Über Belgrad, die Menschen und eine außergewöhnliche Hässlichkeit
Ein Land kann auf viele unterschiedliche Art und Weisen begeistern und einzigartige Eindrücke hinterlassen. Da gibt es atemberaubende Naturwunder oder eine großartige Landesküche hier und unzählbar viele Sonnentage im Jahr oder kulturelle, wunderschöne Meisterwerke dort. Doch das alles scheint Serbien ganz anders zu machen! Dieses Land hat mich auf eine verblüffende Art und Weise gefesselt. Statt der typischen Schönheit, hat mich hier die einzigartige „Hässlichkeit“ fasziniert, die beinahe Kunst zu sein scheint. Und schließlich waren es die Menschen des Landes, die es besonders außergewöhnlich und unvergesslich machten.
Serben wissen vielleicht nicht, wozu Mülleimer gut sind, aber dafür scheinen sie die Definition der Gastfreundlichkeit zu sein! Als wir die Grenze überquert hatten und in Subotica strandeten, waren wir auf einmal ohne Internet und Google Maps auf dem Busbahnhof komplett aufgeschmissen. Aber nur sehr kurz, denn vom ersten Moment an begegneten uns die Menschen dieses Landes mit unglaublicher Hilfsbereitschaft. So war es auch ohne Karte gar nicht so schwer, ans richtige Ziel zu kommen. Eben diese Begegnungen machten es mir so leicht, mich willkommen und wohl zu fühlen, trotz der etwas verwahrlosten Gegenden, durch welche wir zu unserer ersten Unterkunft zogen. Und diese Begegnungen schienen kein Ende zu nehmen!
In Subotica empfing uns die fröhliche Bäckerin unseres Hostels herzlich und lud uns auf selbstgebackene Kekse und Burek ein. In Novi Sad durften wir der aufwändig vorbereiteten Stadtführung einer serbischen Familie lauschen. Freundliche Kellner empfingen uns überall in traditionellen Restaurants. Fremde auf den Straßen erklärten sich stets bereit, uns den Weg zum nächsten Bus zu zeigen und beinahe jeder schien sich zu bemühen, Englisch zu sprechen. Wenn ich dieses Land bezüglich der Menschen mit Ungarn vergleiche, gewinnt es ohne Frage. Wie ist es bloß möglich, dass die gesamte Bevölkerung dieses Landes so freundlich zu sein scheint? Ich begann mich irgendwann zu fragen, ob ich das nicht unheimlich finden sollte:D. So etwas war ich einfach von nirgendwo gewöhnt!
In Belgrad schien dann diese Hilfsbereitschaft sogar noch getoppt zu werden! Nachdem wir den Zentralen Hauptbahnhof Belgrads verließen (Bei dem der Name ziemlich täuscht, da er nämlich so gar nicht im Zentrum liegt:D), erklärte sich kurze Zeit später ein Serbe mit Cidre und Zigarette in der Hand kurzerhand bereit, uns ins Zentrum zu führen. „It is just 10 Minutes from here, or 15“, erklärte er stolz. „Come Europe, come on just follow me“. Entweder hatten wir nun tatsächlich den nettesten Serben gefunden oder den verrücktesten:D. Unsere Gruppe musste so oder so ein seltsames Bild abgeben. Als sieben abenteuerlustige junge Reisende aus Spanien, Finnland, Deutschland, England und Italien, unterschiedlich alt und in jeder Hinsicht verschieden, huschten wir schon seit drei Tagen durch Serbien und rannten so vielen Sehenswürdigkeiten nach, wie wir nur kriegen konnten. Schon an der Grenzkontrolle warf man uns einen kritisch verwirrten Blick zu. Aber das Bild, was sich den Einwohnern Belgrads schließlich bot, war wohl noch viel merkwürdiger. Genau: Wir, diese verrückte, bunte Truppe, folgten nämlich nun einem offensichtlich noch viel verrückteren Serben durch alle Außengebiete der serbischen Hauptstadt. Und das nicht nur 10 Minuten, oder 15. Ganze eineinhalb Stunden trieb uns unser „Guide“ mit einem lauten, motivierten „Come on, come on follow me“ voran und erzählte seltsame Geschichten. Ob er den Weg tatsächlich kannte, stellten wir bis zum Ende ziemlich in Frage:D Trotzdem erreichten wir nach diesem abenteuerlichen Marsch das Zentrum.
Je näher wir diesem gekommen waren, desto klarer wurde mir: diese Stadt ist verrückt! Ob mit oder ohne durchgedrehten Serben, diese Stadt ist außergewöhnlich und voller Chaos! Diese Stadt ist eine wahre Hauptstadt. Diese Stadt ist anders! Ganz anders als jede Stadt, die ich vorher besucht hatte. Schmutziger, verrückter, lebensfroher, riskanter. Jedes Mal, wenn wir die Straße überquerten, schienen wir in Lebensgefahr zu schweben. Verdrehte Leute, riesige Gebäude und chaotischer Verkehr. Eindrücke hatte Belgrad eine Menge zu bieten. Eindrücke, die total neu für mich waren. Ich kannte hässliche Städte, ich kannte schmutzige Städte und ich kannte chaotische Städte, aber ich kannte keine einzige Stadt, die all dies auf eine Weise vereinte, wie es Belgrad tat. Diese Stadt war schön auf eine ganz eigene Art. Die oberflächliche Hässlichkeit schien sich nach einiger Zeit zu einer ganz eigenen Kunst der Gestaltung auszudehnen. Diese Kunst machte die Hauptstadt so besonders, so erlebnisreich und so schön wie sie ist. Klingt konfus? Ist es auch. Genau so ist die gesamte Stadt.
Schon lange, bevor wie das letzte Ziel unserer Reise erreicht hatten, wurde die Armut und die Verwahrlosung vieler Gebiete immer deutlicher. Verfallende Farmen duckten sich zwischen einsamen Feldern. Häuser, von denen der Putz blätterte und vor welchen lange Wäscheleinen im Wind schwangen, kennzeichneten das Bild der kleinen Orte. Dazwischen verstreut erhoben sich traurige, niemals fertiggestellte Bauruinen. Viele der Gebäude hier hatten deutlich schon einige Jahre auf dem Buckel, ohne dass das Geld vorhanden gewesen war, sich um diese zu kümmern. Es waren nicht mehr Rehe, die ich aus dem Zugfester beobachtete, sondern einsame Straßenhunde, die über die Äcker streunten. Der Schienenrand glich, durch weggeworfene Dosen, Flaschen, Müllbeutel und sogar ganzen Möbelteilen, einer Müllhalde.
Dieses ärmliche Landleben wurde schließlich abgelöst von grauen, fensterreichen Riesen, die in den ebenso grauen Himmel Novi Belgrads ragten. Die Bauruinen und die veralteten Häuser verschwanden nicht, sie wurden einfach noch viel größer. Grau in Grau malte sich das Bild einer Stadt, der an allen Ecken das Geld fehlt, vor den Fenstern unseres Zuges. Bunte Graffiti blitzten aus jeglichen Ecken und Wänden durch das eintönige Stadtbild. So wie bunte Verpackungsreste, die dabei jedoch um einiges weniger kunstvoll waren. In dem Maße, wie diese ersten Bilder trüb und abschreckend waren, so waren sie aber auch anziehend. In dem Maße, wie sie die Armut symbolisierten, zeigten sie auch den Willen und den Kampf darum, sich hier sein Leben trotzdem so bunt wie möglich zu gestalten. Diese Stadt weckt auf. Sie lässt nachdenken und mit offenen Augen durch die Straßen gehen. Kleine Kunstwerke, versteckt zwischen Geschmiertem wollen entdeckt werden. Hinter verfallenen Gebäuden stecken nach dem zweiten Blick spannende Geschichten. Oasen der Ruhe und des Friedens verbergen sich in kleinen Kaffeehäusern und Restaurants. Diese Stadt versprüht ihren ganz eigenen Charme. Sie ist gekennzeichnet von Bombardierungen und Krieg. Zerstörung und Armut stecken in allen Winkeln, aber man sieht die Menschen kämpfen. Sie schaffen sich ihre eigene Schönheit. Und sie haben nicht ihre Freundlichkeit verloren, trotz all der Schrecken der Vergangenheit. Zwischen all dem Chaos des Stadtlebens nehmen sie sich Zeit, Wege zu zeigen. Sie erzählen begeistert von ihren Traditionen und schlagen sich ganz freiwillig auf Englisch mit nervigen Touristen herum. Trotz all dem Leid, das diesem Land und dieser Stadt angetan wurde und der Furcht, die in manch einem zerbombten Gebäude noch beinahe greifbar zu sein scheint, haben die Serben ihre Gastfreundschaft nicht aufgegeben. Sie wollen die Gäste, sie empfangen sie herzlich und sie wollen einem den Aufenthalt in ihrem guten alten Serbien so schön wie möglich machen. Wie sehr mich die heruntergekommenen Lebensverhältnisse auch schockieren, so bewundere ich die Menschen, die diesen eine ganz besondere Atmosphäre verleihen.
Der erschreckende Kontrast zwischen reichverzierten Kirchen und grau verrotteten Rohbauten war für mich noch nirgends so deutlich. Das Ganze hat mich ziemlich überrumpelt und mitgenommen. Jeden einzelnen Straßenhund hätte ich am liebsten adoptiert, die schmutzigen Straßen aufgeräumt und Geld organisiert, um Wohnraum zu schaffen. Dabei bin ich hier nur für ein paar Tage. Die Menschen hier aber leben mit all dem, sie leben in dieser grauen Welt voller Hässlichkeit und schmutziger Fassaden und wirken trotzdem wie die freundlichsten Menschen der Welt. Der Frust über das fehlende Geld und die wirtschaftliche Situation ist ihnen nicht anzusehen! Sie mögen ihre Stadt mit all ihren Fehlern. Und ich mag sie auch. Ich liebe sie! Sie ist verrückt, sie ist spannend und sie ist aufregend! Sie verzaubert mich nicht mit ihrer Schönheit, aber mit ihrer Hässlichkeit. Sie reißt mich in ihren Bann mit ihrem Lebensgefühl und ihren Traditionen. Ich denke, von dieser Stadt und seinen Bewohnern kann ich noch so einiges lernen.
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