sie sagten sowas wie: „…ach, so Balkankrams.“ Ich sagte: „Toll, so was spielte ich auch in der Art bis vor einer Woche. Dann strandete ich hier. Jetzt such ich Leute, die ein Akkordeonspieler vertragen könnten.“ Sie sagten: sie kämen leider nicht aus Stockholm, sondern seien hier nur, um ein Musikvideo zu drehen…“aber oben, auf dem Hügel, da hinten – siehst du, wo die Treppe den Hang nach oben führt, da gibt’s einen Musikclub, vielleicht findest du dort Leute.“ Ich dachte, das klingt mir zu professionell und ‘ne Band in einem McDonalds zu finden, ist zu schön um wahr zu werden. Ich bedankte mit artig und etwas enttäuscht und fand den besagten Club nicht. Musikclubs findet man nur, wenn es dunkel ist. Tagsüber ist tarnen sie sich wie Chamäleons im Großstadtdschungel.
Es war Samstag, das Wetter schön und ich kannte niemanden. Ein ganz normaler erster Samstag eben.