Stockholm - Stampen
von der schönsten Kneipe der Stadt
Drinnen drängeln sich Leute vor der Bar, bis zur Bühne hat man nur 2 x 5 Meter Platz und wenn man endlich sein Bier bekommen hat, kämpft man sich zum Tisch, zum Hocker oder zum Ausgang und setzt sich vor die Tür, auf Pflastersteinen aus dem Mittelalter.
Stampen ist eine der besten Blues und Jazzkneipen in der Stadt, vielleicht sogar in ganz Skandinavien und vielleicht sogar in ganz Europa. Woody Allen packte hier einst seine Klarinette aus. Stora Nygatan 5 in Gamla Stan. Die Altstadt mag schweigen, schwitzen oder schon schlafen. Hinter dem dicken Gemäuer holt man sich noch ein gezapftes Stout und dann verschafft man sich Luft, die Hütte ist voll um 11 Uhr abends oder um 4 Uhr nachmittags.
Wenn man zum ersten Mal rein schaut, die dicke Tür mit dem kleinen Bullauge öffnet und den leichten Triefgeruch von vor Tagen verschüttetem und aufgewischtem Bier wahrnimmt und seinen Kopf zur Decke neigt, da drehen sich Instrumente an Haken, alte Kinderwagen und Schlitten, ausgestopfte Tiere und sonstiges Zeugs, was man sonst nur auf dem Dachboden vermutet hängt von oben herab, sonst sieht man nur viele Gesichter - alte und junge hübsche Gesichter. Der Blick kann sich an all dem wundersamen und krotesken Ensemble aus Zeugs verirren. Es sieht ein wenig so aus wie ein an die Decke geschraubter Flohmarkt.
Dort gab es, als ich zum ersten Mal dort war, live band karaokee, was jetzt Karaoke war, aber mit ner kuhlen Band und nicht aus so einer doofen Maschine mit konservierten Playbacks. Texte gab es oldschool auf Papier und wer gesungen hat, bekam ein Bier for free - bei 56 Kronen keine schlechte Investition. Und es klang immer wie Konzert, auch wenn man scheiße singen kann. Da fallen missliche Töne nicht so auf. Man kann im Stampen übrigens nicht mit Karte bezahlen. Damit trotzdem keiner gehen muss, steht ein Geldautomat in der hintersten Ecke, drinnen natürlich - das muss man sich mal vorstellen.
Und jeden Samstag jam session. Und auf der Bühne in der Ecke steht dann dich gedrängt die Band und spielt den Blues. Random people, ausgesucht aus der Mitte der Versammlung. Open Blues Session nennt sich das und wer ein Instrument dabei hat, der bringt es mit (mein Akkordeon hatte ich zuhause gelassen und ich hab Erfurcht vor der Bühne, denn die Leute spielen sooooo guuuuuut). Und zum ersten Mal hab ich das Gefühl unter normalen Leuten zu sein, die sich einfach mal nicht auftakeln müssen wie die Stockholmer Dekadenz und da steht zum Beispiel ein alter Mann mit halber Glatze und einer Frisur wie Dr. Robotnik (kennt den noch jemand?) auf der Bühne und umgeschnallt hat er einen Gürtel und dort drangeheftet ist wie ein Maschinengewehrmagazin eine Batterie voller Mundharmonikas. Bestimmt acht Stück und schräg hinter ihm bummert der E Bass und vor ihm tanzen die Leute und wenn sie nicht tanzen, dann wippen sie mit dem Kopf oder hören einfach zu oder unterhalten sich und freuen sich und die Stimmung, ach - die Stimmung in einer Raum, wo Leute Spaß am Musikmachen haben. Da muss man nicht mehr zu sagen...
Und wir sitzen draußen in der warmen Nachmittagssonne und haben ein Bier in der Hand und hören nah und doch wohl entfernt einer Stimme zu, die von alten Träumen und großen Gesten erzählt, mit drei Gitarren und einer juakenden Mundharmonika begleitet. Stampen, da ist die Welt in Ordnung.