"Viva las Fiestas de Carthagineses y Romanos!"
Am Freitag war der spektakuläre Auftakt zu einer zehntägigen Fiesta, mit der Cartagena sich selbst und seine Geschichte feiert.
Zu jeder Stadt, ob groß oder klein, gehören Feste. In Kleingartach ist das z.B. das Zwiebelkuchen- oder das Weinfest. Am Freitag konnte ich das ganze mehr als eine Dimension größer erleben: Da war hier in Cartagena nämlich der Auftakt zu den "Fiestas de Carthagineses y Romanos", einem zehntägigen Spektakel mit Schauspiel, Markt und sogar einem römischen Trinkwettbewerb (sin alcohol). Dieses Festival hat durchaus einen historischen Hintergrund: Im Jahre 227 v. Chr. wurde Cartagena nämlich unter dem Namen "Quart Hadast" von dem punischen General Hasdrubal gegründet. Nicht umsonst heißt die Zoohandlung um die Ecke auch "Aquarium Asdrubal". Bis 209 v. Chr. blieb die Stadt unter der Herrschaft Karthagos, ehe sie im Zweiten Punischen Krieg von Publius Cornelius Scipio erobert wurde. Unter den römischen Herrschern erlebte die Stadt als "Colonia Urbs Iulia Nova Carthago" eine Blütezeit bis Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr.
Seit meiner Ankunft strahlt mir auf jeder zweiten Werbetafel, an Busstationen und den unzähligen roten Zeitungshäuschen ein Plakat von "Amstel Beer" entgegen: "Los Romanos bzw. Carthagineses molan más", auf Deutsch soviel wie "Die Römer bzw. Karthager sind cooler". Und doch bin ich sehr erstaunt, dass an besagtem Freitag die ganze Haupteinkaufsstraße in der Altstadt (Casco Histórico) von unzähligen Menschen gesäumt ist. Plötzlich erhebt sich das rhythmische Schlagen der Trommeln und mehr oder weniger stramm marschierende Menschen biegen um die Ecke – die Parade der punischen Truppen und der römischen Legionen hat begonnen. Ebenso wie im Publikum finden sich auch unter den historisch Gewandeten Leute jeden Alters: Auch die Jugendlichen scheinen sehr angetan vom Kostümieren zu sein. Die Römer setzen dabei auf Hartplastik und Gold bzw. für Patrizier auf Purpur und Toga; die Karthager dagegen ganz archaisch auf Leder und Pelz (gerne auch bauchfrei und in Leopardenoptik), was an eine Mischung aus Fred Feuerstein und 80er-Look erinnert. Warum plötzlich aus einer Seitengasse ein Trupp dudelsackpfeifender Schotten zieht, bleibt mir allerdings verborgen. Vielleicht hat es etwas mit den Westgoten und Vandalen zu tun, die Cartagena nach dem Ende des römischen Reiches besetzt hielten.
Nach und nach strömt alles Volk der langen Prozession nach und sammelt sich auf der "Plaza del Ayuntamiento" vor dem "Palacio Consistorial". Es herrscht dichtes Gedränge und großer Lärm. Der "Palacio" zeichnet sich hell erleuchtet von dem dunklen Himmel ab und wirkt mit seinem Hauptportal samt Säulen sogar etwas antik. Stolz wehen die Flaggen Spaniens, der Region Murcias sowie Carthagenas im Wind; am Balkon des Rathauses hängen Pupurteppiche, links mit dem Zeichen der Karthager (Pferd vor Palme?), rechts mit dem der Römer (Wagenlenker) und in der Mitte, am größten, mit dem Zeichen der Stadt. Kurzum, der perfekte Ort um die "Fiestas" auszurufen.
Am Fuß des "Palacios" wird das heilige Feuer von zwei etwas älteren Damen in weißem Gewand mit großer Goldkrone entzündet (el fuego sagrado); danach marschieren zuerst die Standartenträger der Karthager, dann die der Römer auf, jeweils begleitet von einheizenden Reden der verfeindeten Lager. Dabei sind die Römer zahlen- und auch lautstärkemäßig in der Überzahl; die Punier haben dagegen den Vorteil der Jugend auf ihrer Seite. Nun haben sich die lokale Prominenz und städtische Würdenträger auf dem Balkon versammelt, um ebenfalls ihr rednerisches Geschick unter Beweis zu stellen. Der Höhepunkt der Eröffnungszeremonie ist jedoch zweifelsohne der Auftritt eines offensichtlich bekannten Komikers und Stimmenimitators, der unter anderem Regierungschef Zapatero sowie die Fußballer Iniesta und Puyol imitiert. Der Schlussredner schließt mit "Viva Cartagena!", was von den Zuschauern mit einem lauten "Viva!" beantwortet wird.
Nach dem Ende dieses ohrenbetäubenden Spektakels ziehen das versammelte Volk sowie die Kostümierten zum riesigen Festplatz (Campamento de Fiestas) neben dem Fußballstadion. Dort erwartet uns ein lauter und bunter Jahrmarkt mit allerlei Fahrgeschäften sowie einer ewig langen Partymeile, auf der sich hinter "historischen" Fassaden Restaurants, Bars und improvisierte Diskos verbergen. Hier lassen die "Cartagineros" von jung bis alt den Festtag ausklingen und stimmen sich passend auf die kommenden neun Tage ein. Ich bin gespannt, was für Überraschungen diese Tage noch für mich bereithalten. Viva las Fiestas de Carthagineses y Romanos!