Už je to príč
Lest, was ich in meinen letzten Monaten in Tschechien erlebt habe!
Už je to príč“, oder für die unter euch, die der Tschechischen Sprache nicht mächtig sind: „Das ist schon vorbei“.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich diesen Satz wohl in diesem Jahr schon gehört habe. Er fiel so oft, meistens wenn mir Klienten etwas aus ihrem Leben erzählten, das schon lange vorbei ist, Geschichten aus Kinder- und Jugendtagen. Es konnten lustige oder traurige Geschichten sein, und wenn sie diesen Satz an das Ende einer Geschichte stellten, wollten sie, so denke ich, folgender Tatsache Ausdruck verleihen: Diese Zeit ist vorbei und wird so nie wieder kommen!
Selten konnte ich eine „Weisheit“ meiner Klienten so auf mein eigenes Leben beziehen. Ich sitze nun in meinem schönen Studentenzimmer in Frankfurt an der Oder und wenn ich an das vergangene Jahr denke, fällt mir zuerst eines ein: „Už je to príč“.
Es wird so nie wieder vorkommen, dass ich all das tue, was ich im letzten Jahr gemacht habe.
Dass ich in Olomouc meine Klienten besuche, mich mit ihnen unterhalte, ihnen zuhöre, ihnen helfe, mit ihnen lache, mich über sie ärgere und für sie freue.
Dass ich meine Tandem-Partner treffe, mich mit ihnen fast totlache, literweise Wein trinke, über die deutsche und tschechische Sprache diskutiere und mir bei tschechischen Zungenbrechern fast die Zunge breche.
Dass ich in Zügen der „České Dráhy“ sitze, quer durchs Land reise und die Freiheit dabei genieße…
Aber bevor der Abschied thematisiert wird, möchte ich Euch noch daran teilhaben lassen, was ich im Sommer in Olomouc erlebt habe.
Mein letzter Blogeintrag ging am 1. Mai online, seitdem ist natürlich noch einiges passiert.
Der Juni war geprägt von Reisen. Zunächst führte mein Weg ich einmal quer durch Tschechien, um ins kleine Dorf Řehlovíce in der Nähe von Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) zu gelangen. Dort sollte mal wieder ein Seminar mit allen Freiwilligen stattfinden. Gewohnt wurde auf einem alten Bauernhof, der zu einem Kulturzentrum umfunktioniert wurde. Alles war natürlich ein wenig rustikal, aber wir genossen diese Woche fernab vom realen Leben. Die Auswertung des bisherigen Dienstes stellte einen großen Teil des Programms dar. Da wurde uns allen eine Sache deutlich ins Gedächtnis gerufen: Wir steuern unaufhörlich auf das Ende zu! Einfach nicht daran denken, noch sind es ja zweieinhalb Monate. Dies gelang uns dank des restlichen vielfältigen Programms zum Glück sehr gut. Wir beschäftigten wir uns ein wenig mit Václav Havel, unternahmen eine Wanderung durch „verschwundene Dörfer“ im Sudetengebiet, backten Pizza im hofeigenen Steinofen und grölten mit den Dorfbewohnern in der einzigen Dorfkneipe den Hit „Svařák“, dessen Refrain lautet: „Já mám rád svářené víno červené“. („Ich mag gern Glühwein“)
Kaum war ich zu Hause, saß ich schon wieder im Zug. Diesmal das Ziel: Berlin. Ein Tag blieb für Sightseeing, der andere diente meiner Zukunftsplanung. Ich fuhr nach Frankfurt an der Oder, da ich überlegte, mich an der Universität dort zu bewerben. Ich hatte aber über diesen Ort so viel Negatives gehört, dass ich mich nicht traute, mich zu bewerben, bis ich ihn einmal selbst gesehen hatte.
Als ich um einige Erkenntnisse reicher nach Olomouc zurückkehrte, waren es noch eineinhalb Wochen, bis am 20. Juni mein Flieger mit dem Ziel „Tel Aviv – Ben Gurion“ in Prag abheben sollte. Eine gute Freundin leistet in Haifa einen Freiwilligendienst, und ich wollte sie gerne besuchen.
Mir war klar, dass bei meiner Rückkehr nach Olomouc am 9. Juli die meisten meiner guten Freunde, die ich bisher in Olomouc gewonnen hatte, nicht mehr da sein würden.
Meistens wohnten die Studenten ja gar nicht in Olomouc, sondern kamen nur während des Semesters hier her, und Ende Juni war dieses zu Ende und sie verteilten sich wieder in der gesamten Republik …
So versuchte ich mit allen noch einmal etwas Schönes zu unternehmen – und das gelang mir auch, aber es war alles ein wenig seltsam. Ich hatte meistens das Gefühl, die Menschen gerade erst kennen gelernt zu haben und nun sollte ich mich schon wieder verabschieden… Aber wie ich sie dann so in den Arm nahm, da dachte ich nicht mehr an den Abschiedsschmerz – sondern viel mehr daran, wie unglaublich dankbar ich bin, hier so viele liebenswerte Menschen kennengelernt zu haben und welch tolle Zeit ich mit ihnen verbringen durfte!
Meine Reise nach Israel würde noch einmal einen ganzen Blog füllen: Deshalb nur so viel: Es waren zwei unglaublich tolle Wochen! Ich habe so viel gesehen und erlebt, es war ein Eintauchen in eine andere Welt!
Um viele schöne Erinnerungen und Erfahrungen reicher kehrte ich am 4. Juli zurück, aber an Arbeit war erst mal nicht zu denken. Der tschechische Kalender bescherte ein verlängertes Wochenende, da der 5. und 6. Juli Feiertage zum Gedenken an Jan Hus sind.
Ich nutzte die Zeit, um mal wieder meine Mitfreiwilligen in Prag zu besuchen und fuhr mit zwei von ihnen für einen Tagesausflug nach Karlovy Vary (früher Karlsbad). Dort fand in diesen Tagen das „Mezinárodní Filmový Festival“ („Internationales Filmfestival“) statt. Das ganze verlieh der Stadt ein wenig Volksfestatmosphäre, was wohl maßgeblich dazu beitrug, dass wir uns in dort wohlfühlten. Ansonsten wäre das nicht unbedingt der Fall gewesen, die Stadt wirkt sehr fremd und man hat wirklich nicht das Gefühl ins Tschechien zu sein. Alles ist perfekt hergerichtet, Grand Hotels erstrahlen in peniblem Glanz, Luxuslimousinen mit abgedunkelten Scheiben kreuzen die Straßen und die Speisekarten vieler Restaurants sind auf Russisch oder Arabisch.
Wir ergatterten noch Karten für einen französischen Film. Der deprimierte uns leider so, dass wir uns zur Aufheiterung eine Runde Cocktails kaufen „mussten“. Und uns somit endlich mal wie High Society fühlen können: „Hey, wir trinken Cocktails in Karlovy Vary!“. Dass wir auf Plastikstühlen vor einer Verkaufsbude saßen, muss ja nicht dazu gesagt werden ;-).
Abschließend wurde noch das obligatorische Foto mit der großen Becherovka-Flasche geschossen, und es ging zurück zum Bahnhof. Und ich glaube insgeheim waren wir sogar froh, als wir den Bahnhof sahen: Das marode Gebäude mit bröckelndem Putz, Löchern im Wellblechdach (was uns wegen des ausgebrochenen Gewitters mit besonderes Deutlichkeit vor Augen geführt wurde), und dem Gefühl, das Gehör zu verlieren, wenn ein Zug mit quietschenden Bremsen zum Stehen kommt. Aber wie kann es sein, dachten wir uns, eine so schöne Stadt, aber ein so hässlicher Bahnhof? Ach ja, die Besucher, die das Geld in die Stadt bringen, kommen sicher nicht mit dem Zug…
Ab 10. Juli ging das Leben wieder geordnete Bahnen. Ich besuchte wieder regelmäßig meine Klienten. Sie hatten mich in der Zeit meiner Abwesenheit sichtlich vermisst und ich wurde bei fast jedem mit denselben Worten empfangen: „Ein Glück, dass Du gesund zurück bist!“
Besonders überrascht wurde ich von paní S., die mich mal wieder mit einem Blech Buchteln erwartete. Eigentlich war es ein sehr heißer Tag, normalerweise bäckt sie dann nicht, aber: „Veruško, um Dich zurück zu begrüßen, muss es schon etwas Gutes geben.“ Die Buchteln schmeckten wie immer wunderbar, und vielleicht hatte paní S. sie auch ein bisschen als Bestechung gedacht. „Jetzt bist Du ja nicht mehr lange da, da muss ich Dich noch, naja versteh mich nicht falsch, ein wenig ausnutzen. Die Fenster müssen noch geputzt werden, die Türen gewischt und die Küche gesaugt“. In der Tat natürlich keine Arbeiten, die ich liebend gerne mache. Aber wie paní S. so vor mir steht, mich anlächelt und sich mit ihrem liebenswerten tschechischen Akzent noch öfter entschuldigt, dass das Wort „ausnutzen“ sicher nicht das richtige ist, aber ein anderes falle ihr auf Deutsch nicht ein, da denke ich überhaupt nicht daran, was ich gerne tue und was nicht. „Ja klar, ich kann schon heute die Fenster putzen!“. „Wirklich? Aber Veruš, nicht dass es Dir zu viel Arbeit ist. Du kannst ein Fenster heute machen, das reicht schon.“ Schließlich putzte ich doch beide Fenster und paní S. war in ihrer Freude nicht zu bremsen. Sie fiel mir regelrecht um den Hals, sah mich mit strahlenden Augen an und ich bin einfach mal wieder überwältigt!
Es gab noch viele weitere solcher unbezahlbaren Momente, aber spätestens ab Ende Juli wurde jedes Treffen vom immer näher rückende Abschied „überschattet. „Wie lange bist Du noch da?“, „Wie steht es mit der Bewerbung für die Uni?“, „Freust Du Dich schon auf zu Hause?“.
Zunächst konnte ich mich mit dem Thema Abschied wirklich kaum auseinander setzen. Es gefiel mir immer noch so wahnsinnig gut in Olomouc, und meine Zukunft stand noch in den Sternen. Die Uni ließ mit einer Zu- bzw. Absage auf sich warten, und solang ich nichts „Festes in der Hand“ hatte, wie es in meinem Leben weitergehen sollte, konnte ich wirklich nicht an die Zukunft denken.
So hielt ich meine Klienten weiterhin mit Phrasen wie „Lassen sie uns noch nicht über den Abschied reden, ich komme ja noch ein paar Mal“ davon ab, mich weiter an das stetig näher rückende Ende zu erinnern.
Doch endlich, am 9. August, hatte das ganze Warten ein Ende – ich erhielt eine Zusage von meiner Wunsch-Uni, der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, für den Studiengang Kulturwissenschaften!
Ab diesem Zeitpunkt lief alles etwas leichter, ich wusste endlich wie es weitergehen würde. Und konnte mich so langsam damit „anfreunden“, von Olomouc Abschied zu nehmen. Ich genoss ab nun jeden Moment einfach doppelt und dreifach, was mir jetzt viel besser gelang, da ich innerlich nicht mehr krampfhaft versuchte, die Zeit anzuhalten. Es überkam mich immer mehr Freude und unendliche Dankbarkeit, dass ich so eine tolle Zeit in Olomouc verbringen durfte!
Was natürlich lange nicht heißt, dass der Abschied einfach war. Aber ich konnte mich mit dem Motto „Wenn’s am schönsten ist soll man aufhören“ immer mehr identifizieren.
Ich verbrachte noch einen wunderschönen August. Mehrmals hatte ich noch Besuch, von Kollegen, Freunden und meinen Eltern. Selbst unternahm ich noch einen Ausflug nach Opava, Ostrava und Boskovice. In der vorletzten Woche führte der Weg nochmal nach Prag, zum „Abschlussseminar“. Ein letztes Mal alle Freiwilligen auf einem Haufen. Das war schon ein seltsames Gefühl. Genau an diesem Tag vor einem Jahr kannten wir uns noch nicht mal alle, waren aber über ein Jahr hinweg wirklich eine gute Gruppe geworden, und jetzt stand der Abschied an. Wir feierten diesen noch gebührend und ließen die schönsten Momente nochmal in Form von Fotos Revue passieren.
Somit war das Ende endgültig eingeläutet und die wirkliche Abschiedswoche begann. Jeden Klienten noch einmal besuchen. Ein letztes Mal.
Irgendwie war doch alles zur Gewohnheit geworden.
Die allwöchentliche Einkaufstour mit Frau K., bei der sie sich grundsätzlich über die „schlechten Einkaufsbedingungen“ im Zentrum beschwert, es aber doch nicht lassen kann, unbedingt dorthin zum Einkaufen zu fahren anstatt in den Supermarkt nebenan zu gehen.
Herr F., mit dem ich jeden Mittwochmorgen in aller Herrgottsfrühe spazieren gehe und über die Beziehung von Mann und Frau diskutiere. („Verena, ich sage Ihnen eines: Liebe ist Blödheit!“)
Frau S., die mit einem Blech Buchteln oder anderem Kuchen sehnsüchtig auf mich wartet.
Was gibt man einem alten Menschen nun mit auf den Weg? Für jeden hatte ich ein kleines Geschenk, aber irgendwie fragte ich mich, ob ich die passenden Worte dazu finden würde. Ist es nicht viel zu banal, einfach nur alles Gute für die Zukunft und Gesundheit zu wünschen? Schließlich haben meine Klienten ja schon ein bewegtes Leben hinter sich und gesund sind sie meistens leider auch nicht mehr... Aber alle meine Sorgen waren unbegründet. „Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute, dass Du ein schönes und erfülltes Leben haben mögest, zufrieden bist und gesund“, so übernahmen meine Klienten meistens das Abschiedswort. Ich war wirklich gerührt, den Tränen nahe und merkte, dass es meinerseits mal wieder keiner großen Worte bedarf. Eine Umarmung oder ein Lächeln sagen mehr als tausend Worte!
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