Unter Wölfen - Nationalismus in der Türkei
Eine Organisation im Untergrund, die sich dem Hüten alter Werte und der Verteidigung der Türkischen Nation verschreibt: Die Grauen Wölfe
Manchmal sieht man einer Person in die Augen und sieht doch nicht den Grund. Aber man sieht das Feuer, dass hinter ihnen lodert.
Was nach eskalierter Pfadfinder-Romantik anmutet, ist doch eine realpolitische Macht in der Türkei: Panturkismus und Neonationalismus. Sie bewegen sich natürlich im Hintergrund, nach Rudel-Art, aber sie üben immer mehr Einfluss aus, vor allem auf die junge, schlechter ausgebildete Großstadt-Jugend und die Söhne der verblassenden Eliten.
Diese ziehen sie vor allem mit ihrer Mythologie an: Einer Legende nach soll ein großer grauer Wolf, der Bozkurt, in vor-islamischer Zeit das fast aussterbende Türkische Volk aus dem Altay-Gebirge geführt haben und somit sein Bestehen gesichert haben. Diese (fiktive) Urheimat der Türken in Zentralasien, der Turan, ist nun die Projektionsfläche ihrer Begierden – Die Vision von einem mächtigen Großtürkischen Reich, in dem alle Turk-Völker vereint sind. Und diese umfassen weit mehr als nur die Türken des heutigen Nationalgebiets: Finno-Ugrier, Mongolen, West-China, Aserbaidschan und Teile Sibiriens. Sie identifizieren sich über gemeinsame Geschichte, über die gleiche Sprachwurzel, aber vor allem über die geteilten heroischen Werte der Kämpfernatur.
Und das geht über bloßen Heimatkult hinaus – Problematisch ist vor allem, dass diese nationalistische Idee durch eine negative Integration nach Außen in den Extremismus abrutscht: Die Wölfe erschaffen sich umfassende Feindbilder, unter ihnen befinden sich Juden, Christen, Armenier, Griechen, Kommunisten, Freimaurer, die Europäische Union, Israel, der Vatikan sowie die Vereinigten Staaten. Als „imperialistische Mächte des Westens“ verstanden, sind diese an einer Schwächung der türkischen Republik interessiert.
Als direkte Bedrohung werden aber vor allem die Kurden verstanden, die sich selber als autonome Volksgruppe sehen, und so das türkische Volk spalten könnten. Dabei ist die militante Terrororganisation PKK das stilisierte Böse, was zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen im Osten des Landes führte.
Denn um ihr als absolut und unanfechtbar aufgefasstes Nationalverständnis zu verteidigen sind die Wölfe zur Gewalt bereit: „Ein Idealist ist in der Regel kein Mann des Denkens, sondern immer ein Mann der Tat […] Alle Denkweisen, Handlungen und Meinungen, die von Handlungs- und Denkweise der Idealisten abweichen, sind ungültig.“ (Necdet Sevinç, Vordenker der MHP)
So definieren sie sich selber, als „Idealisten“, Ülkücüler – Die, die es wagen, von einem Wiederaufblühen der Türkei mit ihren alten Werten und Traditionen zu träumen. Aber in dieser Illusion negieren sie den Individualismus, humanistische, demokratische Werte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, weshalb sie in Europa stark kritisiert werden und vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Ihre Vereine und Untergrundorganisationen im Ausland engagieren sich gegen Integration, so wird ihnen vorgehalten, Parallelgesellschaften zu fördern und zudem zu Gewalttaten aufrufen. Ihnen wird auch zugeschrieben, an den gewaltsamen Ausschreitungen Ende 2007 in Deutschland beteiligt gewesen zu sein: In mehreren deutschen Städten trafen türkische und kurdische Jugendliche aufeinander – Ein Stellvertreterkrieg?
Die Grauen Wölfe vertreten einen aggressiven, pantürkisch geprägten Nationalismus und lassen sich doch nicht ganz klar „links“ oder „rechts“ fassen – Ihre diffuse Ideologie seduziert durch ihre Emotionalität und gibt Halt in der militärischen Disziplin sowie im Islamismus, und so finden sie in allen politischen Lagern Anhänger.
Von großer politischer Relevanz sind die Grauen Wölfe ob ihrer geringen Mitgliedschaft nicht, aber einen etwas gemäßigteren, anti-westlichen Kurs vertritt eine breite Masse. Und so lebt die Idee weiter, die der großen Türkischen Nation.
Quellen und weiterführende Literatur
http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/jugendkultur-islam-und-demokratie/125175/graue-woelfe