Und es war Sommer (auf dem Sleza)
Johannson zieht es in die Einsamkeit eines Berges über Wroclaw. Er ist fasziniert von der Abgeschiedenheit, der Ruhe und Stille die ihn erwartet, und hat seine Eindrücke hier dokumentiert.
Vor einigen Tagen, auf einem hier nicht erwähnten Spaziergang quer durch Wroclaw, hab ich es auch endlich mal auf den Turm der Kathedrale geschafft. Dort oben im Wind habe ich dann zwei Sachen festgestellt. 1. In Sachen Flachheit steht die Umgebung der Börde in nichts nach. 2. Im Südwesten ist ein auffallend einsamer Berg. Das ist der (grammatisch besser „die“) Sleza (718 m, dt. Zobtenberg), vorchristliches Kultzentrum mit erhaltenden Steinskulpturen und laut Ohrenzeugen ein beliebtes Ausflugsziel der Städter. Da wollte ich nach zwei Wochen urbanen Lebens auch mal hin.
Bring Geld herein
Der Bus bringt einen nach Sobotka (Zobten am Berge), wo der Aufstieg beginnt. Ein kleines Städtchen (6800 Einwohner), dem der stete Zustrom von Ausflüglern unverkennbar zu bescheidendem und auch überraschendem Wohlstand verholfen hat, bedenkt man den Zustand anderer Orte vergleichbarer Größe in Polen. Überall hübsch gemachte, auch sonntags öffnende Bäckereien und Cafés zur Verpflegung der Leute mit den Wetterjacken und Rucksäcken. Gleich an der Haltestelle auch mein alter Polomarket, in dem ich Proviant und ein Taschennotizbuch erstehe.
Vorspeise
Der Ort zieht sich langsam aufwärts. Neben dem Berg erwähnt der Reiseführer noch zwei Kirchen. Die kleinere, St. Anna, ist nichts Besonderes. St. Jakob am Hauptplatz, einige Schritte weiter oben, dagegen bemerkenswert reich gestaltet. Gerade Gottesdienst, die Menschen stehen wie jeden Sonntag bis auf die Straße, und selbst durch die Mauern höre ich, kein Zweifel, Mitte August die Melodie von 'O Du Fröhliche'.
Etwas weiter aufwärts ist das örtliche Museum, das mich eigentlich nicht interessierte, aber dann mit seinem wundervollen Vorgarten voll Blumen und alten Skulpturen doch die Klingel drücken lässt. Schließlich habe ich Zeit, und etwas Wissen über die heidnischen Relikte schadet vielleicht auch nicht, bevor ich da hochwandere.
Ruhe vor dem Berg
Die polnischen Tafeln über Kulte, Geologie, Flora und Fauna verdaue ich danach bei einer Scheibe Schwarzbrot auf dem Platz der Kriegsgefallenen. Sobotka ist ein hübscher kleiner Ort, es ist sonnig und in den Höfen duften Obstbäume. Wind raschelt durch Blätter, sporadisch krähen Hähne, bellen Hunde. Familien kehren vom Gottesdienst zurück um Mittag zu machen.
Es ist so ruhig, dass man aus den Häusern das Klappern von Geschirr auf dem Weg zum Tisch hört. Der Ort steigt langsam an, und je höher man kommt, desto stiller wird es - Sonntag, Mittagsruhe. Eine weißhaarige Frau in blauer Kittelschürze sitzt auf den Stufen ihres barocken Wohnhauses. Immer öfter sieht man durch Lücken in den Häuserreihen die Ebene um Wroclaw in der ungewohnten Perspektive von oben.
Auf dem Weg
Etwas weiter hoch und der Ort ist endgültig zu Ende. Ein weiter Blick in die Ebene eröffnet sich. Ich biege nach Westen ab. Jetzt kommt der Berg selbst in Sicht, auch wenn ich inzwischen schon so weit gestiegen bin, dass der Rest eher wie ein Hügel wirkt. Ein lang gestreckter Parkplatz mit Raststätte für die Touristen, seitlich führt der asphaltierte rote Weg in die Wiese. Noch ein Haus mit Obstbäumen, dann nur noch Sonne und Vögel und Grillen und süße Brombeerbüsche und von fern das Surren von Kleinflugzeugen... Sentimental wer White Lea Farm dabei denkt. Die letzten hundert Meter sind Wiese, dann beginnt der Wald am Berghang und auch der Asphalt hört auf.
Der steinige Weg läuft durch perfekten Mischwald, ganz wie im Museum gelernt. Immer stiller, wenn das geht. Manchmal hört sogar der Wind auf. Immer kühler auch. Auf halber Strecke kommen wieder mehr Wanderer. Der Weg wird immer steiniger, ganze Findlinge liegen am Rand, dann läuft man auf glattem, glitschigem Fels. Zwanzig Minuten später Blaubeeren auf beiden Seiten.
Irgendwann eröffnet sich eine Lichtung im Wald, am Wegesrand liegen zwei Geröllhaufen. Ich klettere auf den einen. Vor mir das Panorama der Ebene mit Bergen am Horizont, hinter mir sehe ich bereits die Antenne die den Gipfel markiert. Zwischen den Felsen Krüppelbirken, orange Beeren, violette Blumen. Sonntagnachmittag und ich habe noch viel Zeit.
Gipfel der Freundlichkeit
Der Aufstieg dauert länger als ich gedacht hatte, aber nach anderthalb Stunden tauchen die Gebäude an der Spitze zwischen den Bäumen auf. Eine Gaststätte, deren Angestellte gerade die Aktion durchführen „Warum nicht mal eine Woche ganz ohne Lächeln?“. Ich lasse mich für eine Bratwurst schröpfen, andere sind schlauer und grillen selbst. Hunde laufen durchs Gras, ein kleines Mädchen rollt das polnische "R" das der Magen vibriert.
Dann ist da noch eine merkwürdig verschlossene Kapelle aus dem 19. Jahrhundert und nur durch Zufall entdeckt man den Aussichtsturm, zu dem man noch einige Meter durch den Wald muss, und der Leuten mit Höhenangst einiges abverlangt. Der Blick ist auch bei Wolken toll: Das Land ist ein flaches Schachbrett von Feldern, Wäldchen, Kiesgruben und einem großen See, bis am Horizont Berge auftauchen.
König beim Kakao
Später, beim Abstieg auf der anderen Seite des Sleza, erfahre ich auf einem zweiten, kleineren Turm, dass dies bereits die Sudeten sind. Und dass ich auch gleich in Swidnica hätte übernachten können, das liegt nämlich nur ein paar Kilometer westlich. Hinunter geht es im Dauerlauf, die Neigung erreicht 45 Grad, zum Glück bin ich hier nicht hochgekommen. Von unten beschallt irgendjemand den halben Berg mit 70er Jahre Rock.
Am Ende des Weges steht ein Gasthaus des polnischen Tourismusverbandes, und ich habe Lust auf etwas Warmes zu trinken. Denn auch bei nur mittlerer Bewölkung war es beim Wandern im Wald kühl. Die Kellnerin ist ein Bild für die Götter. Mit der Zigarette in der Hand fragt sie, ob sie was für mich tun kann. Sobald sich klärt, warum ich mich so schlecht verständlich machen kann, wird sie aber sehr nett. Ihre Schwester lebt in Bergen auf Rügen, "Ach, und Du bist in der Ecke geboren? Nein, man hört gar keinen Akzent..."
Wie Steffen Möller sagte, lerne drei Worte Polnisch, sei der König.
Home is where my Cake is
Der perfekte Ausklang eines verdächtig perfekten Tages:Die Beine ausstrecken, Kakao unter Bäumen nach einer langen Wanderung, die genau war, was ich mal brauchte. Auf dem Weg zum Bus komme ich am immer noch unüberhörbaren Konzert vorbei. Dahinter stecken scheinbar die Pfadfinder auf dem Grundstück neben dem Gasthof. Mit dem genau richtigen Gefühl von Müdigkeit in den Bus und den abendlichen Regenwolken entgegen.
Zuhause liegt mein Mitbewohner vor dem Fernseher wie immer. Verstehen tue ich sein umgangssprachliches Schnellfeuer zwar immer noch nicht. Dafür wartet sein Schokoladenkuchen auf mich.
Oooh man, I love da cake!