Viel erlebt
Nathalie ist wieder in Deutschland. Im Tagebuch erzählt sie, was sie die letzten Monate erlebt hat. Eins ist sicher: Sie hatte eine ganz tolle Zeit und möchte die Erfahrung keinesfalls missen.
Ihr Lieben, es ist ja noch so viel passiert, von dem ihr noch nichts wisst. Und das würde man wahrscheinlich auch so ganz gut überleben, aber ich möchte das hier doch wenigstens zu Ende führen.
Ja, jetzt ist es schon Ende September und am Sonntag, also genau ein Jahr nachdem ich nach Alcobendas aufgebrochen bin, um dort meinen Europäischen Freiwilligendienst in dem Jugendzentrum anzutreten, ziehe ich zum Studieren in eine Norddeutsche Kleinstadt. Ich freue mich, aber ein bisschen nagt es auch an mir. Ich werde das Leben in meinen geliebten Großstädten - Berlin und Madrid – doch vermissen. Überhaupt vermisse ich "mein" Madrid und meine Lieblingsfreiwilligen und spanischen Freunde schon ziemlich. Oft gucke ich mir die Fotos und Videos an und habe auch recht viel Kontakt zu meinen Lieben, aber es tut einfach weh, dass diese wunderbare Erfahrung nun der Vergangenheit angehört. Das sei euch gesagt, liebe angehende EFDler: Ihr lasst euch da auf was ein! Wenn’s schön ist, tut’s danach ein bisschen weh. Aber es lohnt sich ja so was von!!!
Nun, mein letzter Eintrag ist vom März gewesen. Ich war gerade umgezogen und das Midterm-Meeting (oder spanisch Evaluación Intermedia), die Semana Santa und ein Besuch in Granada standen bevor - und mir war da schon klar, dass nun alles sehr schnell gehen würde. Und tja, was soll ich sagen...genau so war’s auch. Es war natürlich toll. Jetzt so rückblickend besonders. Allerdings: Immer wieder dieses Scheißwetter!!! Das ist Spanien, denkt man sich ja, aber das hat damit offensichtlich nichts zu tun, hmpf. Also während des Seminars in Mollina bei Málaga hatten wir wunderbares Wetter aber es war saukalt. Ich musste immer mit einer dicken Decke rumlaufen, hüstel. Ansonsten war das Seminar gut, wir waren sehr viele Leutchen - an die 80, glaube ich - und hatten natürlich ne ganze Mende Spaß. Auch wenn es in diesem abgelegnen Dorf und ein clubähnlichen Ort gab und man Stunden dahin wandern musste... Aber wir sind ja die Voluntarios for life. Die Diskussionen auf diesem Seminar dienten hauptsächlich der Auswertung unsere Projekte und Aufnahmeorgas. Kritik war ausdrücklich erwünscht und wurde von den Freiwilligen aus unserem Projekt auch reichlich geübt. Während des Seminars gab es auch eine Exkursion nach Granada: Von der Junta de Andalucía wurden wir netterweise in die Alhambra eingeladen. Wie schön. Ach, ich habe sie auch ein bisschen vermisst, seit ich ihr 2004 während meines Kurses dort mal einen Besuch abgestattet hatte. Ein wunderbares Bauwerk. Im Anschluss an das Seminar haben Robin, Catherine und ich sowie die Französin Claire und die Argentinierin Cecilia (Freiwillige in Murcia) noch ein paar Tage in Málaga rangehängt. Geschlafen haben wir alle unter sehr chaotischen Umständen bei der nicht minder chaotischen, aber doch auch netten Französin Anais. Wir durften das wohl nur, da sie ein Auge auf Robin geworfen hatte - der wiederum fand ja Cecilia viel reizvoller... aber dazu später mehr.
Semana Santa
Nach ein paar Tägelchen Normalität in Madrid (bestimmt regnete es mal wieder), war ja dann auch schon die Semana Santa. Die wollten Catherine und ich ja unbedingt in Sevilla verbringen uns so machten wir uns voller Hoffnung auf besseres Wetter und eine atemberaubende Osterwoche auf in den Süden. Unterkommen konnten wir bei dem netten Franzosen Bastien. Ein super Kerl, der uns das ganze während unseres Besuchs in Málaga vorgeschlagen hatte. Allerdings waren wir nicht die einzigen, die diese grandiose Idee hatten, hehe. Jedenfalls waren wir am Ende ganz schön viele, die sich mit Bastien sein Appartement teilen durften. Viele bekannte Gesichter unter den Mitbewohnern - unter den Freiwilligen Spaniens kennt man sich eben irgendwann. Sevilla ist wunderschön, die Sevillanos für meinen Geschmack zu traditionell und gleichzeitig irgendwie verlogen in der Ausübung ihrer Religiosität und das Wetter war katastrophal. Nein, so kann man es auch nicht sagen. Aber auch wenn des Spektakel der Semana Santa in ihrer Stadt Sevilla durchaus beeindruckend war, fand ich die ganze Woche da unten ziemlich lang und war dann ganz froh, wieder nach Madrid zu kommen. Am Rande dessen spielten sich dann auch noch kleine Dramen ab... Robin und Vale hatten sich ein bisschen zerstritten, was dazu führte, dass sie nicht wollte, dass er unsere Wohnung betritt. Sie war dann mit ihrem Freund Marco nach Lissabon gefahren und plötzlich wollten Claira und Cecilia uns in Madrid besuchen. Robin rief mich in Sevilla an und bot an, sich um sie zu kümmern und sie in unsere Wohnung zu lassen, wenn alle weg sind. Also, Ende der Geschichte: Robin war ständig in unserer Abwesenheit in unserer Wohnung, hatte mit Cecilia in MEINEM Bett Sex, während die arme Claire Stunden um Stunden im Prado zubrachte. Valentina war stinksauer auf mich, da ich das ja irgendwie genehmigt hatte und dann waren wir auch noch ausgesperrt. Uff. Also ich war froh, wieder in meinem (frisch bezogenen) Bettchen in Madrid zu schlafen und meinem Leben dort nachzukommen.
Ende April kamen dann noch mal meine Mutter und ihr Freund zu Besuch. Am Vorabend war ich auf einem Konzert meiner geliebten Fangoria gewesen. Der Besuch war nett, wenn auch ein bisschen stressig. Ich hatte so viele andere Dinge aus meinem Leben dort im Kopf, dass ich mich gar nicht so recht auf sie einlassen konnte - war wohl keine besonders gute Gastgeberin. Meine Mutter har es mir nachgesehen und am Tag ihrer Abfahrt, dem 29.April, ihrem Geburtstag, wurde dann auch die zweite Infantin Spaniens geboren. Wie schön. Achja, ein weiterer Grund zur Freude: in diesen Tagen wurde auch die Metro von Madrid bis zu meinem Arbeitsplatz eröffnet. Tja, aber irgendwie fanden wir es dann doch so belastend, so lange unterirdisch zu fahren, dass wir dann doch immer weiter mit der cercanías fuhren...
Ende April, Anfang Mai waren nicht nur Feiertage in Madrid, sondern auch in Granada: die sogennanten Cruces de Mayo. Da werden claveles (also rote Nelken) auf Kreuze (cruces) gesteckt und die Kirche / Bruderschaft mit dem schönsten gewinnt. Diese Reise mochte ich sehr, waren es doch nur ein paar kurze schöne Tage im hübschen Granada. Schlafen durften wir wieder ganz umsonst bei einer Bekannten von Bastien, einer Ungarin namens Linda. Praktisch und sehr nett. Das Wetter war übrigens nur in der zweiten Hälfte unseres Aufenthalts schlecht, grrrrrr.
Zurück in Madrid war es denn etwa so:
"Ich habe das blöde DELE-Examen gemacht. 6 Stunden Qual. Tema de la prueba oral: Medicina alternativa. Die Getränkautomaten in Atocha wurden durch Eisautomaten ersetzt, Spanier laufen ohne Jacken herum, ich esse nur noch Erdbeeren, Kirschen und Eis - es wird Sommer in Madrid.
Ich maaaaaaaaaag Madrid. Ich mag um 06 Uhr 30 aus einem Club kommen, am Tirso de Molina zwei Spanier und einen Senegalesen, die sich lautstark über die Französische Revolution unterhalten, treffen und mit ihnen noch ein Stündchen diskutieren. (Ich mag nicht, dass der super gebildete Senegalese als Plakatkleber arbeiten muss...). Es ist San Isidro! Morgen Feuerwerksmusik mit Feuerwerk bei mir um die Ecke. Mit meinen Freunden. Nur noch ein paar Wochen? Schreck lass nach."
"Ansonsten quäle ich mich seit Tagen durch Unibewerbungsbürokratie und zweifele so ein bisschen an sämtlichen Freundschaften (in Berlin und hier) und überhaupt an meinem Leben - liegt bestimmt an diesem tiempo de mierda. Mir bleiben noch 42 Tage hier in Spanien, davon circa 30 in Madrid. Morgen fahre ich kurz nach Valencia, dann kommt eine Freundin zu Besuch und ab 25. Juni bin ich mit einer Bekannten im Norden (Bilbao, Oviedo, Santander, Santiago???). Am 5.Juli gran despedida und am 6. Juli morgens lande ich in good old Berlin. Viel zu früh, finde ich, aber nützt nix.
Ich habe übrigens eine gute Freundin von mir "kontaktiert"... Sie macht ab September Erasmus in Madrid!!! HA! Ich habe sie schon vorgewarnt, dass ich de vez en cuando auf der Matte stehen könnte =). Und noch was Lustiges: Am 14. Juni findet in der Plaza de Toros de Madrid (Ventas) ein MTV Konzert mit vielen guten spanischen Künstlern statt. Und mit einer deutschen Gastband: Tokio Hotel!!! Ich geh zu einem Tokio Hotel Konzert, wer hätte das gedacht?"
Mails vom 14.5. und 25.5. an eine Freundin.
Man sieht, die Zeit vergeht dann plötzlich, wenn man so gut eingelebt ist, einfach ganz unglaublich schnell und man muss sich schon mit dem Rückkehr-Gedanken herumquälen... Gar nicht so leicht und umso besser, wenn man für die Zeit danach einen kleinen Masterplan zur Hand hat.
Nun denn, mein Reisemarathon ging jedenfalls immer weiter: Ende Mai fuhr ich dann nach Valencia um dort Sandra, meine ehemalige Mitfreiwillige und Lieblingsösi, zu treffen. Sie war dort nämlich gerade eine dort Erasmus machende Freundin besuchen. Natürlich musste Nathalie wieder Blödsinn anstellen... "Ich war doch kurz in Valencia (schön!) und naja, mir wurde mein liebes Täschchen doch glatt unter der Nase weggeklaut. Mit ALLEM (Portemonnaie, Handy, Kamera, Schlüsseln, Pass...) drin. Hmpf. Nathalie gibt also ordentlich Anzeige auf, blockiert ihre Karte, erbettelt sich ein bisschen Geld mit Erzählen ihrer melodramatischen Geschichte, hechtet zum Hostal, packt ihre sieben Sachen und ändert die Zugtickets um noch am gleichen Abend zurückzufahren (Sonntag). Hier dann Montag, Dienstag und weil es so schön ist auch Mittwoch zur Deutschen Botschaft. Ich hatte ganz vergessen, wie nett deutsche Behördengänge sind. Am Ende realisiere ich dann, dass ich wegen Unzuständigkeit der Deutschen Botschaft auch noch das Doppelte zahlen muss, spaziere aber schließlich, also mit brandneuer Dokumentation, aus der Botschaft, um eine halbe Stunde später von der Caja Madrid über den Aufenthalt meines alten Passes im deutschen Konsulat in Valencia informiert zu werden. Uargh - danke. Heute dann also Telefonat mit dem Konsulat: Sie schicken mir meine übrigen Habseligkeiten jetzt zur Botschaft." So kann’s gehen.
Ende Juni kam mich dann auch Sarahchen zum zweiten und letzten Mal besuchen. Leider war meine Stimmung in etwa so: "Ach verfickter Scheiß, alles neigt sich dem Ende zu. In meinem Kopf dreht sich schon alles und ich bewege mich ständig zwischen Euphorie (tausende Abschiedsparties) und mittelprächtiger Depression (Heimfahrt in Cercanías bei Sonnenuntergang)", musste dann ja auch schon so langsam mein Zimmer räumen, damit die tschechischen Freunde von Robin zum ersten Juli in mein Zimmer ziehen konnten und die Planung meiner Nordreise mit Sarah, der netten deutschen Freiwilligen in Málaga, die ich auch auf dem Midterm-Meeting dort kennen gelernt hatte, erledigte sich leider auch nicht von selbst. Zum Geburtstag und Abschied von Chiara fuhren Robin, Chiara, Valentina und ich dann noch mal nach Valencia: endlich gutes Wetter und Meer und Strand für uns arme Madrilenos!!! Allerdings hat sich Vale furchtbar verbrannt und ich habe einen kleinen Sonnenstich erlitten, aber das kommt davon.
Die Gira del Norte (25.06. - 04.07.)
Bilbao (25./26./27.) war klasse, zumindest der Casco Viejo und das alles überschattende Guggenheim. Mit Albrecht Dürer und Anselm Kiefer drinnen und 20 Grad, Nieselregen und grünem Wald draußen, fühlte ich mich hier geradezu heimisch. San Sebastián / Donostia (27./28./29.): Am Vormittag ging’s dann weiter nach San Sebastián. Eine wunderschöne Stadt (auch im Gegensatz zu Bilbao...), aber natürlich schon ein bisschen pijo, so als spanisches Biarritz. Aber zum Shoppen und Tapas und Pinxos essen perfekt!!! Santander (29./30./1.): Auch sooo schön. Hat mir glaube ich auf dieser Reise fast am besten gefallen. Die zweite Nacht konnten wir auch glücklicherweise bei anderen Voluntarios dort schlafen, die wir auch von der Evaluación kannten. Einen kleinen Abstecher ins mittelalterliche Dörfchen Santanilla del Mar gönnten wir uns auch und hatten dort viel Spaß.
Zum Schluss fuhren wir über Gijón (hätte man sich wohl auch sparen können, rein preislich) zu befreundeten Voluntarios in Santiago de Compostela. Auch ganz wunderbar, der Ort. Und natürlich als das Jakobsweg-Ziel was ganz Besonderes. Im Übertragenen Sinne war es ja auch für mich die letzte Station auf meiner Reise und meines ganzen Freiwilligenjahres. Die letzten Tage konnte ich so kaum noch genießen, da ich mit meinen Gedanken schon beim Rückflug, den Übergepäck, meiner Uni-Aufnahmeprüfung eine Woche später in Deutschland war. Traurig.
Am 4. flog ich dann also von Santiago wieder nach Madrid und es ging mir schon komisch. Noch merkwürdiger wurde es, als ich wieder in meine Wohnung kam: In meinem Zimmer wohnten ja nun bereits meine Nachfolger und Catherina und Valentina sind sich in ihrem Kummer (beide wussten nicht, ob sie lieber in ihrem geliebten Madrid bleiben oder wieder zu ihren festen Freunden nach Frankreich oder Italien zurückkehren sollten) sehr nah gekommen und ich fühlte mich schon fast überflüssig. Offensichtlich bin ich, als ich in den Norden fuhr, für sie schon so gut wie abgereist. Später wurde mir allerdings klar, dass ich das nicht so richtig interpretiert hatte: In Wirklichkeit waren beide einfach sehr traurig über meine Abreise. So traurig, dass mir das beinahe vorwarfen, dass ich damit unseres Freiwilligendienst, unser gemeinsames Leben dort, unsere Unmengen an gemeinsamen Erfahrung beende und dieses Kapitel abschließe. So wurde mein Abschied nicht eine wilde Party, wie ich es mir gewünscht hatte, sondern ein ruhiges, trauriges, sentimentales Beisammensein, Erzählen, Erklären. Um 4 Uhr 30 kam mein Taxi und Vale und Cat brachten mich noch mit nach Barajas. Wir weinten und lachten, ich bezahlte 45 Euro fürs Übergepäck (danke Yolanda, eigentlich hätten es 90 Euro sein müssen!!!) und dann flog ich davon.
Epilog:
Ich habe es überlebt. Das Einleben in Deutschland gestaltete sich am Ende sehr viel weniger schwierig, als ich gedacht hatte - wenngleich es seltsam war. Nach zehn Tagen hier, flog ich ja aber gleich noch mal nach Mallorca, um dort die netten Freiwilligen zu besuchen und einfach noch mal Urlaub von Deutschland zu machen. Mittlerweile haben sich auch Catherine und Valentina für eine Rückkehr in ihr Land entschieden und auch Robin ist wieder in Prag. Wir halten Kontakt, telefonieren, mailen, schreiben Karten und haben uns lieb. Ich möchte diese Erfahrung jedenfalls nicht missen und wünsche allen, die jetzt loslegen, eine ganz tolle Zeit!!!