Überbezahlt und unterbeschäftig
Johannson zieht nach einer Woche Warschau eine erste Zwischenbilanz. Auch wenn andere Überzeugungsarbeit leisten, ist er von der Stadt (noch) nicht überzeugt. Und die Arbeit? Na ja...
Bilanz nach einer Woche Warschau
Unterkunft
Wohnheim, erster Stock. Zweibettzimmer im Kasernenstil. Eigener Kühlschrank, Grundbesteck und Teller. Gemeinschaftsküchen- und Bäder. Wartezeit für die Waschmaschine drei Tage.
Kollegen: fünf Deutsche, ab April Ukrainer und Ungarn. Untergebracht in den Nebenzimmern. Eine aus Rostock, eine andere kenne ich von Motyka.
Arbeit
Wir wurden auf verschiedene Ausschüsse verteilt, wo wir jeweils in den koordinierenden Sekretariaten sitzen. Ich bin im Gesetzgebenden Ausschuss. Wir prüfen, ob neue Gesetzesinitiativen mit polnischer Verfassung und EU Recht zu vereinbaren sind. Da braucht man vor allem Jura. Ich habe keine Ahnung von Jura; was auch klar aus meinem Lebenslauf hervorgeht. Ist aber auch egal, weil ohnehin niemand von uns was zu tun hat. Typisches Praktikum, wir werden armen Mitarbeitern vor die Füße geworfen, die nicht wissen, wie sie uns beschäftigen sollen. Bei mir eineinhalb junge Leute, sehr nett und hilfsbereit, aber selbst unterbeschäftigt.
Ich kann an Sitzungen meiner und auch anderer Ausschüsse teilnehmen, wo Abgeordnete mit ihren Handys spielen, nicht zuhören und dann abstimmen. Aber sonst habe ich keine Arbeit. Die Abgeordneten sind alle zwei Wochen für drei Tage da, dazwischen ist noch weniger zu tun. Wenn sie nächste Woche zurückkommen, werde ich mir Sitzungen verschiedener Ausschüsse ansehen, v.a. den Wirtschaftsausschuss.
Wir werden sehr lieb rumgeführt. Durchs Parlament, durch die einzelnen Abteilungen, wärmstens empfangen von den Chefs höchst selbst; durch die Stadt. Verschiedene Ausflüge sind geplant, nach Danzig, nach Auschwitz, nach Kazimierz Dolny, ins Theater, in schicke Restaurants mit wichtigen Politikern.
Warschau
Meine Meinung von Warschau hat sich noch nicht groß verbessert. Vor allem was Kneipen und Cafés angeht ist das hier Provinz. Alles teuer und ohne größeren Geschmack. Dafür habe ich bereits einen neuen Salsakurs gefunden. Am Samstag bin ich erstmal zurück nach Lodz, um mit Freunde in vernünftigen Lokalen zu besprechen, wie toll wir Lodz entwickeln würden. Später tanzen in meiner alten Salsaschule. Übernachtung bei Felix, frisch zurück von Antinazidemo in Dresden und Besuch in Bratislava. Sonntagmorgen in Windeseile zurück nach Warschau. Dort traf ich nämlich Ewa, die Schwester von ganz-am-Anfang Joanna in England. Die ist Warschau-Fan und hat mich zwecks Überzeugung etwas durch Schloss, Galerie und Kneipen geführt. Aber sie muss noch etwas arbeiten.
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